17 W (pat) 42/15  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 42/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
18. Juli 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2013 208 762.4 - 53







hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters
Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 13. Mai 2013 beim Deutschen Pa-
tent- und Markenamt eingereicht unter der Bezeichnung
„Intuitive Gestensteuerung“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des
Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 31. Juli 2015 mit der
Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs des (da-
maligen) Hauptantrags mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei, da er
durch die Druckschrift D2 im Lichte der Druckschrift D5 nahegelegt sei; und die
Unterschiede des jeweiligen Gegenstands des Hauptanspruchs nach den (damali-
gen) Hilfsanträgen 1, 2, 3 und 4 begründeten keine erfinderische Tätigkeit, weil
der jeweilige Gegenstand durch die Zusammenschau der Druckschriften D2 und
D6 nahegelegt sei (zu den Druckschriften s. u.).
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
Die Anmelderin hat mit ihrer Beschwerdebegründung vom 30. November 2015
einen neuen Hauptantrag und drei Hilfsanträge eingereicht, sowie einen vierten
Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung. Sie erläutert die Unterschiede der
nunmehr beanspruchten Lehre gegenüber den entgegengehaltenen Druckschrif-
ten und trägt vor, die Gesamtheit der Merkmale der unabhängigen Ansprüche sei
bereits in der Fassung des Hauptantrags durch den im Verfahren befindlichen
Stand der Technik nicht nahegelegt. Für den Hauptanspruch käme es dabei ent-
scheidend auf die letzten beiden Merkmale an, dass mit einem abgespreizten Fin-
ger ein Skalierungsfaktor für die Bilddarstellung einstellbar sei. Die Hilfsanträge 1
bis 3 seien vorsorglich gestellt, damit eine Patentierung nicht an den unabhängi-
gen Nebenansprüchen des Hauptantrags scheitere. Mit dem Hilfsantrag 4 werde
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der Hauptanspruch noch weiter auf die beschriebene konkrete Anwendung einge-
schränkt, für welche eine Nutzung der beanspruchten Lehre nicht naheliege.
Die Anmelderin stellt den Antrag,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
gemäß Hauptantrag mit
Patentansprüchen 1 bis 14 und
Beschreibung Seiten 1 bis 14a, jeweils vom 30. November 2015,
Beschreibung Seiten 15 bis 35 und
7 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 14, jeweils vom Anmeldetag;
gemäß Hilfsantrag 1 mit
Patentansprüchen 1 bis 13 und
Beschreibung Seiten 11, 12, 14, jeweils vom 30. November 2015,
Beschreibung Seiten 1 bis 10, 13, 14a und Seiten 15 bis 35 und
Zeichnung mit Figuren, jeweils wie Hauptantrag;
gemäß Hilfsantrag 2 mit
Patentansprüchen 1 bis 13 und
Beschreibung Seiten 1, 14, jeweils vom 30. November 2015;
Beschreibung Seiten 11, 12 wie Hilfsantrag 1,
Beschreibung Seiten 2 bis 10, 13, 14a und
Beschreibung Seiten 15 bis 35 sowie
Zeichnung mit Figuren, jeweils wie Hauptantrag;
gemäß Hilfsantrag 3 mit
Patentansprüchen 1 bis 13 und
Beschreibung Seiten 1, 11, jeweils vom 30. November 2015,
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Beschreibung im Übrigen wie Hilfsantrag 2,
Zeichnung mit Figuren wie Hauptantrag;
gemäß Hilfsantrag 4 mit
Patentansprüchen 1 bis 13, überreicht in der mündlichen Ver-
handlung, noch anzupassender Beschreibung und
Zeichnung mit Figuren wie Hauptantrag.
Gemäß Hauptantrag und gemäß den Hilfsanträgen 1, 2 und 3 lautet der gel-
tende Patentanspruch 1 (mit einer Merkmalsgliederung angelehnt an die Gliede-
rung beim Hilfsantrag 1 im Zurückweisungsbeschluss):
(a) 1. Steuerverfahren für eine Recheneinheit (3),
(b) – wobei die Recheneinheit (3) über eine Anzeigeeinrich-
tung (2) eine perspektivische Darstellung (B2) einer dreidi-
mensionalen Struktur (4) an einen Benutzer (5) der Rechen-
einheit (3) ausgibt,
(c) – wobei eine Bilderfassungseinrichtung (1) eine Sequenz (S)
von Tiefenbildern (B1) erfasst und an die Recheneinheit (3)
übermittelt,
(d) – wobei die Recheneinheit (3) eine Kugel (11) festlegt, deren
Mittelpunkt (12) innerhalb der dreidimensionalen Struktur (4)
liegt,
(e) – wobei die Recheneinheit (3) einen mit der Kugel (11) kor-
respondierenden, vor der Anzeigeeinrichtung (2) liegenden
kugelförmigen Volumenbereich (14) und dessen Mittel-
punkt (15) bestimmt,
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(f) – wobei die Recheneinheit (3) anhand der Sequenz (S) von
Tiefenbildern (B1) ermittelt, ob der Benutzer (5) in Bezug auf
den Volumenbereich (14) eine Greifbewegung ausführt, und
in Abhängigkeit von der Greifbewegung die über die Anzei-
geeinrichtung (2) ausgegebene perspektivische Darstellung
der dreidimensionalen Struktur (4) derart variiert, dass die
dreidimensionale Struktur (4) sich um eine den Mittel-
punkt (12) der Kugel (11) enthaltende Drehachse (16) dreht,
dadurch gekennzeichnet, dass die Recheneinheit (3)
(g) – anhand der Sequenz (S) von Tiefenbildern (B1) ein Greifen
und ein Loslassen des Volumenbereichs (14) mit den Fin-
gern (17) mindestens einer Hand (10) des Benutzers (5)
sowie nach dem Greifen des Volumenbereichs (14) vorge-
nommene Änderungen der Orientierung des mindestens
einen Fingers (17) des Benutzers (5) relativ zum Mittel-
punkt (15) des Volumenbereichs (14) ermittelt,
(h) – beim Greifen des Volumenbereichs (14) eine beim Greifen
des Volumenbereichs (14) bestehende Orientierung mindes-
tens eines Fingers (17) des Benutzers (5) relativ zum Mittel-
punkt (15) des Volumenbereichs (14) ermittelt,
(i) – anhand der nach dem Greifen des Volumenbereichs (14)
vorgenommene Änderungen der Orientierung des mindes-
tens einen Fingers (17) des Benutzers (5) die über die An-
zeigeeinrichtung (2) ausgegebene perspektivische Darstel-
lung (B2) der dreidimensionalen Struktur (4) derart variiert,
dass die Drehung der dreidimensionalen Struktur (4) um den
Mittelpunkt (12) der Kugel (11) mit den nach dem Greifen
des Volumenbereichs (14) vorgenommenen Änderungen der
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Orientierung des mindestens einen Fingers (17) des Benut-
zers (5) korrespondiert,
(j) – beim Loslassen des Volumenbereichs (14) das Variieren
der perspektivischen Darstellung (B2) terminiert,
(k) – ein Greifen und ein Loslassen des Volumenbereichs (14)
dadurch ermittelt, dass sie anhand der Sequenz (S) von Tie-
fenbildern (B1) ein Berühren und ein Loslassen eines Punk-
tes (18) der Oberfläche des Volumenbereichs (14) erkennt,
(l) – Änderungen der Orientierung des mindestens einen Fin-
gers (17) aufgrund von Änderungen der Lage des mindes-
tens einen Fingers (17) auf der Oberfläche des Volumenbe-
reichs (14) ermittelt,
(m) – nach dem Greifen des Volumenbereichs (14) anhand der
Sequenz (S) von Tiefenbildern (B1) zusätzlich ermittelt, ob
der Benutzer (5) mit dem mindestens einen Finger (17) der
mindestens einen Hand (10) eine Bewegung auf den Mittel-
punkt (15) des Volumenbereichs (14) zu und von ihm weg
ausführt, und
(n) – einen Skalierungsfaktor, den sie bei der Ermittlung der Dar-
stellung (B2) verwendet, in Abhängigkeit von der Bewegung
des Fingers (17) auf den Mittelpunkt (15) des Volumenbe-
reichs (14) zu und von ihm weg variiert.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 stimmt mit dem Patentanspruch 1 der
übergeordneten Anträge überein bis auf die einteilige Fassung („wobei“ anstelle
von „dadurch gekennzeichnet, dass“) und die (im Folgenden markierte) Änderung
in Merkmal (b), welches nunmehr lautet:
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(b4) – wobei die Recheneinheit (3) über eine Anzeigeeinrich-
tung (2) eine perspektivische Darstellung (B2) einer als Blut-
gefäßsystem ausgebildeten dreidimensionalen Struktur (4)
an einen Benutzer (5) der Recheneinheit (3) ausgibt,
Zu den Nebenansprüchen, die sich bei den Hilfsanträgen von denen des Haupt-
antrags unterscheiden sowie zu den Unteransprüchen wird auf die Akte verwie-
sen.
Als der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe wird angegeben (siehe geltende
Beschreibung vom 30. November 2015, „Hauptantrag“ Seite 6 unten / S. 7 oben,
Seite 11 Absatz 2, Seite 14 Absatz 2), Möglichkeiten zu schaffen, mittels derer
dem Benutzer eine intuitive bzw. einfach handhabbare Möglichkeit an die Hand
gegeben wird,
– eine Drehung einer über die Anzeigeeinrichtung dargestellten
dreidimensionalen Struktur zu bewirken,
– verschiedene bildbezogene Manipulationsmöglichkeiten aktivie-
ren zu können,
– eher globale Systeminteraktionen vornehmen zu können.
Folgende Druckschriften sind im Laufe des Verfahrens entgegengehalten worden:
D1 US 2012 / 182 396 A1
D2 US 2011 / 193 939 A1
D3 US 2010 / 302 145 A1
D4 EP 1 967 941 A2
D5 US 2010 / 53 151 A1
D6 US 2010 / 231 509 A1
D7 US 8 112 711 B2

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II.

Die Beschwerde ist rechtzeitig eingegangen und auch sonst zulässig. Sie hat
jedoch keinen Erfolg, weil – bei Außerachtlassung von solchen Anspruchsmerk-
malen, die zur Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln nicht
beitragen – der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach Haupt-
antrag und nach den vier Hilfsanträgen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit
beruht (§§ 1 und 4 PatG).
1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft eine intuitive Gestensteuerung
basierend auf Tiefenbildern, die eine Bilderfassungseinrichtung von einem Benut-
zer aufnimmt, insbesondere im medizinischen Umfeld (Interaktion zur Darstellung
und Auswertung medizinischer Bilder – siehe Offenlegungsschrift Abs. [0001],
[0006] bis [0011], [0064]).
Ein derartiges technisches System zur Darstellung von Bildern und Erfassung von
Benutzer-Gesten-Eingaben ist „im Prinzip“ aus dem Stand der Technik bekannt,
siehe z. B. Abs. [0005] / [0006]. Die Anmelderin hat nun herausgearbeitet, welche
Arten von Benutzereingaben dabei sinnvoll sind, und sie in einen gemeinsamen
Kontext gebracht, so dass eine „intuitive“ Steuerung erfolgen kann. Insbesondere
wird zwischen drei verschiedenen Arten von Interaktionen unterschieden, auf wel-
che der Hauptanspruch und zwei Nebenansprüche des Hauptantrags gerichtet
sind.
Dabei betrifft der im Folgenden allein betrachtete Patentanspruch 1 ein Verfahren
der Benutzer-Interaktionen für eine Drehung und Skalierung der perspektivischen
Darstellung (B2) einer dreidimensionalen Struktur 4 (Merkmale (a), (b)), wobei
letztere z. B. der Gefäßbaum eines Patienten sein kann (Absatz [0066], Figur 3 –
Merkmal (b4)). Dies wird anhand des Flussdiagrams nach Figur 9 generell skiz-
ziert (siehe auch Abs. [0095] ff.) und im Detail anhand der Figuren 13/14 und Abs.
[0110] ff. näher erläutert.
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Demnach soll die dreidimensionale Struktur von einer (gedachten) Kugel 11 mit
einem Mittelpunkt 12 umgeben werden (Figur 10 – Merkmal (d)), welche mit einer
vor der Anzeigeeinrichtung aufgespannten (gedachten) Kugel 14 korrespondiert
(Figur 1 – Merkmal (e)). Dabei können die Kugel 11 z. B. als Gitternetz und ihr
Mittelpunkt 12 in die perspektivische Darstellung (B2) eingeblendet werden (Ab-
satz [0097]). Gemäß Merkmal (f) wird aus einer erfassten Sequenz von Tiefenbil-
dern (B1) des Raums vor dem Benutzer, in dem auch die (gedachte) Kugel 14
angeordnet ist (Figur 1), ermittelt, ob der Benutzer in Bezug auf die Kugel 14 eine
„Greifbewegung“ ausführt, und davon abhängig die dreidimensionale Struktur 4 in
der perspektivischen Darstellung (B2) entsprechend gedreht. Die Merkmale (g) bis
(n) geben weitere Details:
So soll das Greifen und Loslassen der Kugel 14 anhand der „Berührung“ eines
Punktes auf der Kugeloberfläche mit einem Finger 17 des Benutzers erkannt wer-
den (Merkmale (k), teilweise (g)), wobei das Loslassen die Drehung oder Skalie-
rung der dreidimensionalen Struktur 4 beendet (Merkmal (j)). Als Maß für die Aus-
führung einer Drehung wird die Änderung der Lage eines Fingers 17 auf der Ku-
geloberfläche herangezogen (Merkmale (l), (i), (h), teilweise (g) – Abs. [0112],
[0114]). Als Maß für die Ausführung einer Skalierung (Skalierungsfaktor) wird eine
Änderung des Abstands des Fingers 17 vom Mittelpunkt 15 der Kugel 14 heran-
gezogen (Merkmale (m), (n) – Abs. [0116]).
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, eine einfach handhabbare und
intuitive Möglichkeit zur Interaktionssteuerung durch Handbewegungen für eine
Bild-Anzeige zu schaffen, sieht der Senat einen Diplom-Informatiker oder Diplom-
Ingenieur an, der eine mehrjährige Erfahrung im Bereich der Entwicklung von
gestenbasierten Interaktionssteuerungen aufweist.
2. Keiner der fünf vorliegenden Anträge kann Erfolg haben, weil bereits der
Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tä-
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tigkeit beruht. Dabei werden allerdings einzelne Anspruchsmerkmale nicht berück-
sichtigt, wenn sie zu einer technischen Problemlösung nicht beitragen.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Prüfung
einer Erfindung auf erfinderische Tätigkeit nur diejenigen Anweisungen zu berück-
sichtigen, die die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln
bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH GRUR 2011, 125 – Wiedergabe
topografischer Informationen, Leitsatz b). So können beispielsweise Anweisungen
zur Auswahl von Daten, deren technischer Aspekt sich auf die Anweisung be-
schränkt, hierzu Mittel der elektronischen Datenverarbeitung einzusetzen, bei der
Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht berücksichtigt werden (BGH GRUR
2013, 275 – Routenplanung, Leitsatz a). Generell kann mit Merkmalen, die zu
einer technischen Problemlösung nichts beitragen, das Vorliegen einer erfinderi-
schen Tätigkeit nicht begründet werden. Auch die Auswahl einer bestimmten Ges-
te, weil sie für den Nutzer als besonders intuitiv erscheinen mag, trägt zu einer
technischen Problemlösung i. d. R. nicht bei (vgl. die Senatsentscheidungen
17 W (pat) 10/04 – Bedienoberfläche, in: GRUR 2007, 213, mit Leitsatz; und
17 W (pat) 11/15, Beschluss vom 6. Dezember 2016, II. Abschnitt 2.2, m. w. N.).
2.2 Für den jeweiligen Gegenstand des Patentanspruchs 1 aller fünf Anträge
sind folgende Druckschriften von besonderer Bedeutung:
D2 US 2011 / 193 939 A1
D6 US 2010 / 231 509 A1
Die Druckschrift D2 betrifft eine gesten-basierte Nutzer-Schnittstelle, bei welcher
der Nutzer z. B. gemäß Figur 17a bis 17j mit virtuellen Objekten interagieren kann,
die auf einem Bildschirm perspektivisch dargestellt sind (siehe Abs. [0201] ff.).
Dazu werden von einem Tiefen-Kamerasystem 20 Tiefenbilder einer z. B. quader-
förmigen Interaktionszone erfasst („motion capture system“, siehe Figur 1 / 2,
Figur 9, Abs. [0062], [0066], [0071] – Merkmale (a), (b) und (c)). Dem Fachmann
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war geläufig, dass derartige Motion Capture - Systeme vielfältig anwendbar sind,
etwa im medizinischen Bereich (siehe D2 Absatz [0001] Zeile 5 / 6 „medical
purposes“); auch eine Nutzung zur Interaktion mit der Darstellung des Gefäßbau-
mes eines Patienten lag daher auf der Hand (Merkmal (b4)).
Den Figuren 17b, 17d, 17f usw. ist ein (quaderförmiger) Volumenbereich entnehm-
bar, der als Interaktionszone dient (siehe Abs. [0201]) und mit einem entsprechen-
den Bereich in der perspektivischen Darstellung korrespondiert (Fig. 17a, 17c, 17e
usw. – Merkmale (d), (e) für einen Quader anstelle der beanspruchten Kugel). Für
den Fachmann macht es aber keinen prinzipiellen Unterschied, auf welcher Basis
die Interaktionszone definiert wird (vgl. D2 Absatz [0173]: „Cartesian coordinate
system … spherical coordinate systems“); eine Abwandlung des beschriebenen
Quaders hin zu einer kugelförmigen Zone bleibt innerhalb des Rahmens eines rein
fachmännischen Abwägens von jeweiligen Vor- und Nachteilen.
Im Kontext der Interaktionszone ist auch eine Greifbewegung zum virtuellen „Er-
greifen“ eines dargestellten Objektes beschrieben (siehe Figur 17c, 17e und Abs.
[0203]), womit z. B. eine Drehung des dargestellten Objektes bewirkt werden kann
(Abs. [0206] „the user has grasped the object B1704 and is rotating it“ – Merk-
mal (f)). Es dürfte sich dem Fachmann hierbei aufdrängen, dass ein „Loslassen“
des Objektes B1704 das Drehen beenden sollte (Merkmal (j); teilweise (g)). Im
gegebenen Zusammenhang erscheint auch die Lehre der Merkmale (k) und (l)
(Ermitteln des „Ergreifens“ und des „Loslassens“ des Objektes durch Berüh-
ren / Loslassen eines Punktes auf der virtuellen Kugeloberfläche 14; Erfassen
auch der Lageänderung mindestens eines Fingers) als für den Fachmann ohne
Weiteres naheliegend.
Sonach unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 vom Stand der
Technik gemäß Druckschrift D2 i. W. darin,
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– dass gemäß den Merkmalen (h) und (i) die Orientierung eines
Fingers der greifenden Hand das Maß und die Richtung der
Drehung steuert,
– und dass gemäß den Merkmalen (m) und (n) die Bewegung
des Fingers in Richtung auf den Kugelmittelpunkt oder von ihm
weg die Skalierung steuert.
Die Druckschrift D6 beschreibt eine berührungslose Schnittstelle 150 für den
medizinischen Bereich, z. B. in einem Operationssaal (Abs. [0015]). Gemäß den
Figuren 2 bis 5 werden auf einem Bildschirm Einstellvorgänge oder Menüelemente
sowie eine Interaktion mit medizinischen Bildern angezeigt. Ein spezieller Sen-
sor 141 (Figur 1B, Abs. [0019]) erfasst berührungslos die Bewegungen einer Be-
nutzerhand und setzt sie in Einstellsignale um (zumindest Merkmale (a), (b), (b4)).
Beispielsweise ist in Verbindung mit Figur 4B beschrieben, dass eine Bewegung
der Hand, bzw. des ausgestreckten Fingers, zum Sensor hin das angezeigte Bild
vergrößert und eine Bewegung vom Sensor weg das Bild verkleinert (Abs. [0027]
– Skalierung im Sinne der Merkmale (m) und (n)). Figur 5 zeigt eine Fingerbewe-
gung zur Steuerung einer Bild-Drehung (Abs. [0032] – ähnlich Merkmal (i)).
2.3 Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags beruht nicht auf
einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie ausgeführt, unterscheidet sich die beanspruchte Lehre von der Lehre der
Druckschrift D2 i. W. darin, dass zusätzlich eine Interaktion zur Skalierung des Bil-
des vorgesehen ist, und dass bestimmte Fingerbewegungen für die Steuerung der
Drehung und der Skalierung definiert werden.
Das grundsätzliche Vorsehen einer Skalierungsmöglichkeit und deren Steuerung
durch Gesten lag jedoch für den Fachmann nahe, da ein Bedürfnis dafür offen-
sichtlich ist und beispielsweise die Druckschrift D6 auch eine entsprechende kon-
krete Lehre zur Steuerung einer Bild-Drehung und einer Skalierung gibt.
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Die darüber hinausgehende konkrete Vorgabe bestimmter Fingerbewegungen zur
Steuerung der Bild-Drehung nach den Merkmalen (h) und (i) bzw. für die Skalie-
rung nach den Merkmalen (m) und (n) kann das Vorliegen einer erfinderischen
Tätigkeit nicht begründen.
Dass dieser Vorgabe irgendwelche technischen Überlegungen zugrundelägen, ist
weder in der Anmeldung ausgeführt noch sonstwie erkennbar. Allenfalls kann von
einer „geschickten“ Zuordnung gesprochen werden, die eine intuitivere Steuerung
ermöglicht. Eine derartige, auf intuitive Bedienung ausgelegte Gestaltung einer
Bedienschnittstelle (Bedienoberfläche) orientiert sich an menschlichen Bedürfnis-
sen und Eigenheiten, ihr liegen gerade nicht „auf technischen Überlegungen beru-
hende Erkenntnisse“ zugrunde (BGH GRUR 2000, 498 – Logikverifikation). Des-
halb können die genannten, die Vorgabe der Fingerbewegungen betreffenden
Merkmale bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht berücksichtigt werden
(s. o. Abschnitt 2.1).
Ein Verfahren mit den verbleibenden Merkmalen ist dem Fachmann aber, wie aus-
geführt, durch eine Übertragung der aus Druckschrift D6 bekannten Skalierungs-
möglichkeit auf die Lehre der Druckschrift D2 nahegelegt.
2.4 Der Hauptantrag hat sonach keinen Erfolg. Denn mit dem Patentanspruch 1
des Hauptantrags fallen auch dessen Neben- und Unteransprüche, weil über
einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120
– Elektrisches Speicherheizgerät).
2.5 Dasselbe gilt für die Hilfsanträge 1, 2 und 3, da ihr jeweiliger Patentan-
spruch 1 mit dem Patentanspruch 1 des Hauptantrags identisch ist. Auf die jewei-
ligen Unterschiede bei den Neben- und Unteransprüchen kommt es nicht mehr an.
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2.6 Der Hilfsantrag 4 ist nicht günstiger zu beurteilen.
Denn sein Patentanspruch 1 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 des Haupt-
antrags lediglich durch die Einschränkung in Merkmal (b4), dass die perspek-
tivisch dargestellte dreidimensionale Struktur (B2) als Blutgefäßsystem (eines
Patienten) ausgebildet sein soll. Eine solche Anwendung der – wie dargelegt –
naheliegenden Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag auf bestimmte
medizinische Bilder kann aber aufgrund der diesbezüglichen Hinweise in den
Druckschriften D2 und D6 (s. o. Abschnitt 2.2: Verweise auf Merkmal (b4)) das
Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Rich-
teramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit
mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, so-
fern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zuge-
stimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.


Dr. Morawek Eder Baumgardt Hoffmann


Fa


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