17 W (pat) 34/16  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 34/16
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
19. Januar 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2006 045 591.6 - 53





hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2017 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters
Dipl.-Ing. Baumgardt und des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
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G r ü n d e :
I.
Die vorliegende Patentanmeldung, welche die Priorität zweier US-Voranmeldun-
gen vom 28. Oktober 2005 und vom 1. Dezember 2005 in Anspruch nimmt, wurde
am 27. September 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt in deutscher
Sprache eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung
„Anzeigevorrichtung zur Anzeige von Informationen, insbesondere
den Betrieb eines Kraftfahrzeuges betreffenden Informationen“.
1. Im Prüfungsverfahren führte die Prüfungsstelle mit dem Erstbescheid vom
21. Oktober 2014 aus, dass im Hinblick auf Druckschrift D1 der Hauptanspruch
mangels Neuheit, die Gegenstände der Unteransprüche im Hinblick auf die Druck-
schriften D1 bis D3 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar seien. Hier-
gegen wendete sich die Anmelderin mit der Eingabe neuer Patentansprüche und
einem hilfsweisen Antrag auf Anhörung (Schriftsatz vom 15. Juni 2015).
Daraufhin lud die Prüfungsstelle mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 zu einer
Anhörung. In einem Zusatz zur Ladung stellte sie fest, die Anmeldung werde mit
einem im Wesentlichen unveränderten Patentbegehren weiterverfolgt. Der Gegen-
stand des Hauptanspruchs sei somit mangels Neuheit nicht gewährbar.
Nach Erhalt der Ladung hat die Anmelderin mit Eingabe vom 20. Januar 2016
einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestellt und zudem beantragt, den zuständigen
Prüfer wegen der Besorgnis der Befangenheit durch einen anderen Prüfer zu
ersetzen. Die Besorgnis zur Befangenheit sei entstanden, weil der Prüfer ihre Ein-
schränkung des Hauptantrags mit den Worten „im wesentlichen unverändert“ kom-
mentiert habe. Damit dränge sich bei der Anmelderin der Eindruck einer unsachli-
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chen Einstellung auf. Dieses Verhaltensmuster habe der Prüfer auch in anderen
Verfahren gezeigt. Insgesamt empfinde die Anmelderin die Einstellung des
zuständigen Prüfers als feindselig, zumindest jedoch als von einer tiefen Antipa-
thie geprägt.
In der am 5. Februar 2016 stattgefundenen Anhörung hat die Prüfungsstelle laut
den Angaben in der Niederschrift zu Beginn dargestellt, dass ein Ablehnungsge-
such vorliege. Aufgrund des Ablehnungsgesuchs sehe sie sich zunächst an einer
Fortsetzung des Prüfungsverfahrens gehindert. Sie gestehe aber der Anmelderin
zu, dass ihr in ihrem Ladungszusatz ein Versehen unterlaufen sei. Gleichzeitig
bleibe sie aber bei ihrer vorläufigen Auffassung, dass ein Patent weder aufgrund
der ursprünglichen noch aufgrund der nunmehr geltenden Fassung erteilt werden
könne. Eine Anhörung erscheine ihr daher zur weiteren Erörterung als sachdien-
lich. Daraufhin habe der Vertreter der Anmelder erklärt: Hiermit nehmen wir das
Ablehnungsgesuch zurück und bitten um Fortsetzung des Prüfungsverfahrens vor
der bisherigen Prüfungsstelle – vorgelesen und genehmigt –. In der Niederschrift
wurde anschließend die Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit und zu den Er-
folgsaussichten der Patentanmeldung dargestellt. Die Anmelderin überreichte
einen Hilfsantrag 2.
Am Ende der Anhörung hat die Prüfungsstelle die Patentanmeldung zurückgewie-
sen. In der schriftlichen Begründung führt sie aus, dass der Gegenstand des
Patentanspruchs 1 weder in der Fassung nach Hauptantrag noch in der Fassung
nach Hilfsantrag 2 patentfähig sei, weil er jeweils von der Lehre der Druck-
schrift D1 neuheitsschädlich getroffen sei; im Übrigen sei der Patentanspruch 1
nach Hilfsantrag 1 nicht zulässig, weil sein Gegenstand in den eingereichten
Anmeldungsunterlagen nicht offenbart sei.
Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragte im
Schriftsatz zur Beschwerdebegründung vom 24. Mai 2016 u. a., den zuständigen
Prüfer von dem Verfahren abzuziehen und die Akte einem anderen Prüfer zuzu-
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weisen, der über die Abhilfe entscheidet; und weiterhin, die Beschwerdegebühr zu
erstatten.
Zur Zulässigkeit des Hilfsantrags 1 führt sie aus, dass dieser nicht unzulässig
erweitert sei. Diese Einschätzung der Prüfungsstelle sei nicht nur falsch, sondern
grob rechtsfehlerhaft. Der Prüfer verkehre die Aussage des Bundesgerichtshofs in
der herangezogenen Entscheidung (BGH GRUR 2013, 809 – Verschlüsselungs-
verfahren, Rn. 11 mit weiteren Nachweisen) in grob rechtsfehlerhafter Weise in ihr
Gegenteil. Die vermeintliche Unzulässigkeit des Hilfsantrags 1 werde im angefoch-
tenen Beschluss damit begründet, dass die Anmeldung in ihrer ursprünglichen
Fassung kein Kraftfahrzeug offenbaren würde. Dies sei nicht nur falsch, sondern
derart unrichtig, dass sich die Anmelderin die in dem Beschluss vertretene Auffas-
sung nur durch Befangenheit des Prüfers erklären könne.
Auch die Beurteilung hinsichtlich des Hauptantrags sei grob rechtsfehlerhaft. Bei-
spielsweise das Ignorieren des Merkmals M5 (s. u.) in Bezug auf die Beurteilung
der Patentfähigkeit gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags könne sich die Anmelde-
rin ebenfalls nur durch Befangenheit des Prüfers erklären. Der von der Prüfungs-
stelle der Entgegenhaltung 1 entnommene Offenbarungsgehalt lasse sich ebenso
wenig erklären, sodass auch diese die Anmelderin letztendlich schädigende Aus-
sage anmelderseitig nur durch Befangenheit des Prüfers zu erklären sei. Es recht-
fertige sich daher auch der Antrag, den zuständigen Prüfer in Bezug auf die Beur-
teilung der Abhilfe durch einen anderen Prüfer zu ersetzen.
Daraufhin hat der mit der Besorgnis der Befangenheit angegriffene Prüfer am
3. Juni 2016 entschieden: „Der Beschwerde wird nicht abgeholfen“, und die Be-
schwerde dem Bundespatengericht vorlegen lassen.
2. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat stellt die Anmelderin nun-
mehr den Antrag,
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den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
gemäß Hauptantrag mit
Patentansprüchen 1 bis 10 vom 15. Juni 2015,
Beschreibung Seiten 1 bis 7 und
2 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 4, jeweils vom Anmeldetag;
gemäß Hilfsantrag 1 mit
Patentansprüchen 1 bis 10 vom 20. Januar 2016,
im Übrigen wie Hauptantrag;
gemäß Hilfsantrag 2 mit
Patentansprüchen 1 bis 10 vom 5. Februar 2016,
im Übrigen wie Hauptantrag.
Außerdem regt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.
3. Gemäß Hauptantrag lautet der geltende Patentanspruch 1 (mit der Merk-
malsgliederung aus dem Zurückweisungsbeschluss):
M1 Anzeigevorrichtung (4) zur Anzeige von Informationen, ins-
besondere den Betrieb des Kraftfahrzeuges (1) betreffenden
Informationen,
M2 mit einem ersten Display (11) zur optischen Darstellung von
Informationen,
M3 wobei zumindest ein über dem ersten Display (11) angeord-
netes zweites Display (12) zur optischen Darstellung von
Informationen vorgesehen ist,
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M4 wobei das zweite Display (12) transparent ist, so dass eine
auf dem ersten Display (11) dargestellte Information durch
das zweite Display (12) hindurch sichtbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
M5 dass den mittels der Anzeigevorrichtung (4) darzustellenden
Informationen eine Wertigkeit zugeordnet ist,
M6 wobei die Anzeigevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur
Darstellung unterschiedlicher Informationen auf den Dis-
plays (11, 12) durch eine derartige Ausgabe entsprechender
Anzeigesignale (A1, A2) umfasst, dass die Auswahl, ob eine
Information mittels des ersten Displays (11) oder mittels des
zweiten Displays (12) dargestellt wird, in Abhängigkeit der
Wertigkeit erfolgt.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 10 wird auf die Akte verwiesen.
Gemäß Hilfsantrag 1 lautet der geltende Patentanspruch 1 (mit Kennzeichnung
der Unterschiede zum Hauptantrag):
M1´ Kraftfahrzeug (1) mit einer Anzeigevorrichtung (4) zur An-
zeige von Informationen, insbesondere den Betrieb des
Kraftfahrzeuges (1) betreffenden Informationen,
M2´ mit einem ersten wobei die Anzeigevorrichtung (4) ein erstes
Display (11) zur optischen Darstellung von Informationen
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M3´ wobei und zumindest ein über dem ersten Display (11) ange-
ordnetes zweites Display (12) zur optischen Darstellung von
Informationen vorgesehen ist umfasst,
M4 wobei das zweite Display (12) transparent ist, so dass eine
auf dem ersten Display (11) dargestellte Information durch
das zweite Display (12) hindurch sichtbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
M5 dass den mittels der Anzeigevorrichtung (4) darzustellenden
Informationen eine Wertigkeit zugeordnet ist,
M6 wobei die Anzeigevorrichtung (4) eine Steuerung (10) zur
Darstellung unterschiedlicher Informationen auf den Dis-
plays (11, 12) durch eine derartige Ausgabe entsprechender
Anzeigesignale (A1, A2) umfasst, dass die Auswahl, ob eine
Information mittels des ersten Displays (11) oder mittels des
zweiten Displays (12) dargestellt wird, in Abhängigkeit der
Wertigkeit erfolgt.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 10 wird wieder auf die Akte verwiesen.
Gemäß Hilfsantrag 2 lautet der geltende Patentanspruch 1 (mit Kennzeichnung
der Unterschiede zum Hauptantrag):
M1´´ Verfahren zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges (1) mit einer
Anzeigevorrichtung (4) zur Anzeige von Informationen, ins-
besondere den Betrieb des Kraftfahrzeuges (1) betreffenden
Informationen,
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M2´´ wobei die Anzeigevorrichtung (4) ein erstes mit einem ersten
Display (11) zur optischen Darstellung von den Betrieb des
Kraftfahrzeuges (1) betreffenden Informationen,
M3´´ wobei und zumindest ein über dem ersten Display (11) ange-
ordnetes zweites Display (12) zur optischen Darstellung von
den Betrieb des Kraftfahrzeuges (1) betreffenden Informatio-
nen umfasst vorgesehen ist,
M4 wobei das zweite Display (12) transparent ist, so dass eine
auf dem ersten Display (11) dargestellte Information durch
das zweite Display (12) hindurch sichtbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
M5´´ dass den mittels der Anzeigevorrichtung (4) darzustellenden,
den Betrieb des Kraftfahrzeuges (1) betreffenden Informatio-
nen eine Wertigkeit zugeordnet ist wird,
M6´´ wobei die Anzeigevorrichtung (4) eine mittels einer Steu-
erung (10) zur Darstellung unterschiedlicher, den Betrieb des
Kraftfahrzeuges (1) betreffende Informationen auf den Dis-
plays (11, 12) dadurch dargestellt werden, dass eine derar-
tige Ausgabe entsprechender Anzeigesignale (A1, A2) von
der Steuerung ausgegeben werden umfasst, so dass die
Auswahl, ob eine den Betrieb des Kraftfahrzeuges (1)
betreffende Information mittels des ersten Displays (11) oder
mittels des zweiten Displays (12) dargestellt wird, in Abhän-
gigkeit der Wertigkeit erfolgt.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 10 wird erneut auf die Akte verwiesen.

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4. Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrundeliegen, eine besonders gut für
Kraftfahrzeuge geeignete Anzeigevorrichtung zu schaffen bzw. die Bedienung
eines Kraftfahrzeugs weiter zu verbessern (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0004]).
5. Folgende Druckschriften sind im Laufe des Verfahrens entgegengehalten
worden:
D1 US 6 661 425 B1
D2 DE 20 41 460 A
D3 US 2005 / 52 341 A1 (siehe Anmerkung)
D4 WO 00 / 21 795 A1
D5 EP 1 055 543 A2
Anmerkung: Die Druckschrift D3 wird im Erstbescheid auf Seite 1 als
US 2005 / 52 231 A1 bezeichnet; in dessen Anlagenverzeichnis hingegen als
US 2005 / 52 341 A1. Im Zurückweisungsbeschluss ist wieder die erstere End-
Nummer „231“ angegeben. Die Zitate im Erstbescheid (Seite 2 – Zu Patentan-
spruch 7) verdeutlichen jedoch, dass nur die US 2005 / 52 341 A1 gemeint sein
kann.


II.

Die Beschwerde ist rechtzeitig eingegangen und auch sonst zulässig. Sie hat
jedoch keinen Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weder in der
Fassung nach Hauptantrag noch in der Fassung nach Hilfsantrag 1 oder Hilfsan-
trag 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (§ 4 PatG).

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1. Die vorliegende Patentanmeldung betrifft eine Anzeigevorrichtung, insbe-
sondere für ein Kraftfahrzeug.
In der Anmeldung wird ausgeführt, dass sich mit der Zunahme von Funktionalitä-
ten eines Kraftfahrzeugs die Aufgabe stelle, Anzeigen und Bedienelemente für
verschiedene Funktionen so zu gestalten, dass diese für einen Fahrer eines Kraft-
fahrzeugs besonders einfach zu erkennen bzw. zu bedienen seien.
Aus dem Stand der Technik seien verschiedene Lösungen dieses Problems be-
kannt. So werde z. B. ein Display- oder Anzeigefeld mehrteilig ausgebildet, wobei
ein Teil des Anzeigefeldes als Informations-Panel diene, um Informationen eines
ausgewählten Menüs sowie gegebenenfalls wichtige Informationen anderer Funk-
tionsgruppen wiederzugeben. Auf dem restlichen Teil des Anzeigefeldes würden
Funktions- und/oder Statusanzeigen derart angezeigt, dass sie jeweils einem Be-
dienelement zugewiesen seien, welches in diesem Auswahlmenü mit der jewei-
ligen Bedienungsfunktion belegt sei.
Um die Informationsanzeige weiter zu verbessern, schlägt die Anmeldung vor,
über einem ersten Display zur optischen Darstellung von Informationen (mindes-
tens) ein weiteres Display zur optischen Darstellung von Informationen vorzuse-
hen, das (jeweils) transparent ist, so dass eine auf dem ersten Display dargestellte
Information durch das weitere Display (bzw. die weiteren Displays) hindurch sicht-
bar ist. Ferner soll den darzustellenden Informationen eine Wertigkeit zugeordnet
sein; die Entscheidung, auf welchem der Displays eine jeweilige Information dar-
gestellt wird, erfolgt dann in Abhängigkeit von dieser Wertigkeit.
Während der Hauptantrag ganz allgemein eine Anzeigevorrichtung beansprucht,
ist der Hilfsantrag 1 auf ein Kraftfahrzeug mit einer solche Anzeigevorrichtung, und
der Hilfsantrag 2 auf ein Verfahren zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges mit einer
solchen Anzeigevorrichtung gerichtet. Davon abgesehen, unterscheiden sich die
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drei Anträge nur in der Formulierung einzelner Merkmale, ohne dass aber in tech-
nischer Hinsicht ein zu berücksichtigender Unterschied vorläge.
Als Fachmann, der mit der Aufgabe betraut wird, Anzeigen und Bedienelemente
für Funktionen eines Kraftfahrzeugs so zu gestalten, dass diese für einen Fahrer
besonders einfach zu bedienen sind, ist hier ein Entwicklungsingenieur für Fahr-
zeug-Cockpits mit Fachhochschul-Abschluss in einem Studiengang der Elektro-
technik und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet von Mensch-Maschine-
Schnittstellen anzusehen.
2. Der Hauptantrag hat keinen Erfolg, weil der Gegenstand seines Patentan-
spruchs 1 für den Fachmann nahelag.
2.1 Das lässt sich allerdings nicht mit der von der Prüfungsstelle für den
Zurückweisungsbeschluss herangezogenen Druckschrift D1 (US 6 661 425 B1)
begründen. Die dagegen gerichteten Argumente der Anmelderin sind berechtigt.
2.1.1 Es ist bereits nicht nachvollziehbar, warum die Prüfungsstelle das Merk-
mal M5, dass den „Informationen eine Wertigkeit zugeordnet ist“, bei der Beurtei-
lung der Patentfähigkeit nicht berücksichtigen will. Auch wenn durch die Zuord-
nung einer Wertigkeit zu den Informationen nach Merkmal M5 die beanspruchte
„Anzeigevorrichtung“ selbst nicht unmittelbar ausgebildet ist, so bekommt das
Merkmal dennoch eine Bedeutung durch die Formulierung in Merkmal M6, dass
die Auswahl des Displays für die Darstellung der jeweiligen Information „in Abhän-
gigkeit von der Wertigkeit“ erfolgen soll. Wenn man Merkmal M5 ignoriert, hätte
die Wertigkeit in Merkmal M6 nur die Bedeutung „irgendeines Parameters“. Das ist
aber nicht die Lehre der Anmeldung. Vielmehr muss Merkmal M6 im Lichte von
Merkmal M5 so verstanden werden, dass die Auswahl des Displays in Abhängig-
keit von der den darzustellenden Informationen jeweils zugeordneten Wertigkeit
erfolgen soll. Entgegen den Ausführungen der Prüfungsstelle ist damit nicht nur
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die Fähigkeit beansprucht, „die einzelnen Displays mit den darzustellenden Infor-
mationen zu steuern“ in Abhängigkeit irgendeines Entscheidungskriteriums – viel-
mehr lehrt und beansprucht die Anmeldung das Steuern in Abhängigkeit einer den
Informationen jeweils zugeordneten (und nicht anderweitig bestimmten) Wertig-
keit.
2.1.2 Die Druckschrift D1 geht von dem Problem bekannter grafischer Benutzer-
oberflächen aus, dass im Falle mehrerer anzuzeigender Fenster auf einem (einzi-
gen) Display nur das vorderste Fenster vollständig sichtbar ist, während hinten lie-
gende Fenster teilweise verdeckt sind. Zur Verbesserung werden verschiedene
Anordnungen von zwei separaten Displays vorgeschlagen, die es erlauben, auch
die weiter hinten liegenden Informationen bis zu einem gewissen Grade mit sicht-
bar zu machen (siehe insbesondere Spalte 1 Zeile 20 bis 42, Spalte 2 Zeile 58 ff.,
Spalte 4 Zeile 47 bis 59).
Dabei zeigt Figur 6 eine Anzeigevorrichtung mit einem ersten Display 123 und
einem darüber angeordneten zweiten Display 122, welches transparent ist, so
dass eine auf dem ersten Display 123 dargestellte Information durch das zweite
Display 122 hindurch sichtbar ist (siehe insbesondere Spalte 24 Zeile 32 ff.), über-
einstimmend mit den Merkmalen M1, M2, M3 und M4 des Patentanspruchs 1 des
Hauptantrags. Ferner ist ein Mechanismus 121 beschrieben zur Änderung des
Abstands zwischen den Displays (Spalte 24 Zeile 40 bis 43). Dass diese Anzeige-
vorrichtung in einem Kraftfahrzeug angeordnet sein sollte, ist nicht angegeben.
Darüber hinaus ist der D1, in teilweiser Übereinstimmung mit dem Merkmal M6, in
Figur 1 eine Steuerung 111 entnehmbar zur Darstellung unterschiedlicher Informa-
tionen auf den Displays (122, 123) durch eine derartige Ausgabe entsprechender
Anzeigesignale (23, 24), wobei die Auswahl, ob eine Information mittels des ersten
Displays (123) oder mittels des zweiten Displays (122) dargestellt wird, in Abhän-
gigkeit von einer „superposing area designating information 10“ erfolgt (siehe
Spalte 8 Zeile 53 bis 61).
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Der wesentliche Unterschied zur Anmeldung ist darin zu sehen, dass nach der
Lehre der D1 ein (einziges) Originalbild 20 in zwei Teilbilder aufgeteilt wird (base
image (second image) 22, image for display in superposition (first image) 21 –
siehe Spalte 14 Zeile 7 ff.), um diese dann getrennt auf zwei Displays anzuzeigen.
Dabei ist es nicht vorgesehen, den Teilbildern eine „Wertigkeit“ zuzuordnen. Dem-
gegenüber beansprucht die Anmeldung die Zuordnung unterschiedlicher, unab-
hängiger Informationen zu zwei oder mehr Displays anhand einer den Informatio-
nen jeweils zugeordneten Wertigkeit.
Die Druckschrift D1 liefert – aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituation –
auch keinerlei Anregung, den Teilbildern eine Wertigkeit zuzuordnen, welche die
Auswahl des Displays steuert, auf welchem ein Teilbild dargestellt werden soll.
2.2 Hingegen legt die nachträglich ermittelte Druckschrift D5 (EP 1 055 543 A2)
die mit dem Hauptantrag beanspruchte Anzeigevorrichtung nahe.
D5 beschreibt für ein Kraftfahrzeug ein Anzeigeinstrument (1) mit mehreren „Dar-
stellungsebenen“ (2, 3, 4). Wie sich den Absätzen [0005] bis [0007] entnehmen
lässt, soll zumindest die erste „Darstellungsebene“ austauschbar mit dem Anzei-
geinstrument verbunden sein, zum Beispiel mittels einer Steckverbindung. Figur 2
zeigt eine Seitenansicht des Anzeigeinstrumentes mit einem Gehäuse 10 und drei
„Darstellungsebenen“ 2, 3, 4, welche seitlich jeweils eine eigene Steckverbin-
dung 11 besitzen (Absatz [0017]). Daraus entnimmt der Fachmann, dass jede
„Darstellungsebene“ ein einzelnes Display sein muss. Für die erste Darstellungs-
ebene ist ein zumindest teilweise transparenter Zustand einstellbar (siehe D5
Anspruch 1). Somit lassen sich hier mehrere übereinander gestapelte, teilweise
transparent einstellbare Displays entnehmen (Merkmale M1, M2, M3 und M4 –
auch explizit für Kraftfahrzeuge).
Darüber hinaus befasst sich Absatz [0016] der D5 mit der Zuordnung der darzu-
stellenden Informationen: Die gewünschte Darstellungsebene, d. h. das Display
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auf dem eine Information dargestellt werden soll, ist hier grundsätzlich frei aus-
wählbar, beispielsweise nach den aktuellen Betriebsbedingungen. „So können bei-
spielsweise Warnhinweise in der ersten … Darstellungsebene 2 erscheinen, um
so die unmittelbare Aufmerksamkeit des Fahrers zu erreichen.“
Der Fachmann entnimmt hier die Anregung, dass die darzustellenden Informatio-
nen von ihrer Art her (hier etwa: Warnhinweise im Vergleich mit „anderen“ Infor-
mationen) nicht alle gleichwertig sind, und dass eine Auswahl des Darstellungs-
Displays (hier: in der ersten Darstellungsebene) abhängig von der Wertigkeit der
Informationen erfolgen könnte. Ausgehend von dieser Anregung gelangt der Fach-
mann ohne Weiteres zu einer Anzeigevorrichtung mit einer Steuerung gemäß
Merkmal M6, wobei die Wertigkeit („Warnhinweise“) jeweils der Information selbst
zugeordnet ist (Merkmal M5).
2.3 Die dagegen gerichtete Argumentation der Anmelderin hat den Senat nicht
überzeugt.
2.3.1 Die Anmelderin hat zunächst geltend gemacht, dass der Begriff „Wertigkeit“
mehr umfasse als nur eine einfache Kategorisierung von Informationen. Dazu hat
sie verwiesen auf Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Auflage (2016),
Seite 27 / 28 (insbesondere Rn. 44), wonach es bei der Auslegung von Begriffen
i. d. R. angezeigt sei, auf den „üblichen Sprachgebrauch und Begriffsinhalt zurück“
zu greifen, wohingegen erst besonders zu prüfen sein, ob „sich der Anmelder die-
ses üblichen Sprachgebrauchs – ausnahmsweise – nicht bedient“ habe. Im vorlie-
genden Fall bedeute „Wertigkeit“ eine unterschiedliche Gewichtung von Informa-
tionen und nicht nur eine Kategorisierung.
Nachdem aber aus der Druckschrift D5 gerade diese unterschiedliche Gewichtung
darzustellender Informationen (Absatz [0016]: „Warnhinweise in der ersten … Dar-
stellungsebene“) bereits hervorgeht, ist die fragliche Unterscheidung für die Beur-
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teilung des Patentanspruchs 1 nicht mehr von Bedeutung. Die Frage kann offen
bleiben.
2.3.2 Ferner hat die Anmelderin anhand vorgelegter Diagramme erläutert, dass
die Steuerung der Anzeige nach Merkmal M6 einen zusätzlichen Aspekt aufweise,
der sich der Druckschrift D5 nicht entnehmen lasse.
Denn anmeldungsgemäß stelle die Wertigkeit einen eigenen Steuerungsparame-
ter dar, der von der Anzeige-Steuerung (10) nach Merkmal M6 zunächst, z. B.
anhand einer Tabelle, umgesetzt werden müsste in eine Freischaltung eines be-
stimmten Displays. Insbesondere könne es mehr oder weniger Wertigkeiten geben
als Displays (vgl. Offenlegungsschrift Absatz [0038] und Tabelle 1: drei Wertigkei-
ten, zwei oder drei oder vier Displays). Hingegen kenne der Stand der Technik nur
eine feste Zuordnung von Informationen zu Displays.
Dem kann nur teilweise gefolgt werden. Zwar ist zuzustimmen, dass die anmel-
dungsgemäß vorgeschlagene, den Informationen jeweils zugeordnete Wertigkeit
noch, wie Absatz [0038] entnehmbar, in eine Zuordnung zu einem bestimmten
Display umgesetzt werden muss. Wenn dies jedoch in der beanspruchten Steu-
erung implementiert ist, liegt genauso eine „feste“ Zuordnung von Informationen
zu Displays vor wie im Stand der Technik, etwa gemäß D5.
Die beanspruchte Zuordnung einer Information zu einem Display mag allein hin-
sichtlich des Zwischenschritts der Umsetzung der „Wertigkeit“ zwar gegenüber D5
neu sein; das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit lässt sich damit aber nicht
begründen. Der Durchschnittsfachmann, der in der Anzeige-Steuerung letztlich
eine Zuordnung einer Information zu einem bestimmten Display implementieren
muss, hat Anlass zu fachmännischen Überlegungen, wie er die Zuordnung reali-
sieren könnte; dazu gibt ihm die D5 mit der Lehre, „Warnhinweise in der ersten …
Darstellungsebene“ darzustellen, noch die Anregung, von Informationen unter-
schiedlicher Gewichtung auszugehen und diese unterschiedlich zu behandeln.
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Umsetzungstabellen, welche die Gewichtung einbeziehen, sind dafür das übliche
„Mittel der Wahl“.
Die grundsätzliche Frage, ob dieser Zwischenschritt einer Zuordnung von Informa-
tionen zu Displays anhand einer Informations-Kategorie („Wertigkeit“) überhaupt
zu einer technischen Problemlösung beiträgt oder andernfalls bei der Prüfung auf
erfinderische Tätigkeit gar nicht zu berücksichtigen wäre (vgl. BGH GRUR 2011,
125 – Wiedergabe topografischer Informationen, Leitsatz b), kann angesichts der
vorgenommenen Beurteilung dahingestellt bleiben.
2.4 Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die übrigen Ansprüche des Hauptan-
trags, weil über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.
3. Die Hilfsanträge 1 und 2 sind nicht anders zu beurteilen als der Hauptan-
trag.
3.1 Der Hilfsantrag 1 hat keinen Erfolg, weil sein Patentanspruch 1 so wie der
Patentanspruch 1 des Hauptantrags für den Fachmann nahelag.
3.1.1 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Patentan-
spruch 1 des Hauptantrags vor allem durch den Gattungsbegriff „Kraftfahrzeug (1)
mit einer Anzeigevorrichtung (4) zur Anzeige von den Betrieb des Kraftfahrzeu-
ges (1) betreffenden Informationen“. Die Unterschiede in den Merkmalen M2´ und
M3´ stellen nur sprachliche Anpassungen dar, ohne in technischer Hinsicht etwas
hinzuzufügen oder wegzulassen. Die Merkmale M4, M5 und M6 stimmen mit dem
Hauptantrag überein.
3.1.2 Der Hilfsantrag 1 ist zulässig. Die ursprüngliche Offenbarung der geänder-
ten Merkmale seines Anspruchs 1 ist gegeben, da beispielsweise Figur 1 ein sol-
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ches „Kraftfahrzeug mit einer Anzeigevorrichtung …“ zeigt und auch die Beschrei-
bung (vgl. etwa die Absätze [0020] oder [0029]) keine Zweifel aufkommen lässt.
3.1.3 Die Begründung der Prüfungsstelle, dass der Hilfsantrag 1 unzulässig sei,
ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Im Zurückweisungsbeschluss wird unter dem Gliederungspunkt II 4. festgestellt,
dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 nicht in den
ursprünglichen Unterlagen offenbart und somit unzulässig sei, denn er richte sich
nicht mehr auf eine Anzeigevorrichtung, sondern auf ein Kraftfahrzeug mit einer
Anzeigevorrichtung.
Ein Kraftfahrzeug mit einer Anzeigevorrichtung sei jedoch in den eingereichten
Anmeldungsunterlagen vom 27. September 2006 nicht offenbart. Zwar gebe die
ursprüngliche Beschreibung im 5. Absatz auf Seite 3 an, dass die Aufgabe zudem
durch ein Verfahren zum Betrieb eines – insbesondere eines oder mehrere der
vorgenannten Merkmale umfassenden – Kraftfahrzeuges mit einer Anzeigevor-
richtung zur Anzeige von den Betrieb des Kraftfahrzeuges betreffenden Informa-
tionen gelöst werde. Diese Passage werte der unbefangene Fachmann aber
dahingehend, dass hier eine Betriebsweise der Anzeigevorrichtung speziell in
einem Kraftfahrzeug angerissen sei. Zwar gebe die ursprüngliche Beschreibung
im 4. Absatz auf Seite 4 an, dass die Fig. 1 ein Ausführungsbeispiel eines Kraft-
fahrzeuges 1 in einer Innenansicht mit einem Lenkrad 2, einem Armaturenbrett 3
und einer Anzeigevorrichtung 4 zeige. Auch hier erkenne der unbefangene Fach-
mann, dass die Fig. 1 in Verbindung mit der zugehörigen Textstelle ein Ausfüh-
rungsbeispiel für die erfindungsgemäße Anzeigevorrichtung offenbare, wie es
speziell im Inneren eines Kraftfahrzeugs zum Einsatz kommt. Da die Figuren 2 bis
4 mit der zugehörigen Beschreibung und die ursprünglichen Patentansprüche 1
bis 9 allesamt nur eine Anzeigevorrichtung beträfen, stellten diese beiden Textstel-
len der ursprünglichen Beschreibung keine Offenbarungsstellen für einen, auf ein
„Kraftfahrzeug“ gerichteten Patentanspruch dar.
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Dieser Argumentationsgang hinterlässt den unbefangenen Leser ratlos. Nachdem
die Prüfungsstelle anscheinend zugesteht, dass gemäß der ursprünglichen Be-
schreibung z. B. Figur 1 der Anmeldung ein Ausführungsbeispiel eines Kraftfahr-
zeuges mit einer Anzeigevorrichtung zeige, bestreitet sie im Folgenden, dass der
Fachmann dies auch so verstehe. Eine logische, nachvollziehbare Begründung
dafür kann der Senat dem Beschluss jedoch nicht entnehmen.
Die Prüfungsstelle bezieht sich insbesondere auf eine Entscheidung des Bundes-
gerichtshofs (BGH GRUR 2013, 809 – Verschlüsselungsverfahren, Rn. 11), in wel-
cher ausgeführt ist, eine unzulässige Erweiterung liege vor, wenn der Gegenstand
der Anmeldung über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunter-
lagen hinaus zu einem Aliud abgewandelt wird. Dies sei unter anderem dann der
Fall, wenn die Hinzufügung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich
eingereichten Unterlagen in seiner konkreten Ausgestaltung oder wenigstens in
abstrakter Form nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist. Ein solcher
Fall liegt hier aber nicht vor. Zum einen zeigt z. B. Figur 1 ein Ausführungsbeispiel
eines Kraftfahrzeuges mit einer Anzeigevorrichtung. Zum anderen führt schon die
Überlegung des Fachmanns, eine Betriebsweise einer Anzeigevorrichtung so aus-
zulegen, dass sie mit Vorteil speziell in einem Kraftfahrzeug eingesetzt werden
kann, ganz automatisch zu einem Kraftfahrzeug, in welches eine solche Anzeige-
vorrichtung eingebaut ist. Der Senat sieht keinen Grund, der Anmelderin einen
darauf gerichteten Patentanspruch zu verwehren.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es (lediglich) erforderlich,
dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ur-
sprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der
Erfindung entnehmen kann; dabei ist eine unangemessene Beschränkung des
Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Anmeldung zu
vermeiden (BGH GRUR 2015, 976 – Einspritzventil, Rn. 45). Auf jeden Fall kommt
den mit der Anmeldung ursprünglich formulierten Patentansprüchen im Rahmen
des Erteilungsverfahrens keine eine weitergehende Offenbarung in der Beschrei-
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bung einschränkende Bedeutung zu (BGH GRUR 2005, 1023 – Einkaufswa-
gen II).
Irgendeine Norm der Art, dass sich der Anmelder mit seinen Patentansprüchen
auf einen „Kern der Erfindung“ beschränken müsste, existiert nicht. Vielmehr kann
der Anmelder die Erteilung des Patents grundsätzlich mit dem Inhalt (d. h.: mit
jedem Inhalt) verlangen, der der gegebenen neuen Lehre entspricht. „Die Ent-
scheidung darüber, welchen Inhalt das Schutzrecht letztlich haben soll, muss
demjenigen überlassen sein, der es wirtschaftlich nutzen will“ (BGH GRUR 1989,
103 – Verschlussvorrichtung für Gießpfannen, III. 2d). Vgl. dazu auch die Senats-
entscheidungen 17 W (pat) 49/07 und 17 W (pat) 87/07.
Davon ausgehend, ist kein Grund für eine Ablehnung des Patentanspruchs 1 nach
Hilfsantrag 1 ersichtlich. Der Fachmann erkennt in der vorliegenden Anmeldung
unschwer auch ein „Kraftfahrzeug mit einer Anzeigevorrichtung“. Für die Beurtei-
lung der Prüfungsstelle fehlt jegliche Grundlage, sie erweist sich auch nicht aus
anderen Überlegungen heraus als richtig. Hingegen ist gut nachvollziehbar, dass
sich die Anmelderin die in dem Beschluss vertretene Auffassung nur durch Befan-
genheit des Prüfers erklären könnte.
3.1.4 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht jedoch nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit.
Denn die Druckschrift D5 beschreibt ein „Anzeigeinstrument für ein Kraftfahrzeug“
(siehe Absatz [0001] bzw. Anspruch 1), so dass hier auch ein „Kraftfahrzeug mit
einer Anzeigevorrichtung“ entnehmbar ist. Für die übrigen Merkmale des Patent-
anspruchs 1 gilt das oben in den Absätzen 2.2 und 2.3 Festgestellte.
Mit dem Patentanspruch 1 fällt wiederum der gesamte Antrag, da über einen
Antrag nur einheitlich entschieden werden kann.

- 20 -
3.2 Auch der Hilfsantrag 2 kann nicht anders als Hauptantrag beurteilt werden.
Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich vom Patentan-
spruch 1 des Hauptantrags durch die Formulierung als Verfahrensanspruch, er ist
auf ein „Verfahren zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges (1) mit einer Anzeigevorrich-
tung (4) zur Anzeige von Informationen“ gerichtet. Die Unterschiede in den Merk-
malen M2´´, M3´´, M5´´ und M6´´ bestehen in einer Formulierung als Verfahrens-
schritte und geringfügigen sprachliche Anpassungen, ohne dass in technischer
Hinsicht noch irgendein anderer Unterschied vorläge.
Da sich aber aus der Druckschrift D5 auch ein solches Verfahren ergibt, lag der
Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 – mit derselben Argu-
mentation wie beim Hauptantrag, s. o. Abschnitte 2.2 / 2.3 – für den Fachmann
nahe.

Mit dem Patentanspruch 1 fällt der gesamte Antrag, da über einen Antrag nur ein-
heitlich entschieden werden kann.


III.

Der Senat hat trotz der erheblichen Verfahrensmängel im bisherigen Prüfungs-
verfahren von einer Zurückverweisung abgesehen und selbst abschließend über
die vorliegende Beschwerde entschieden, um der Anmelderin eine weitere Verfah-
rensverzögerung zu ersparen.
1. Die Behandlung des (ersten) Ablehnungsgesuchs der Anmelderin vom
20. Januar 2016 entsprach nicht der gesetzlichen Vorschrift.
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Gemäß § 27 Abs. 6 PatG gelten für die Ausschließung und Ablehnung der Prüfer
und der übrigen Mitglieder der Patentabteilungen die §§ 41 bis 44, 45 Abs. 2
Satz 2, §§ 47 bis 49 der Zivilprozessordnung über Ausschließung und Ablehnung
von Gerichtspersonen sinngemäß. Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet die
Patentabteilung (§ 27 Abs. 6 Satz 3 PatG). Bis zu einer Entscheidung über das
Ablehnungsgesuch darf der Abgelehnte nur noch unaufschiebbare Handlungen
vornehmen (§ 47 ZPO). Die Durchführung einer Anhörung gehört nicht dazu.
Somit hätte auf die Eingabe der Anmelderin vom 20. Januar 2016 hin, in welcher
der zuständige Prüfer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, der
Vorgang zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch unverzüglich an die
Patentabteilung abgegeben werden müssen. Stattdessen den Anhörungstermin
bestehen zu lassen und die Anhörung durchzuführen stellt einen erheblichen Ver-
fahrensfehler dar.
Allerdings verliert das Ablehnungsrecht, wer sich in Kenntnis eines Ablehnungs-
grunds auf eine Verhandlung bei dem abzulehnenden Bediensteten einlässt, ins-
besondere Anträge bei ihm stellt (§ 43 ZPO; wortgleich Busse, PatG, 7. Aufl., § 27
Rdnr. 67). Der genannte Verfahrensfehler wurde daher, unabhängig von der
erklärten Rücknahme des Ablehnungsgesuchs, schon dadurch geheilt, dass sich
die Anmelderin auf die Anhörung vom 5. Februar 2016 bei dem zuvor abgelehnten
Prüfer eingelassen und Anträge gestellt hat.
2. Auch die Behandlung des (zweiten) Ablehnungsgesuchs der Anmelderin
vom 24. Mai 2016 war fehlerhaft.
Mit der Beschwerdebegründung vom 24. Mai 2016 hat die Anmelderin beantragt,
den zuständigen Prüfer von dem Verfahren abzuziehen und einen anderen Prüfer
über die Abhilfe entscheiden zu lassen. Zwar hat sie hier – anders als im Vorver-
fahren – nicht explizit den Ausdruck „Ablehnung wegen der Besorgnis der Befan-
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genheit“ benützt. Ihr Antrag, die Sache einem anderen Prüfer zuzuweisen, weil sie
sich „die in dem Beschluss vertretene Auffassung nur durch Befangenheit des
Prüfers erklären“ könne, war jedoch sowohl nach der durch Auslegung zu ermit-
telnden Absicht des Vortrags als auch in Verbindung mit der Vorgeschichte nicht
anders als ein erneutes Ablehnungsgesuch wegen der Besorgnis der Befangen-
heit zu verstehen.
Auch im Verfahren über die Abhilfe ist ein Ablehnungsgesuch möglich. Es hat zur
Folge, dass der abgelehnte Prüfer – trotz der laufenden Drei-Monats-Frist – nicht
über die Abhilfe entscheiden darf (BPatGE 27, 23; Schulte, PatG, 9. Auflage
(2013), § 27 Rdnr. 41). Der Vorgang hätte auch diesmal zur Entscheidung über
das Ablehnungsgesuch an die Patentabteilung abgegeben werden müssen.
Die stattdessen erfolgte Entscheidung durch den abgelehnten Prüfer, der Be-
schwerde nicht abzuhelfen, stellt sonach einen zweiten erheblichen Verfahrens-
fehler dar.
Jedoch kann der Senat trotz des fehlerhaften Abhilfeverfahrens in der Sache
selbst entscheiden, denn die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfah-
rens ist nicht Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren (Zöller /
Heßler, ZPO, 31. Auflage (2016), § 572 Rdnr. 4 und 16). Eine Zurückverweisung,
hier mit dem Ziel der Behebung des letztgenannten Verfahrensfehlers, steht im
Ermessen des Gerichts, das auch bei einem schweren Verfahrensverstoß von
einer Zurückverweisung absehen und selbst abschließend entscheiden kann
(Schulte, a. a. O., § 79 Rdnr. 17; Zöller, § 572 Rdnr. 4). Das sieht der Senat ange-
sichts der Vorgeschichte im vorliegenden Fall für sachgerecht an.
3. Hinzu kommt noch Folgendes: Der Vertreter der Anmelderin hat in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat über den Ablauf der Anhörung vom
5. Februar 2016 berichtet. Dabei wurde deutlich, dass wohl außer den in der „Nie-
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derschrift über die Anhörung“ vermerkten Teilnehmern eine weitere Person dau-
ernd anwesend war.

Der Senat hält es nicht für angebracht, hierzu den Sachverhalt weiter aufzuklären,
da dies letztlich für die sachliche Beurteilung vor dem Senat nicht entscheidungs-
erheblich ist. Er verweist jedoch ausdrücklich auf die Beweiskraft des Protokolls
und den Urkunden-Charakter der „Niederschrift“, was den Protokollführer zur
Wahrheit verpflichtet. Weitere Personen in einer Anhörung können das Verhalten
und die Unbefangenheit des Anmelders beeinflussen; deren Aufzählung und
Erwähnung kann folglich für die Beurteilung der Anhörung wesentlich sein. Eine
fehlende Angabe von Teilnehmern der Anhörung im Protokoll würde insoweit
ebenfalls einen erheblichen Verfahrensverstoß darstellen.


IV.

Angesichts der Vielzahl von Verfahrensverstößen ordnet der Senat die Rückzah-
lung der Beschwerdegebühr gemäß § 80 Abs. 3 PatG an. Dies entspricht im vor-
liegenden Fall der Billigkeit. Die Anordnung der Rückzahlung ist Ausdruck der
Überzeugung des Gerichts, dass die Einbehaltung der Gebühr der Gerechtigkeit
widersprechen würde (Schulte, PatG, 9. Aufl., § 73 Rdnr. 135).
Bereits die falsche Behandlung beider Ablehnungsgesuche durch den betroffenen
Prüfer (s. o. III. Abs. 1 und 2) rechtfertigt hier die Rückzahlung. Es zeugt von
einem fehlenden Rechtsverständnis, wenn ein als „befangen“ abgelehnter Prüfer
ohne weiteres selbst entscheidet, dass der Beschwerde nicht abzuhelfen sei.
Darüber hinaus ist auch die Begründung im Zurückweisungsbeschluss, mit der der
Hilfsantrag 1 für unzulässig erklärt wird (s. o. II. Abs. 3.1.3), nicht im Geringsten
nachvollziehbar und im Ergebnis unvertretbar. Damit leidet der Beschluss auch
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noch an einem wesentlichen Begründungsmangel, der ebenfalls eine Rückzah-
lung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen rechtfertigt.
Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Rich-
teramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit
mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, so-
fern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zuge-
stimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.



Dr. Morawek Eder Baumgardt Hoffmann


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