15 W (pat) 7/17  - 15. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



15 W (pat) 7/17
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
4. Mai 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache


betreffend die Patentanmeldung 10 2007 049 671.2










hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Feuerlein, der Richter Veit und Hermann und der Richterin Zimmerer

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beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.
Die Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2007 049 671.2 wurde am
17. Oktober 2007 mit der Bezeichnung

"Verfahren und Vorrichtung zur Bestimmung der Frontalebene des
Beckenknochens"

von der A… AG & Co. KG, in T… beim Deutschen Patent- und
Markenamt eingereicht. Die Veröffentlichung der Patentanmeldung erfolgte am
30. April 2009.

Folgende Druckschriften sind im Prüfungsverfahren berücksichtigt worden:
D1 DE 10 2005 003 317 A1 (in der Patentanmeldung genannt)
D2 DE 103 49 938 A1
D3 EP 0 944 354 B1

Im Bescheid vom 18. April 2008 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 61 B u.a.
ausgeführt, dass das Verfahren des geltenden Patentanspruches 1 und der
Vorrichtung nach dem nebengeordneten Anspruch 11 nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruhten und deshalb nicht patentfähig seien und zur
Erwiderung auf den Bescheid mehrmals eine Frist gesetzt.
Nach dem Verstreichen der Fristen ohne Eingabe der Anmelderinnen hat die
Prüfungsstelle die Anmeldung mit Beschluss vom 2. Januar 2013 aus den
Gründen des Bescheids gemäß §48 PatG zurückgewiesen.
- 3 -
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderinnen, die ihre
Patentanmeldung auf der Grundlage der ursprünglichen Patentansprüche 1 bis 20
weiterverfolgen. Eine Beschwerdebegründung haben die Anmelderinnen nicht zur
Akte gereicht. Die ordnungsgemäß geladenen Anmelderinnen sind zur mündlichen
Verhandlung, wie mit Schriftsatz vom 5. April 2017 angekündigt, nicht erschienen.

Der mit Gliederungspunkten versehene, ansonsten wörtlich wiedergegebene Pa-
tentanspruch 1 lautet:
M1 Verfahren zur Bestimmung der Beckeneingangsebene des
Beckenknochens,
M1.1 die definiert wird durch folgende drei Punkte des Beckenknochens:
Punkt A: spina iliaca anterior superior links (linker vorderer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt B: spina iliaca anterior superior rechts (rechter vorderer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt C: symphysis pubis (Schambein)
M2 durch nichtinvasive Bestimmung der Lage einer der beiden Punkte A oder
B und des Punktes C,
dadurch gekennzeichnet, dass
M3 man zusätzlich nichtinvasiv die Lage der folgenden Punkte des
Beckenknochens bestimmt:
Punkt D: spina iliaca posterior superior links (linker hinterer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt E: spina iliaca posterior superior rechts (rechter hinterer oberer
Darmbeinstachel) und dass
M4 man aus der Lage der nichtinvasiv bestimmten Punkte A oder B, C, D, E
die Lage der Beckeneingangsebene berechnet.

Der geltende, ursprünglich eingereichte, nebengeordnete Patentanspruch 11
lautet mit eingefügter Merkmalsgliederung:
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N1 Vorrichtung zur Bestimmung der Beckeneingangsebene des
Beckenknochens,
N1.1 die definiert wird durch folgende drei Punkte des Beckenknochens:
Punkt A: spina iliaca anterior superior links (linker vorderer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt B: spina iliaca anterior superior rechts (rechter vorderer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt C: symphysis pubis (Schambein)
N2 mit einem Navigationssystem, einem navigierten Lagesensor für die
Punkte A, B und C und
N3 für folgende weitere Punkte:
Punkt D: spina iliaca posterior superior links (linker hinterer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt E: spina iliaca posterior superior rechts (rechter hinterer oberer
Darmbeinstachel) und
N4 mit einer Datenverarbeitungsanlage, die so programmiert ist, dass sie aus
den Lagedaten der Punkte A oder B, C, D, E die Lage der
Beckeneingangsebene berechnet.

An den Anspruch 1 schließen sich die geltenden Unteransprüche 2 bis 10 an, an
Anspruch 11 die Unteransprüche 12 bis 20.

Die Anmelderinnen beantragen im Schriftsatz vom 8. Januar 2013,

den Beschluss der Prüfungsstelle A 61 B vom 2. Januar 2013 auf-
zuheben und
ein Patent auf Basis der anhängigen Anmeldeunterlagen zu ertei-
len,
sinngemäß mit folgenden Unterlagen
Ansprüche 1 bis 20, ursprüngliche Unterlagen
Beschreibung S. 1 bis 15, ursprüngliche Unterlagen
- 5 -
Figuren 1 bis 3, ursprüngliche Unterlagen

hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.


Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (§ 73
PatG). Sie hat jedoch keinen Erfolg, denn das beanspruchte Verfahren beruht
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1. Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Bestimmung der Beckeneingangs-
ebene des Beckenknochens, die definiert wird durch die Punkte des Beckenkno-
chens, Punkt A: spina iliaca anterior superior links, Punkt B: spina iliaca anterior
superior rechts und Punkt C: symphysis pubis, durch nichtinvasive Bestimmung
der Lage einer der beiden Punkte A oder B und des Punktes C. Außerdem betrifft
die Erfindung eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens (siehe Offen-
legungsschrift Abs. [0001]).

Beim Einsetzen von Implantaten und bei anderen Operationen ist es nach der Be-
schreibungseinleitung häufig notwendig, die anatomischen Gegebenheiten in abs-
trakter Weise zu beschreiben, um dadurch die anatomischen Gegebenheiten in
mathematischen Modellen erfassen zu können, beispielsweise in Verbindung mit
bekannten Navigationssystemen und mit der Bearbeitung der dadurch gewonne-
nen Daten in Datenverarbeitungsanlagen (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0002]).

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So ist es beispielsweise aus der DE 10 2005 003 317 A1 (D1) bekannt, den Be-
ckenknochen dadurch zu beschreiben, dass die anteriore Beckenebene definiert
wird durch die Punkte
Punkt A: spina iliaca anterior superior links,
Punkt B: spina iliaca anterior superior rechts und
Punkt C: symphysis pubis
des Beckenknochens (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0003]).
Diese markanten Punkte können verwendet werden, um daraus die Beckenein-
gangsebene zu beschreiben, so dass diese Beckeneingangsebene für die Be-
rechnung der Lage des Beckenknochens in nachfolgenden Berechnungen ver-
wendet werden kann (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0005]).

Die Punkte können beispielsweise perkutan ertastet werden, es ist auch möglich,
diese Punkte in anderer Weise nichtinvasiv festzustellen, beispielsweise durch
einen Ultraschall-Sensor, durch Röntgenaufnahmen oder durch andere bildge-
bende Verfahren, beispielsweise computertomographische Verfahren (siehe Of-
fenlegungsschrift Abs. [0004]).

Voraussetzung für dieses Verfahren ist allerdings, dass die drei markanten Punkte
auch erreichbar sind, beispielsweise beim perkutanen Ertasten oder bei Anwen-
dung eines vorzugsweise navigierten Ultraschallsensors. Dies ist aber nicht in al-
len Fällen möglich, beispielsweise ist bei einer Seitenlage eines Patienten auf ei-
nem Operationstisch immer nur einer der Punkte A oder B erreichbar, also nur
entweder die linke oder die rechte spina iliaca anterior superior. Damit scheidet
eine Bestimmung der Beckeneingangsebene bei dieser speziellen Lage des Pati-
enten aus (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0006]).

Vor diesem Hintergrund liegt der Erfindung die in der Patentanmeldung angege-
bene Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Durchführung
des Verfahrens anzugeben, wie auch in diesen Fällen, in denen einer der Punkte
- 7 -
A oder B nicht zugänglich ist, die Beckeneingangsebene bestimmt werden kann
(siehe Offenlegungsschrift Abs. [0007], [0019]).

Diese Aufgabe wird bei einem Verfahren erfindungsgemäß dadurch gelöst, dass
man zusätzlich nichtinvasiv die Lage der folgenden Punkte des Beckenknochens
bestimmt:
Punkt D: spina iliaca posterior superior links (linker hinterer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt E: spina iliaca posterior superior rechts (rechter hinterer oberer Darm-
beinstachel)
und dass man aus der Lage der nichtinvasiv bestimmten Punkte A oder B, C, D
und E die Lage der Beckeneingangsebene berechnet (siehe Offenlegungsschrift
Abs. [0008]).

Die nicht mögliche Bestimmung des fehlenden Punktes A oder B wird also ersetzt
durch die auch in der Seitenlage des Patienten mögliche Bestimmung zusätzlicher
Punkte, nämlich der Punkte D und E, und aus diesen Punkten können durch be-
stimmte Rechenverfahren die Lagedaten der Beckeneingangsebene errechnet
werden. Dabei ist davon auszugehen, dass zwischen der Lage der Punkte D und
E einerseits und der Lage der Punkte A und B andererseits am Beckenknochen
geometrische Beziehungen bestehen, die bei den Beckenknochen aller Patienten
sehr ähnlich oder gleich sind (siehe Offenlegungsschrift Abs. [0009]).

In der Figur 3 der Patentanmel-
dung ist eine schematische
Schnittansicht des Beckenkno-
chens in einer Ansicht von oben
mit den für die Bestimmung der
Beckeneingangsebene relevanten
Punkten A, B, C, D und E darge-
stellt.
- 8 -

2. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindli-
chen Stand der Technik zwar neu, es beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit, da es sich in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik gemäß
der Druckschrift D1 in Verbindung mit dem Wissen und Können des Fachmanns
ergibt, hier einem Medizinphysiker oder Informatiker mit Hochschul- oder Fach-
hochschulausbildung und besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Medizin-
technik, der bei medizinischen Problemstellungen einen einschlägigen Facharzt
hinzuzieht.

Aus der in der Beschreibungseinleitung genannten Druckschrift D1 sind die Ver-
fahrensmerkmale nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 bekannt. Die Druck-
schrift offenbart ein Verfahren zur Bestimmung der Beckeneingangsebene des
Beckenknochens aus den Punkten Punkt A: spina iliaca anterior superior links
(linker vorderer oberer Darmbeinstachel), Punkt B: spina iliaca anterior superior
rechts (rechter vorderer oberer Darmbeinstachel), Punkt C: symphysis pubis
(Schambein) (vgl. D1 Fig.1, Abs. [0005]: „• Man bestimmt aus den drei Punkten
des Beckenknochens
1) linke spina iliaca anterior superior (linker oberer Darmbeinstachel)
2) rechte spina iliaca anterior superior (rechter oberer Darmbeinstachel)
3) symphysis pubis (Schambein)
die anteriore Beckenebene.“) [= Merkmale M1, M1.1].
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Dabei ist angegeben, dass die Lage der beiden Punkte A, B und C nichtinvasiv
durch Ertasten (Palpation) bestimmt werden kann (vgl. D1 Abs. [0009]: „Es ist
vorteilhaft, wenn man die drei Beckenknochenpunkte zur Bestimmung der anterio-
ren Beckenebene durch Palpation bestimmt.“) [= Merkmal M2].

Besteht nun das Problem, dass während einer Operation (beispielsweise bei einer
Seitenlage des Patienten) einer der Punkte A oder B nicht bestimmt werden kann,
so muss der Fachmann nach einer anderen Lösung suchen, wie er die Ebene statt
aus den genannten drei Punkten, nur mittels der bestimmbaren zwei Punkte und
weiteren Informationen gewinnen kann. Der Fachmann wird also überlegen, ob es
neben den Punkten A, B und C noch weitere messbare Punkte des menschlichen
Körpers im Beckenbereich gibt.

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Hierbei bietet es sich für den Fachmann an, weitere markante Punkte des Be-
ckenknochens zu verwenden, die in Seitenlage bestimmbar sind, beispielsweise
folgende Punkte
Punkt D: spina iliaca posterior superior links (linker hinterer oberer
Darmbeinstachel)
Punkt E: spina iliaca posterior superior rechts (rechter hinterer oberer
Darmbeinstachel),
die dem Fachmann aufgrund seines medizinischen Fachwissens bekannt sind und
auch zur nichtinvasiven Positionsbestimmung verwendet werden (vgl. bspw. D2
Abs. [0030]: „Als besonders vorteilhaft hat es sich erwiesen, wenn jeweils ein
Punkt auf den oberen hinteren Darmbeinstachel (Spina iliaca posterior superior)
geklebt wird, ...“, Abs. [0047]: „Es folgen die Winkelbestimmungen in der Frontal-
ebene, also Becken, Schulter, Schulterblatt und Kopffehlhaltung (Schritt 70)….“)
[= Merkmal M3].

Mittels einfacher geometrischer Methoden kann daraus der Fachmann basierend
auf der Spiegelsymmetrie des menschlichen Beckens (zumindest in erster Nähe-
rung) die Lage der Beckeneingangsebene aus den Punkten A oder B, C, D und E
berechnen [= Merkmal M4].

Damit ist der Fachmann jedoch bereits beim Verfahren nach Anspruch 1 ange-
langt. Ein Verfahren gemäß Patentanspruch 1 beruht deshalb gegenüber der
Lehre der Druckschrift D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

3. Mit dem nicht gewährbaren Anspruch 1 fallen aufgrund der Antragsbindung
auch der nebengeordnete Patentanspruch 11 und die Unteransprüche 2 bis 10
und 11 bis 20 (vgl. BGH, GRUR 1983, 171 - Schneidhaspel). Weitere Anhalts-
punkte für ein stillschweigendes Begehren einer weiter beschränkten Fassung
haben sich nicht ergeben. Auf die übrigen Patentansprüche brauchte bei dieser
Sachlage nicht gesondert eingegangen zu werden (BGH v. 27. Juni 2007 –
X ZB 6/05, Informationsübermittlungsverfahren II, Fortführung von BGH GRUR
- 11 -
1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät). Für deren ausgestaltende weitere
Merkmale wurde im Übrigen ein gegebenenfalls die erfinderische Tätigkeit be-
gründender überraschender technischer Effekt nicht vorgetragen und auch vom
Senat nicht gesehen.


III.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim

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Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Feuerlein Veit Hermann Zimmerer

prö


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