17 W (pat) 21/15  - 17. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



17 W (pat) 21/15
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
3. August 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2014 202 004.2








hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 3. August 2017 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterinnen Eder,
Dipl.-Phys. Dr. Thum-Rung und des Richters Dipl.-Phys. Dr. Forkel
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beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 4. Februar 2014 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung

„Verfahren zur Auslegung eines Fahrerassistenzsystems“.

Die Anmeldung wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G06F des Deutschen
Patent- und Markenamtes mit Beschluss vom 25. Februar 2015 zurückgewiesen.
Zur Begründung führte die Prüfungsstelle aus, dass der Gegenstand des Patent-
anspruchs 1 ein allgemein für die Auslegung von Fahrerassistenzsystemen an-
wendbares Verfahren darstelle, dessen Schritte eine mathematische Methode als
solche darstellten. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 falle damit unter das
Patentierungsverbot des § 1 PatG und sei daher nicht gewährbar.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

Die Anmelderin stellt den Antrag,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1–5 und
Beschreibung Seiten 1–11, jeweils vom Anmeldetag.
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Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurde auf die
Druckschrift

D1: HAUTZINGER, H. [u. a.]: Summary Report of Work Package 7 „Statisti-
cal Methods“. Project No. 027763 – TRACE, Traffic Accident Causation in
Europe, Deliverable 7.5, 2008.
URL:

19058595.pdf>

hingewiesen.

Der geltende Patentanspruch 1, hier mit einer denkbaren Gliederung versehen,
lautet:

(a) Verfahren zur Auslegung eines Fahrerassistenzsystems im Hinblick auf
eine Verringerung der Anzahl und der Konsequenzen von Verkehrsunfäl-
len, wobei

(b) ein Systemkonzept dahingehend bewertet wird, wie viel Prozent eines Ge-
samtschadens jeweils bei einem Unfall eines bestimmten Typs vermieden
werden kann,

dadurch gekennzeichnet, dass

(c) mindestens eine statistische Hypothese getestet und

(d) aufgrund des Ausgangs eines jeweiligen Testes die Notwendigkeit von
mindestens einem Ersatzwert festgestellt wird, wobei
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(e) zur Durchführung eines Hypothesentests ein definiertes Konfidenzniveau
(z. B., 95%, 99%) vorgegeben wird.

Zu den übrigen Patentansprüchen und den weiteren Einzelheiten wird auf die Akte
verwiesen.

Die Anmelderin trägt vor, dass in der Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen
das Wissen um Falschreaktionen eine erhebliche Rolle spiele. Da nicht alle Ver-
kehrssituationen experimentell getestet werden könnten, würden Unfallsituationen
unter Rückgriff auf behördliche Unfall-Datenbanken simuliert. Das beanspruchte
Verfahren könne hierbei trotz lückenhafter Unfalldaten wichtige Hinweise zur Aus-
legung eines Fahrerassistenzsystems liefern.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht nur dem Patentschutz grund-
sätzlich zugänglich, er sei unter Berücksichtigung des eingeführten Standes der
Technik neu und beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit.


II.

Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie hat
jedoch keinen Erfolg, weil die im geltenden Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre
vom Patentschutz gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 PatG ausgeschlossen ist
(„mathematische Methode als solche“).

1. Der Gegenstand der Anmeldung betrifft ein Verfahren zur optimalen Ausle-
gung eines Fahrerassistenzsystems zur Verringerung der Anzahl und der Konse-
quenzen von Verkehrsunfällen (Offenlegungsschrift, Absatz [0001]).

Ausweislich der Anmeldung sind Fahrerassistenzsysteme (FAS) zur Vermeidung
von Unfällen im Stand der Technik heute weithin bekannt. FAS träten zu einem
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oder mehreren bestimmten Zeitpunkten ein mit Informationen, Warnungen,
Bremsverstärkungen, Stabilisierungsmaßnahmen oder auch automatischen Inter-
ventionen, um Unfälle zu verhindern oder abzumildern. Assistenzsysteme zur Ver-
meidung von Unfällen verknüpften unterschiedliche Datenquellen und Sensoren,
um Bewegungsabläufe der Verkehrsteilnehmer, Charakteristiken und Randbedin-
gungen der Fahrzeugumgebung zu erfassen bzw. vorherzusagen. Dadurch wür-
den mit Hilfe mehrerer Steuerungs- und Auslösealgorithmen die Art, die Intensität
und die Zeitpunkte der Handlungen des FAS bestimmt (Offenlegungsschrift, Ab-
satz [0002]).

Einerseits könne es passieren, dass ein Unfall trotz des Fahrerassistenzsystems
weder verhindert noch gemildert werde, beispielsweise wenn der Systemeingriff
gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht intensiv genug erfolge. Daher betreffe ein
erster Aspekt der Qualität die Maximierung der Effektivität zur Vermeidung bzw.
Milderung von Unfällen. Andererseits könne es aber auch passieren, dass ein
FAS-Eingriff erfolge, ohne dass es zu einem Unfall gekommen wäre. Solche Ein-
griffe würden hier als falschpositive Handlungen bezeichnet und seien aus mehre-
ren Gründen in der Praxis unerwünscht: eine automatische Intervention könne
etwa die Kontrollierbarkeit des Fahrens beeinträchtigen, aber auch zu häufige
Warnungen, die vom Fahrer als überflüssig erkannt würden, könnten zu einer ver-
ringerten Sensibilisierung auf Warnungen oder zum Verzicht des Fahrers auf die
Nutzung von FAS führen und trügen somit indirekt zur Verringerung der Wirksam-
keit bei. Daher betreffe ein zweiter Aspekt der Qualität die Minimierung der Häu-
figkeit falschpositiver Handlungen (Offenlegungsschrift, Absätze [0003] bis [0006]).

Im Rahmen der Auslegung eines Fahrerassistenzsystems gehe es häufig um Fra-
gestellungen wie z. B., ob mit einem Systemkonzept mehr als X % des Schadens
aus Unfällen eines bestimmten Typs (etwa Unfälle mit Fußgängern) vermieden
werden könne (Offenlegungsschrift, Absatz [0007]).
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In Hinblick auf die Ermittlung einer Wahrscheinlichkeit für die Unfallschadenver-
meidung durch ein FAS geht die Anmeldung von einem Stand der Technik aus,
bei dem in einer behördlich anerkannten Unfalldatenbank Stichproben aus einer
Menge von Unfällen mit und ohne Systemeingriff gezogen werden.

Das bekannte Verfahren soll in Folgendem bestehen: um geeignete Stichproben
zu definieren, würden die Unfälle einer Art mehreren objektiv definierten Katego-
rien zugeordnet (z. B. Kollisionsgeschwindigkeitsklassen; Lichtverhältnisse, wie
etwa Dunkelheit/Dämmerung/Helligkeit o. ä.). Die Unfälle der Datenbank würden
in virtuelle Zellen gruppiert, die durch die Kategorien eindeutig definiert seien. Je-
der für die Bewertung eines bestimmten Fahrerassistenzsystems relevante Unfall
werde einer der so definierten Zellen zugeordnet. Jede Zelle stehe dann für einen
bestimmten Anteil aller Unfälle der betrachteten Art. Ein Unfallschadenvermei-
dungswert ergebe sich aus dem Erwartungswert des Anteils des durch das Sys-
tem vermiedenen Schadens in den Unfällen einer Zelle. Die Gesamtschadenver-
meidung resultiere aus der Summe der Produkte der relativen Unfallhäufigkeiten
der Zellen mit den Unfallschadenvermeidungswerten der einzelnen Zellen (Offen-
legungsschrift, Absatz [0008]).

Falls jedoch in einem Land keine Unfallzahlen in den Zellen vorhanden, aber
aggregierte Summenhäufigkeiten der Kategorien bekannt seien, finde das aus
dem Stand der Technik bekannte IPFP-Verfahren („Iterative proportional fitting
procedure“) Anwendung, um Ersatzwerte für die Zellen zu generieren. Allerdings
führe das IPFP-Verfahren nicht notwendigerweise zu eindeutigen und wahrschein-
lichkeitstheoretisch bzw. statistisch begründeten Resultaten, z. B. für Odds-Ratios
(Quoten- bzw. Risikoverhältnisse; Offenlegungsschrift, Absätze [0009] bis [0015],
[0017]).

In Hinblick auf die optimale Auslegung eines Fahrerassistenzsystems bedeute
dies, dass in mindestens einem Land eine unbegründete Schätzung von Zellen-
häufigkeiten entstehe und damit die Qualität der Auslegung des betrachteten Fah-
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rerassistenzsystems beeinträchtigt werde. Weiterhin könne dies dazu führen, dass
ein Effektivitätsnachweis nicht gelinge. In solch einem Fall müsse ein Unterneh-
men, das in allen Ländern Sicherheitsstandards erfüllen möchte und hierfür auf
einen Nachweis in jedem Land angewiesen sei, teure Design-Änderungen oder
Nachrüstungen in Kauf nehmen (Offenlegungsschrift, Absatz [0017]).

Als Aufgabe wird in der Anmeldung genannt, ein eindeutiges und wahrscheinlich-
keitstheoretisch begründetes Verfahren zur Hochrechnung zu definieren und
anzuwenden, welche die aus dem Stand der Technik bekannten Defizite behebt
(Offenlegungsschrift, Absatz [0018]).

Als Fachmann zur Lösung der genannten Aufgabe ist im vorliegenden Fall ein
Mathematiker oder Informatiker anzusehen, welcher Erfahrung in der Entwicklung
von mathematischen Methoden in einem Entwicklungsbereich besitzt, der die Effi-
zienz von Fahrerassistenzsystemen bewerten muss und hierfür Kenntnisse in der
Anwendung statistischer Methoden besitzt.

2. Der Patentanspruch 1 schlägt zur Lösung der genannten Aufgabe ein Ver-
fahren zur Auslegung eines Fahrerassistenzsystems vor, das unter dem Gesichts-
punkt einer Verringerung der Anzahl und der Konsequenzen von Verkehrsunfällen
durchgeführt werden soll (Merkmal (a)). Das Verfahren dient damit einer Festle-
gung der jeweiligen Systemmöglichkeiten von Fahrerassistenzsystemen auf der
Grundlage einer Sicherheitsbewertung.

Ein definiertes Systemkonzept, z. B. ein in einem Fahrerassistenzsystem verwirk-
lichtes Sensorkonzept, wird danach bewertet, wie viel Prozent eines bei einem
Unfall eines bestimmten Typs auftretenden Gesamtschadens vermieden werden
kann (Merkmal (b)).

Laut Merkmal (c) wird mindestens eine statistische Hypothese getestet. Der Fach-
mann wird in einem solchen Hypothesentest ein mathematisches Verfahren erken-
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nen, um die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit einer statistischen Aussage zu belegen.
Das Ziel ist dabei zu prüfen, ob eine vermutete Wahrscheinlichkeit, die Hypothese,
als wahr angenommen werden kann oder ob sie verworfen werden muss. Laut
Ausführungsbeispiel werden ausgehend von den Unfallzahlen einer Unfalldaten-
bank Konfidenzintervalle für Odds-Ratios, d. h. Quotenverhältnisse berechnet
(Offenlegungsschrift, Absatz [0026]). Dies geschieht im Wesentlichen durch ein
geeignetes Zusammenfassen von Unfallzahlen, die in den jeweiligen (virtuellen)
Zellen einer Matrix angeordnet sind und die einzelnen Unfallkategorien zugeordnet
sind, sowie durch die Anwendung eines Modells unabhängiger Kategorien, bei
dem es sich um eine Variante des IPFP-Verfahrens („iterative proportional fitting
procedure“) handelt (Offenlegungsschrift, Absätze [0021] bis [0024]). Die Kon-
fidenzintervalle werden iterativ für alle Zellen bzw. Unfallkategorien berechnet (Of-
fenlegungsschrift, Absätze [0025], [0026]). Falls das Konfidenzintervall den Wert
Null enthält, wird das Modell der unabhängigen Kategorien durchgeführt, ansons-
ten wird keine Änderung vorgenommen (Offenlegungsschrift, Absatz [0027]). Dem
Fachmann ist dabei geläufig, dass es sich bei dem Konfidenzintervall um das-
jenige Intervall von Wahrscheinlichkeiten bzw. Odds-Ratios handelt, das mit einer
Vertrauenswahrscheinlichkeit bzw. einem Konfidenzniveau den wahren Wert der
Wahrscheinlichkeit bzw. des Odds-Ratios überdeckt. Das Verfahren wird laut Be-
schreibung so lange durchgeführt, bis alle Zellen bzw. Kategorien durchlaufen
sind, wobei es in einer Iteration zu einer neuen (reduzierten) Matrix kommen kann
(Offenlegungsschrift, Absatz [0025]), deren Zellen neue Schätzungen für Unfall-
häufigkeiten beinhalten und die für die Bestimmung der Konfidenzintervalle zu-
grunde gelegt wird (Offenlegungsschrift, Absatz [0030]).

Am Ende steht eine Matrix mit Unfallzahlen bzw. Unfallhäufigkeiten, aus der eine
Gesamtschadenvermeidung ermittelt werden kann. Für den Fall, dass in einer der
Zellen der Matrix keine Unfälle vorhanden sind, wird zur Berechnung der Gesamt-
schadenvermeidung noch eine Ersatzwertberechnung (für den Unfallschadenver-
meidungswert dieser Zelle) nach Art einer Mittelwertbildung vorgeschlagen (Offen-
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legungsschrift, Absatz [0030]). Dementsprechend soll gemäß Merkmal (d) festge-
stellt werden, ob die Notwendigkeit von Ersatzwerten besteht.

In Merkmal (e) wird beansprucht, für den Hypothesentest ein Konfidenzniveau
bzw. eine Vertrauenswahrscheinlichkeit vorzugeben.

Das Ergebnis dieses Verfahrens ist nach allem ein geschätzter Wert für die Ge-
samtschadenvermeidung durch ein Fahrerassistenzsystem.

3. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist nicht patentfähig, da es
gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 PatG vom Patentschutz ausgeschlossen
ist.

3.1 Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist „bei Erfindungen
mit Bezug zu Geräten und Verfahren (Programmen) der elektronischen Datenver-
arbeitung zunächst zu klären, ob der Gegenstand der Erfindung zumindest mit
einem Teilaspekt auf technischem Gebiet liegt (§ 1 Abs. 1 PatG). Danach ist zu
prüfen, ob dieser Gegenstand lediglich ein Programm für Datenverarbeitungsanla-
gen als solches darstellt und deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist. Der
Ausschlusstatbestand greift nicht ein, wenn diese weitere Prüfung ergibt, dass die
Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Pro-
blems mit technischen Mitteln dienen“ (BGH GRUR 2011, 610 – Webseitenan-
zeige).

Bereits in früheren Entscheidungen führt der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die
Zugänglichkeit einer Lehre zum Patentschutz aus:

„Die beanspruchte Lehre muss vielmehr Anweisungen enthalten, die der Lösung
eines konkreten technischen Problems dienen. Nichts anderes gilt, wenn in Rede
steht, ob eine beanspruchte Lehre als mathematische Methode (§ 1 Abs. 3 Nr. 1
PatG), als Regel oder Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten (§ 1 Abs. 3 Nr. 3
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PatG) oder als Wiedergabe von Informationen (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PatG) nicht als
Erfindung anzusehen ist. Sofern Anweisungen beansprucht werden, mit denen ein
konkretes technisches Problem gelöst wird, kommt es nicht darauf an, ob der Pa-
tentanspruch auch auf die Verwendung eines Algorithmus, einen im geschäftli-
chen Bereich liegenden Zweck des Verfahrens oder den Informationscharakter
von Verfahrensergebnissen abstellt“ (BGH GRUR 2005, 143 – Rentabilitätsermitt-
lung).

In der Entscheidung „Flugzeugzustand“ (BGH GRUR 2015, 983) wird ausgeführt:
„Mathematische Methoden sind im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG nur dann
patentierbar, wenn sie der Lösung eines konkreten technischen Problems mit
technischen Mitteln dienen.“ Und weiter: „Eine mathematische Methode kann nur
dann als nicht-technisch angesehen werden, wenn sie im Zusammenhang mit der
beanspruchten Lehre keinen Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften
aufweist.“

3.2 Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist vom Patentschutz ausge-
schlossen, da keine Anweisungen erkannt werden können, die der Lösung eines
konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen.

Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach
zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH GRUR 2005, 141 – An-
bieten interaktiver Hilfe).

Im vorliegenden Fall liegt die tatsächliche Leistung der mit dem Patentanspruch 1
beanspruchten Lehre darin, eine Sicherheitsbewertung für das Systemkonzept
eines Fahrerassistenzsystems anhand einer Unfallstatistik vorzunehmen, selbst
wenn zu manchen Unfallkategorien keine Unfallzahlen verfügbar sind.

Das objektive Problem besteht demnach darin, eine Sicherheitsbewertung für ein
Fahrerassistenzsystem durchzuführen, welches auch im Falle lückenhafter statis-
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tischer Unfallzahlen zu begründeten Werten eines Unfallschadenvermeidungspo-
tentials führt und dabei grundlegende statistische Eigenschaften der Unfalldaten
bewahrt.

Das zugrundeliegende Problem ist somit ein reines Problem der Mathematik und
hier insbesondere der Statistik, deren Wesen gerade darin besteht, Methoden zur
Analyse empirischer Daten bereitzustellen, wie z. B. Hypothesentests zur Bele-
gung der Gültigkeit statistischer Aussagen oder iterative Algorithmen für Anpas-
sungsverfahren.

Die beanspruchte Lehre beruht lediglich auf mathematischen Überlegungen zu
statistischen Auswerteverfahren für Unfalldaten einer Unfalldatenbank.

Die Lösung gemäß den Merkmalen (a) bis (e), die Gesamtschadenvermeidung
durch ein Fahrerassistenzsystem dadurch zu ermitteln, dass Hypothesentests und
Ersatzwertberechnungen durchgeführt werden, um auch bei teilweise fehlenden
Unfallzahlen ein Maß für den durch das Fahrerassistenzsystem vermiedenen
Schaden zu erhalten, verlangt keine technischen Überlegungen. Die vorgeschla-
genen Maßnahmen zur Ermittlung einer Gesamtschadenvermeidung resultieren
aus der Erkenntnis, dass das Testen von Hypothesen und die Anwendung von An-
passungsverfahren geeignete Mittel aus der mathematischen Statistik darstellen,
um zu den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten konkreter (Unfall-)Ereignisse zu gelan-
gen.

Entgegen der Auffassung der Anmelderin lehrt der Patentanspruch 1 gerade nicht
die Implementierung einer mathematischen Methode als Programmmodul einer
elektronischen Funktions- bzw. Steuereinheit, die eine technische Komponente
darstellt und die zur Verbesserung der Fahrerassistenztechnik führt. Vielmehr lehrt
er eine Sicherheitsbewertung auf der Grundlage statistischer Methoden.
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Es erscheint zwar glaubhaft, dass das beanspruchte Verfahren im Sinne einer
Zweckangabe dazu beiträgt, die Definition der Systemmöglichkeiten eines Fahrer-
assistenzsystems insgesamt zu unterstützen. Die beanspruchte Lehre befasst sich
aber weder mit einem konkreten Aufbau eines Assistenzsystems noch entfaltet sie
eine Außenwirkung im Sinne der Steuerung eines Herstellungsablaufs oder der
Erzeugung eines Designs. Sie beschränkt sich allein auf mathematische Aspekte
innerhalb eines Bewertungsverfahrens. Ein Bezug zur gezielten Anwendung von
Naturkräften i. S. d. BGH-Entscheidung „Flugzeugzustand“ ist bei der beanspruch-
ten Lehre nicht zu erkennen.

Zwar handelt es sich bei einem Assistenzsystem zweifellos um einen technischen
Gegenstand. Dessen Aufbau und die daraus resultierenden Eigenschaften sind
aber gerade nicht Bestandteil der beanspruchten Lehre. Die Lehre erschöpft sich
vielmehr darin, einem Objekt (nämlich irgendeinem beliebigen Assistenzsystem)
bekannte Größen aus Wahrscheinlichkeitstheorie und mathematischer Statistik
(Häufigkeiten, Quotenverhältnisse, Erwartungswerte etc.) zuzuordnen und deren
Werte mit geeigneten Methoden zu analysieren. Das hierfür erforderliche Fachwis-
sen ist aber gerade nicht geeignet, der beanspruchten Lehre die Lösung einer
technischen Problemstellung mit technischen Mitteln zuzuerkennen.

Die Tatsache, dass es sich bei dem zu bewertenden Objekt um ein „technisches
Objekt“ handelt, kann demnach keinerlei Grundlage dafür liefern, dass das bean-
spruchte Verfahren den Patentierungsausschluss gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m.
Abs. 4 PatG überwindet.

An dieser Feststellung vermag auch der Verweis der Anmelderin auf die Lehre des
europäischen Patents EP 1 853 453 B1 nichts zu ändern, die – soweit erkennbar –
die Erkennung von Objekten in der Umgebung von Fahrzeugen unterstützen soll.
Die Anwendung der darin enthaltenen mathematischen Methode dient insoweit im
Gegensatz zur beanspruchten Lehre der Erzielung eines bestimmten technischen
Erfolgs und ist damit dem Gebiet der Technik zuzuordnen.
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Weiterhin argumentiert die Anmelderin, bei dem in der Anmeldung beanspruchten
Verfahren handle es sich um eine Verarbeitung von Daten, die aus technischen
Größen abgeleitet seien, nämlich aus den technischen Größen eines zu entwi-
ckelnden Fahrerassistenzsystems. Beispielsweise handle es sich dabei um tech-
nische Größen, die von Sensoren wie etwa Kameras erzeugt würden, die von dem
zu entwickelnden Fahrerassistenzsystem verarbeitet würden, um das zu entwi-
ckelnde Fahrerassistenzsystem auszulösen. Diese Verarbeitung sei geprägt durch
eine auf technischen Überlegungen beruhende Erkenntnis und deren Umsetzung.
Entsprechend der Entscheidung „Logikverifikation“ (BGH GRUR, 2000, 498)
handle es sich bei der beanspruchten Lehre um einen Zwischenschritt in einem
Prozess, der mit der Herstellung eines technischen Gegenstandes ende. Somit sei
das in der Anmeldung beanspruchte Verfahren vom Patentschutz nicht ausge-
schlossen.

Auch dieser Einwand der Anmelderin vermag nicht zu überzeugen. Aus den An-
meldungsunterlagen geht weder hervor, dass es sich bei der beanspruchten Lehre
um einen Zwischenschritt in einem übergeordneten Herstellungsprozess handelt,
noch dass diese auf technischen Überlegungen beruht. Vielmehr werden allein
statistische Methoden angewandt, um technische Objekte (nämlich Fahrerassis-
tenzsysteme) zu evaluieren bzw. zu bewerten. Der konkrete Aufbau der Assis-
tenzsysteme, deren Konfiguration oder eine Steuerung sind ersichtlich nicht Be-
standteil der Lehre. Insbesondere kann der Auffassung nicht gefolgt werden, dass
im beanspruchten Verfahren aus technischen Größen abgeleitete Daten verarbei-
tet werden sollen. Vielmehr handelt es sich bei den zu verarbeitenden Daten in
erster Linie um Daten aus Unfallstatistiken, auf deren Basis Werte zur Schaden-
vermeidung bestimmt werden. Hierbei spielen Überlegungen zum Aufbau oder zur
Funktionsweise eines zu entwickelnden Assistenzsystems keinerlei Rolle.

Da nach allem mit dem im Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahren ein Pro-
blem aus der Statistik durch Maßnahmen aus dem Bereich der Mathematik gelöst
wird, liegt keine „schutzwürdige Bereicherung der Technik vor“ (BGH GRUR 2002,
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143 – Suche fehlerhafter Zeichenketten; BGH GRUR 2004, 667 – Elektronischer
Zahlungsverkehr). Die beanspruchte Lehre ist als „mathematische Methode als
solche“ dem Patentschutz nicht zugänglich.

4. Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die übrigen Patentansprüche, da
über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (BGH GRUR 1997,
120 – Elektrisches Speicherheizgerät).


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abge-
lehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschrif-
ten über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Morawek Eder Dr. Thum-Rung Dr. Forkel


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