15 W (pat) 40/17  - 15. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



15 W (pat) 40/17
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
26. Oktober 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache










betreffend die Patentanmeldung 10 2005 031 808.8


hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden Richters Dr. Feuerlein, der Richterin Zimmerer und der Richter Hermann
und Dr. Freudenreich
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beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prü-
fungsstelle für Klasse A 61 M des Deutschen Patent- und Marken-
amtes vom 24. März 2015 aufgehoben und das Patent
10 2005 031 808 erteilt.

Bezeichnung: Vorrichtung zur Drucksteuerung von Beatmungsge-
räten

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentanspruch 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung
vom 26. Oktober 2017,
Beschreibung und Figuren gemäß der Offenlegungsschrift.


G r ü n d e

I.

Mit Beschluss vom 24. März 2015 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 61 M des
Deutschen Patent- und Markenamtes die am 7. Juli 2005 angemeldete, die innere
Priorität 10 2005 018 931.8 vom 22. April 2005 in Anspruch nehmende und am
26. Oktober 2006 offengelegte Patentanmeldung 10 2005 031 808.8 mit der Be-
zeichnung

„Verfahren und Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten“

zurückgewiesen.

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Der Zurückweisung zugrunde liegen neben zwei unterschiedlichen Fassungen der
geänderten Beschreibung auch zwei unterschiedliche mit Schriftsatz vom
27. Februar 2015 eingereichte und beim Deutschen Patent- und Markenamt am
28. Februar 2015 eingegangene Anspruchsfassungen der Anmelderin, von denen
die mit handschriftlichen Änderungen versehene, 33 Patentansprüche umfas-
sende Anspruchsfassung vier auf Vorrichtungen gerichtete und zueinander in Ne-
benordnung stehende Patentansprüche aufweist, während die in Reinschrift ein-
gereichte Anspruchsfassung 43 Patentansprüche umfasst, darunter einen auf ein
Verfahren und sieben auf Vorrichtungen gerichtete nebengeordnete Patentan-
sprüche.

Der nach beiden Anspruchsfassungen wortgleiche Patentanspruch 1 hat den fol-
genden Wortlaut:

1. Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten, die eine
Steuereinheit sowie mindestens einen Sensor für einen Beatmungsparameter
aufweist und die mit einer Atemgasversorgung gekoppelt ist, die auf mindestens
zwei unterschiedliche Druckhöhen einstellbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass
die Steuereinheit die zeitliche Lage von Inspirationsphasen und Exspirations-
phasen auswertet und eine Druckabsenkung innerhalb der lnspirationsphase
vor dem Beginn der Exspirationsphase vorgibt.

Die Zurückweisung der Patentanmeldung nach § 48 PatG ist damit begründet
worden, dass die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 gegenüber der Druckschrift
D1 aus dem im Recherche- und Prüfungsverfahren mit den Druckschriften

D1 DE 41 22 069 A1,
D2 DE 28 22 030 A1,
D3 DE 27 15 003 C3

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ermittelten Stand der Technik nicht neu sei. Der Anmelderin sei bereits mit dem
ersten Prüfungsbescheid mitgeteilt worden, dass die Vorrichtung nach Patentan-
spruch 25 vom Anmeldetag entsprechend dem geltenden und unveränderten Pa-
tentanspruch 1 nicht neu sei, weshalb sie mit einer Zurückweisung habe rechnen
müssen. Zudem habe sie auch keine Anhörung beantragt.

Als weiteren Stand der Technik hat die Anmelderin mit der Reinschrift der Be-
schreibung gemäß Schriftsatz vom 27. Februar 2015 die Druckschriften D4 bis D6
genannt (a. a. O.: S. 2 le. Abs.). Von Seiten des Senats wurde die Druckschrift D7
in das Verfahren eingeführt und dies der Anmelderin mit Schriftsatz vom
7. August 2017, dort eingegangen am 14. August 2017, mitgeteilt:

D4 WO 99 08738 A1,
D5 WO 02 032492 A2,
D6 WO 98 09677 A1,
D7 US 4 457 303.

Gegen den der Anmelderin am 27. März 2015 zugestellten Beschluss der Prü-
fungsstelle richtet sich ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 27. April 2015, einge-
gangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am selben Tag, deren Begrün-
dung mit Schriftsatz vom 9. Februar 2016 erfolgte. Nach eingehender Sachdiskus-
sion mit dem Senat in der Verhandlung am 26. Oktober 2017 legte die Anmelderin
unter Berücksichtigung der Druckschrift

D8 US 6 345 619 B1,

die ihr in der Verhandlung überreicht wurde, zuletzt als Hauptantrag und einzigen
Antrag einen Patentanspruch 1 mit dem folgenden Wortlaut vor:

1. Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten, die eine
Steuereinheit sowie mindestens einen Sensor für einen Beatmungsparameter
- 5 -
aufweist und die mit einer Atemgasversorgung gekoppelt ist, die auf mindestens
zwei unterschiedliche Druckhöhen einstellbar ist, wobei die Steuereinheit die
zeitliche Lage von Inspirationsphasen (14) und Exspirationsphasen (15)
auswertet und eine Druckabsenkung innerhalb der Inspirationsphase vor dem
Beginn der Exspirationsphase vorgibt, dadurch gekennzeichnet, dass die
Drucksteuerung unter Verwendung eines Sensors, mit dem ein Scheitelpunkt
des Flowverlaufes (13) während der Inspirationsphase (14) erfasst wird, erfolgt,
wobei im Anschluss an die messtechnische Erfassung eines derartigen
Scheitelpunktes der Beginn der Vorlaufzeit (17) gestartet wird und die Druckab-
senkung durchgeführt wird,

Die Anmelderin ist der Auffassung, dass der Gegenstand nach Hauptantrag
patentfähig sei, denn keine der nunmehr im Verfahren befindlichen Druck-
schriften offenbare eine Druckabsenkung im Anschluss an die messtechnische
Erfassung eines Scheitelpunkts im Flowverlauf.

Die Anmelderin beantragt,

den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse
A 61 M des Deutschen Patent- und Markenamtes vom
24. März 2015 aufzuheben und das Patent mit den folgenden Un-
terlagen zu erteilen:

Bezeichnung: Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsge-
räten
Patentanspruch 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung
vom 26. Oktober 2017, im Übrigen wie ursprünglich eingereicht.

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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 73 PatG) und unter Berücksichtigung des
nunmehr vorliegenden Patentbegehrens auch begründet.

2. Den Anmeldungsunterlagen zufolge (a. a. O.: S. 1-3) betrifft die Erfindung
unter anderem eine Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten, die
eine Steuereinheit sowie mindestens einen Sensor für einen Beatmungsparameter
aufweist und die mit einer Atemgasversorgung gekoppelt ist, die auf mindestens
zwei unterschiedliche Druckhöhen einstellbar ist. Die bislang bekannten Vorrich-
tungen seien noch nicht in ausreichender Weise dafür geeignet, einen möglichst
weitgehenden Benutzungskomfort bereitzustellen, der insbesondere trotz des vom
Beatmungsgerät vorgegebenen Beatmungsdruckes den Übergang von Inspirati-
onsphasen und Exspirationsphasen möglichst weitgehend einem normalen Atem-
vorgang annähert. Als störend werde es von einem Benutzer des Beatmungsge-
rätes insbesondere empfunden, wenn zu einem Beginn der Exspirationsphase ein
relativ hoher Beatmungsdruck vorliege, der einer Ausatmung entgegenwirke.

Eine Aufgabe der Erfindung sei es daher, eine Vorrichtung zur Erreichung eines
besseren Benutzungskomforts zu konstruieren (a. a. O.: S. 3 Abs. 4).

Als Lösung für die angesprochene Problematik gibt die Erfindung gemäß
Patentanspruch 1 eine Vorrichtung an, die nachfolgend mit Merkmalen versehen
ist:

Vo1 Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten,
Vo1’ gekoppelt mit einer Atemgasversorgung, die auf mindes-
tens zwei unterschiedliche Druckhöhen einstellbar ist,
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Vo1.1 die Vorrichtung weist einen Sensor für Beatmungs-
parameter auf,
Vo1.2 die Vorrichtung weist eine Steuereinheit auf,
Vo1.2.1 die Steuereinheit wertet die zeitliche Lage von
Inspirationsphasen und Exspirationsphasen aus,
Vo1.2.2 die Steuereinheit gibt eine Druckabsenkung innerhalb der
Inspirationsphase vor dem Beginn der Exspirationsphase
vor,
Vo1.2.3 die Drucksteuerung erfolgt unter Verwendung eines Sen-
sors, mit dem ein Scheitelpunkt des Flowverlaufes wäh-
rend der Inspirationsphase erfasst wird und im Anschluss
an die messtechnische Erfassung eines derartigen
Scheitelpunktes der Beginn der Vorlaufszeit gestartet und
die Druckabsenkung durchgeführt wird.

3. Bei dem mit der Lösung der Aufgabe betrauten Fachmann handelt es sich
nach Auffassung des Senats um einen Diplom- oder Fachhochschul-Ingenieur der
Fachrichtung Medizintechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der
Entwicklung von Beatmungsvorrichtungen.

4. Einige Merkmale des Patentanspruchs 1 bedürfen der Erörterung.

4a. Aus dem Satzbau des Patentanspruchs 1 geht nicht zweifelsfrei hervor, ob
die Vorrichtung oder die Atemgasversorgung auf mindestens zwei unterschiedli-
che Druckhöhen einstellbar ist (Vo1, Vo1’). Der Bezug ist jedoch unkritisch, da
sich dem Fachmann aus dem Gesamtzusammenhang der Patentanmeldung eine
Einstellung der Druckhöhen durch die Steuereinheit erschließt.

4b. Die Steuereinheit ist dabei rein funktionell gestaltet. Sie muss die zeitliche
Lage von Inspirations- und Exspirationsphase auswerten können und weiter dazu
ausgelegt sein, eine Druckabsenkung innerhalb der Inspirationsphase vor Beginn
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der Exspirationsphase vorzugeben. Dabei werden die zeitlichen Lagen von Inspi-
rationsphase 14 und Exspirationsphase 15 in der Anmeldung beispielhaft durch
den Nulldurchgang im Flowverlauf definiert, der in der Exspirationsphase unter-
halb der Abszisse, in der Inspirationsphase oberhalb der Abszisse liegt (vgl. An-
meldungsunterlagen: Fig. 2, 5). Ebenso kann die Erfassung des Flowverlaufes di-
rekt oder indirekt über ein mit dem Flow in Zusammenhang stehendes Signal er-
folgen (Anmeldungsunterlagen: S. 12 vorle. Abs.). Ob die Atemphasen anhand
von Nicht-Flow-Signalen wie Temperatur oder Druck erkannt werden (Anmel-
dungsunterlagen: a. a. O.), lässt der gültige Patentanspruch 1 offen. Soweit nach
Merkmal Vo1.2.2 die Steuereinheit eine Druckabsenkung innerhalb der Inspirati-
onsphase vor dem Beginn der Exspirationsphase vorgibt, führt das fachmänni-
sche Verständnis der Patentanmeldung dabei nicht zu einer Auslegung, die keine
zeitliche Beschränkung der Druckabsenkung nach deren Vorgabe erlaubt, denn
eine zeitlich nicht festgelegte Druckabsenkung findet bereits bei allen gängigen
Beatmungsgeräten aus dem Stand der Technik statt, die zumindest zwei unter-
schiedliche Druckhöhen bei der Beatmung zulassen. Mit der beanspruchten Vor-
gabe ist folglich die Bereitstellung einer tatsächlichen Druckabsenkung bereits vor
einem Ende des z. B. durch den Flowverlauf zu verfolgenden Inspirationsvor-
gangs verbunden.

4c. Nach Merkmal Vo1.2.3 erfolgt die Drucksteuerung unter Verwendung eines
Sensors, mit dem ein Scheitelpunkt des Flowverlaufes während der Inspirations-
phase erfasst wird und im Anschluss an die messtechnische Erfassung eines
derartigen Scheitelpunktes der Beginn der Vorlaufszeit gestartet und die Druck-
absenkung durchgeführt wird. Nach Fig. 6 der Anmeldung erlaubt die bereits in
der Inspirationsphase vor der Exspirationsphase gestartete Vorlaufszeit 17 einen
komfortablen Druck schon zu Beginn der Ausatmung, der noch weiter gesenkt
werden kann.

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5. Der geltende Patentanspruch ist zulässig. Denn die Merkmalskombination
nach Patentanspruch 1 geht auf den ursprünglichen Patentanspruch 25 i. V. m.
S. 12 Z. 3-9 zurück.

6. Die Vorrichtung zur Drucksteuerung bei Beatmungsgeräten ist neu, denn in
keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften D1 bis D8, insbesondere auch
nicht in den nach Auffassung des Senats nächstliegenden Stand der Technik bil-
denden Druckschriften D1, D6 und D8, wird die Druckabsenkung in der Inspirati-
onsphase in Abhängigkeit von einem erfassten Scheitelpunkt im Flowverlauf ge-
startet.

7. Die vorliegend beanspruchte Vorrichtung zur Drucksteuerung bei
Beatmungsgeräten beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn soweit der
Stand der Technik Steuerungsparameter für das Absenken des Druckes bereits in
der Inspirationsphase vorgibt, handelt es sich um eine Steigungsänderung im
Pleuraldruck (vgl. D1: Sp. 3 Z. 26-33), einen nicht näher ausgeführten „switching
setpoint“ vor der Umschaltung in den niedrigeren Druckmodus EPAP, bevor der
Patient die Inhalation beendet hat (vgl. D6: S. 23 Z. 6-13) oder um vorgegebene
Schwellenwerte im Flowverlauf, bei deren Erreichen das Umschalten erfolgt (vgl.
D8: Fig. 3a/3b, 6a/6b, 9a/9b i. V. m. Sp. 3 Z. 64 – Sp. 4 Z. 43).

Vor der genannten Aufgabe, eine Vorrichtung zur Erreichung eines besseren Be-
nutzungskomforts zu konstruieren, erlaubt die nunmehr beanspruchte Lösung, die
Vorlaufszeit der Druckabsenkung bereits sehr früh mit dem Scheitelpunkt des
Flowverlaufs in der Inspirationsphase zu starten, eine den Atemfluss des Patien-
ten besser berücksichtigende Ausgestaltung, die der vorliegende Stand der Tech-
nik nicht nahelegen kann.

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8. Nach alledem ist die Vorrichtung des geltenden Patentanspruchs 1 neu und
beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass dieser Anspruch gewährbar
ist.


Feuerlein Zimmerer Hermann Dr. Freudenreich

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