14 W (pat) 12/17  - 14. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BUNDESPATENTGERICHT
L e i t s a t z
Aktenzeichen: 14 W (pat) 12/17
Entscheidungsdatum: 17.10.2017
Rechtsbeschwerde zugelassen: nein
Normen: § 16a Abs. 1 PatG; Artikel 3 (a) Verordnung (EG)
Nr. 469/2009
Sitagliptin III
Vorabentscheidungsersuchen zu den Kriterien für die Anwendung des Artikels 3 (a) der
Verordnung (EG) Nr. 469/2009
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 12/17
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache

betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2014 000 122.7
für das Grundpatent EP 1 084 705 (DE 597 13 097)
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
17. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der
Richter Schell und Dr. Jäger sowie der Richterin Dr. Wagner
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beschlossen:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Arti-
kel 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist ein Erzeugnis nur dann gemäß Artikel 3 (a) der Verordnung
(EG) Nr. 469/2009 durch ein in Kraft befindliches Grundpatent
geschützt, wenn es zu dem durch die Patentansprüche definierten
Schutzgegenstand gehört und dem Fachmann somit als konkrete
Ausführungsform zur Verfügung gestellt wird?

2. Ist es dementsprechend für die Erfordernisse des Artikel 3 (a)
der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 nicht ausreichend, wenn das
fragliche Erzeugnis zwar die in den Patentansprüchen enthaltene,
allgemeine funktionelle Definition einer Wirkstoffklasse erfüllt,
darüber hinaus aber nicht individualisiert als konkrete Ausfüh-
rungsform der mit dem Grundpatent unter Schutz gestellten Lehre
zu entnehmen ist?

3. Ist ein Erzeugnis bereits deshalb nicht durch Artikel 3 (a) der
Verordnung (EG) Nr. 469/2009 durch ein in Kraft befindliches
Grundpatent geschützt, wenn es zwar unter die in den Patentan-
sprüchen enthaltene funktionelle Definition fällt, jedoch erst nach
dem Anmeldezeitpunkt des Grundpatents aufgrund eigenständiger
erfinderischer Tätigkeit entwickelt wurde?

II. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersu-
chen ausgesetzt.
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G r ü n d e

I.

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des am 24. April 1997 angemeldeten und
am 25. Juni 2014 erteilten europäischen Patents EP 1 084 705 (DE 597 13 097),
das inzwischen durch Zeitablauf erloschen ist. Das Patent betrifft ein Verfahren
zur Senkung des Blutglukosespiegels bei Säugern durch die Verabreichung soge-
nannter DP IV-Inhibitoren. Der Einsatz dieser Wirkstoffgruppe ist auf die Hem-
mung des Enzyms Dipeptidyl-Peptidase IV gerichtet, wodurch eine Regulation des
Blutzuckerspiegels bei Diabetes mellitus-Patienten erreicht wird. Der zu dieser
Wirkstoffklasse zählende Wirkstoff Sitagliptin wurde nach dem Anmeldetag des
Grundpatents von einer Lizenznehmerin entwickelt, die hierfür ein Patent erhalten
hat, auf dessen Basis ihr ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt wurde (vgl. zu
dem erteilten Schutzzertifikat auch EuGH GRUR Int. 2012, 146 – Merck Sharp &
Dohme Corp./Deutsches Patent- und Markenamt).

Am 17. Dezember 2014 beantragte die Beschwerdeführerin beim Deutschen
Patent- und Markenamt (DPMA) auf Grundlage des deutschen Teils des Euro-
päischen Patents die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Er-
zeugnis „Sitagliptin in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden For-
men“, hilfsweise für „Sitagliptin, insbesondere Sitagliptin Phosphatmonohydrat“.
Hinsichtlich der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inver-
kehrbringen stützte sie sich dabei auf die Zulassungen des Arzneimittels Januvia
(EU/1/07/383/001-018) vom 21. März 2007 durch die Europäische Arzneimittel-
Agentur (EMA).

Mit Beschluss vom 12. April 2017 hat die Patentabteilung 44 des DPMA den An-
trag zurückgewiesen, da die Erteilungsvoraussetzung gemäß Art. 3 (a) der Ver-
ordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (im Folgenden:
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AMVO) nicht erfüllt sei. Zur Begründung hat die Patentabteilung insbesondere
ausgeführt, in den Ansprüchen des Grundpatents werde das verfahrensgegen-
ständliche Erzeugnis ausschließlich funktionell definiert. Zwar erfülle das Erzeug-
nis als ein DP IV-Inhibitor die funktionelle Definition des Grundpatents, jedoch
fehle es im Grundpatent an jeglicher spezifischen Offenbarung von Sitagliptin, so
dass der konkrete Wirkstoff dem Fachmann nicht zur Verfügung gestellt werde.
Von den zahlreichen, unter die funktionelle Definition „DP IV-Inhibitoren“ fallenden
Wirkstoffen würden im Grundpatent lediglich Alanyl-Pyrrolidid, Isoleucyl-Thiazo-
lidid, N-Valyl-Prolyl und O-Benzoyl Hydroxylamin konkret genannt. Der Hinweis
der Antragstellerin, es handle sich vorliegend um eine Grundlagenerfindung, wel-
che die neue Wirkstoffklasse der DP IV-Inhibitoren zur Behandlung der Diabetes-
mellitus erstmals zur Verfügung gestellt und damit die spätere Entwicklung des
Wirkstoffs Sitagliptin erst möglich gemacht habe, könne die Erteilung des bean-
tragten Schutzzertifikats nicht rechtfertigen. Maßgeblich sei vielmehr, dass der
Schutzgegenstand des Grundpatents gerade nicht dem später entwickelten Arz-
neimittel entspreche, das die Genehmigung zum Inverkehrbringen erhalten habe,
auf den sich der vorliegende Erteilungsantrag stütze. Es würde den Zielen der
AMVO widersprechen, ein Schutzzertifikat für ein Erzeugnis zu erteilen, das vom
Grundpatent nicht zur Verfügung gestellt werde.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der
sie ihr Begehren auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats weiterverfolgt,
zuletzt für das Erzeugnis „Sitagliptin“. Zur Begründung macht sie insbesondere
geltend, der angefochtene Beschluss der Patentabteilung berücksichtige nicht
ausreichend, dass der Beitrag und Kern der patentgemäßen Erfindung nicht in der
Verwendung spezifischer Verbindungen zu sehen sei, sondern in dem auf die Be-
handlung von Diabetes mellitus gerichteten Einsatz von DP IV-Inhibitoren im All-
gemeinen. Bei dem Erzeugnis Sitagliptin handle es sich um einen solchen DP IV-
Inhibitor, so dass er die funktionelle Definition der Wirkstoffklasse in Anspruch 2
des Grundpatents erfülle. Der Wirkstoff Sitagliptin sei auch für die Behandlung von
Diabetes mellitus zugelassen. Zwar werde das Erzeugnis im Grundpatent nicht in
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individualisierter Form offenbart, sondern sei erst nach dem Anmeldetag des
Grundpatents entwickelt worden. Die vom EuGH aufgestellten Anforderungen zu
den Erteilungsvoraussetzungen gemäß Art. 3 (a) AMVO seien aber dennoch als
erfüllt anzusehen. Denn der Entscheidung „Medeva“ lasse sich nicht entnehmen,
dass es der Gerichtshof im Hinblick auf Art. 3 (a) AMVO für notwendig erachte,
dass der infrage stehende Wirkstoff im Anspruch in individualisierter Form ange-
geben werde, wie bspw. durch Angabe des chemischen Namens oder der Struktur
des Stoffes. Indem der Gerichtshof in seiner Entscheidung „Eli Lilly“ die Verwen-
dung einer funktionellen Charakterisierung des zugelassenen Erzeugnisses im
Patentanspruch eines Grundpatents für grundsätzlich möglich und eine struktu-
relle Definition für nicht notwendig erachte, habe er zusätzlich deutlich gemacht,
dass eine individualisierte Nennung des Erzeugnisses in den Ansprüchen des
Grundpatents nicht notwendig sei.

Darüber hinaus habe der EuGH in seinen Entscheidungen „Actavis/Sanofi“ und
„Actavis/Boehringer“ die Bedeutung des Kerns des erfinderischen Konzepts
betont. Diesem Ansatz folgend werde das Konzept des „inventive advance“ bei-
spielsweise vom britischen High Court of Justice bei der Prüfung von Art. 3 (a)
AMVO angewendet und dabei maßgeblich darauf abgestellt, ob es sich bei dem
fraglichen Erzeugnis um eine Verkörperung des erfinderischen Konzepts des
Grundpatents handle bzw. ob das Erzeugnis von dem Kern der Erfindung im Hin-
blick auf die Marktzulassung Gebrauch mache. Diese Voraussetzungen seien im
vorliegenden Fall erfüllt. Der Abstraktionsgrad des funktionell definierten Gat-
tungsbegriffs „DP IV-Inhibitor“ müsse als ausreichend spezifisch angesehen wer-
den, insbesondere im Zusammenspiel mit der Anspruchskategorie und den ande-
ren Merkmalen, da unter diesen Gattungsbegriff nur Wirkstoffe mit gleichen medi-
zinischen bzw. arzneilichen Eigenschaften fielen. Somit werde der Wirkstoff
Sitagliptin durch die Patentansprüche „stillschweigend, notwendigerweise und in
spezifischer Art und Weise“ in Bezug genommen.
Im Übrigen habe die ursprüngliche Inhaberin des Grundpatents eigene erhebliche
Forschungsanstrengungen bis hin zur frühen klinischen Entwicklung übernommen,
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wobei so gefundene präklinische Befunde zu dem im Grundpatent offenbarten DP
IV-Inhibitor Isoleucyl-thiazolidid in die spätere Entwicklung des verfahrensgegen-
ständlichen Wirkstoffs Sitagliptin durch eine Lizenznehmerin eingeflossen seien.
Die vom Senat in seiner Zwischenverfügung eingenommene Position stehe im
Widerspruch zur Auslegung der Rechtsprechung des EuGH durch den britischen
High Court of Justice. Ohne eine Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen durch
den Gerichtshof stehe damit zu befürchten, dass sich die unterschiedliche Recht-
sprechungspraxis zu einer zentralen Norm der AMVO verfestige, wodurch im kon-
kreten Fall der Beschwerdeführerin nachhaltiger Schaden entstehen und es all-
gemein zu einer tiefgreifenden Beeinträchtigung des einheitlichen Marktes kom-
men werde. Im Falle, dass der Senat der Beschwerde nicht stattgeben wolle,
werde deshalb ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichts-
hof angeregt und beantragt, den entsprechenden Beschluss zur Beschleunigung
des Verfahrens im schriftlichen Verfahren zu erlassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.


II.

1. Die Voraussetzungen des Art. 3 (b), (c) und (d) AMVO sind im vorliegenden
Fall erfüllt. Dagegen stellt sich die Frage, ob das verfahrensgegenständliche Er-
zeugnis gemäß Art. 3 (a) AMVO durch das Grundpatent geschützt ist. Der Erfolg
der Beschwerde hängt somit im vorliegenden Fall von der Auslegung des Art. 3 (a)
AMVO ab.

2. Gemäß Art. 3 (a) AMVO setzt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifi-
kats voraus, dass das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent
geschützt ist. Der vorliegende Antrag bezieht sich auf die Erteilung eines ergän-
zenden Schutzzertifikats für Sitagliptin, einem Wirkstoff, der zwar unter die funk-
tionelle Definition der Ansprüche 1 und 2 des Grundpatents fällt, aber in der Pa-
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tentschrift nicht weiter individualisiert ist. Es ist daher zu prüfen, ob die Anforde-
rungen von Art. 3 (a) AMVO erfüllt sind.

3. Die maßgeblichen Kriterien für die Auslegung des Art. 3 (a) AMVO hat der
EuGH vor allem in seinen Entscheidungen „Medeva“ und „Eli Lilly“ festgelegt.

3.1 Zunächst hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Auslegungskriterien zu
Art. 3 (a) AMVO festgestellt, dass es unzulässig ist, ein ergänzendes Schutzzerti-
fikat für solche Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des Grundpatents
nicht genannt sind (EuGH, GRUR 2012, 257, Rdn. 28 – Medeva). Im Hinblick auf
den Umfang des Patentschutzes hat der Gerichtshof zudem auf die nicht zum
Unionsrecht gehörenden Vorschriften verwiesen, d. h. auf Art. 69 EPÜ sowie auf
die entsprechenden nationalen Vorschriften (EuGH, GRUR 2012, 257, Rdn. 23
– Medeva).

3.2 In seiner Entscheidung „Eli Lilly“ hat der Gerichtshof ausdrücklich hervorge-
hoben, dass auf den Schutzbereich, der dem Grundpatent in einem fiktiven Verlet-
zungsprozess zukommen würde, nicht zurückgegriffen werden darf (vgl. EuGH,
GRUR 2014, 163, Rdn. 33 – Eli Lilly). Darüber hinaus hat er die maßgeblichen
Kriterien für die Auslegung des Art. 3 (a) AMVO dahingehend präzisiert, dass es
der Erteilung eines Schutzzertifikats für einen Wirkstoff grundsätzlich nicht entge-
gensteht, wenn dieser unter eine in den Patentansprüchen des Grundpatents ent-
haltene Funktionsformel fällt, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese
Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ
unter anderem im Lichte der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den
Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in
Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise (vgl.
EuGH, GRUR 2014, 163, Rdn. 39 – Eli Lilly).
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3.3 Nach Ansicht des Senats stehen die Ausführungen des Gerichtshofs in sei-
nen Urteilen „Actavis/Sanofi“ und „Actavis/Boehringer“ zu den vorgenannten Krite-
rien nicht in Widerspruch. So sind die dort niedergelegten Grundsätze primär auf
die Auslegung von Art. 3 (c) AMVO bezogen. Soweit der Gerichtshof in den bei-
den Entscheidungen darauf abstellt, dass ein Grundpatent im Sinne der Art. 1 (c)
und 3 (a) AMVO einen Wirkstoff nur dann „als solchen“ schützt, wenn er den Ge-
genstand der von dem Patent geschützten Erfindung bildet (EuGH, GRUR Int.
2015, 446, Rdn. 38 – Actavis/Boehringer), wertet dies der Senat als Bestätigung
der in „Medeva“ und „Eli Lilly“ niedergelegten Grundsätze. Wie der Gerichtshof
ausführt, ist der Ausdruck „als solches“ autonom im Licht der mit der Verordnung
verfolgten Ziele und der Systematik auszulegen, in die sich dieser Ausdruck ein-
fügt (EuGH, GRUR Int. 2015, 446, Rdn. 32 – Actavis/Boehringer). Nach den Er-
wägungsgründen 3, 4, 5, 9 und 10 der AMVO soll ein Ausgleich nur für die Ent-
wicklung und Genehmigung neuer Arzneimittel gewährt werden. Dieser Zusam-
menhang liegt auch der Erteilungsvorschrift des Art. 3 (a) und (b) AMVO
zugrunde, wonach das Erzeugnis (d. h. der Wirkstoff oder die Wirkstoffkombina-
tion) sowohl durch das Grundpatent als solches geschützt als auch Gegenstand
einer Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel gewesen sein muss.
Daher ist in Art. 3 (a) AMVO zu prüfen, ob aufgrund der Lehre des Patents das
Erzeugnis dem Fachmann als solches, d. h. konkret zur Verfügung gestellt wird. In
Art. 3 (c) AMVO, der unzulässige Mehrfacherteilungen von ergänzenden Schutz-
zertifikaten ausschließen soll, wird dagegen geprüft, ob ein gemäß Art. 3 (a)
AMVO durch das Grundpatent geschütztes Erzeugnis eine eigenständige Innova-
tion darstellt. Dementsprechend scheiterte die Erteilung der beantragten Schutz-
zertifikate in den Fällen „Actavis/Sanofi“ (hier wurde vom Gerichtshof offengelas-
sen, ob Art. 3 (a) AMVO erfüllt war oder nicht, vgl. EuGH, GRUR Int. 2014, 153,
Rdn. 44 – Actavis/Sanofi) und „Actavis/Boehringer“ (hier wurden die Anforderun-
gen des Art. 3 (a) AMVO vom Gerichtshof als erfüllt angesehen) auch an Art. 3 (c)
AMVO.
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4. Mit den in „Medeva“ und „Eli Lilly“ formulierten Kriterien zur Anwendung des
Art. 3 (a) AMVO stellt der Gerichtshof nach Ansicht des Senats für die Beantwor-
tung der Frage, ob ein Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent
geschützt ist, auf den Schutzgegenstand des Grundpatents ab, der im Wege der
Auslegung der Patentansprüche zu ermitteln ist.

5. Damit ein Erzeugnis für den angesprochenen Fachmann als zum Schutzge-
genstand des Grundpatents gehörig erkennbar ist, muss der fragliche Wirkstoff
nach den Vorgaben des Gerichtshofs zwar in den Patentansprüchen nicht explizit
genannt werden. Im Fall, dass er unter eine in den Patentansprüchen des Grund-
patents enthaltene funktionelle Definition fällt, müssen diese Ansprüche, die nach
Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des EPÜ auszulegen sind,
allerdings den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendiger-
weise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art
und Weise. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Erzeugnis im Sinne von
Art. 3 (a) AMVO geschützt ist, kommt es nach dem Verständnis des Senats somit
darauf an, ob das betreffende Erzeugnis in den Ansprüchen des Grundpatents
derart konkret umschrieben ist, dass es zum Schutzgegenstand der Patentan-
sprüche gehört. Denn Art. 69 EPÜ bezieht sich nicht nur auf die Bestimmung des
Schutzbereichs, sondern unterscheidet zwischen der in einem ersten Prüfungs-
schritt notwendigen Bestimmung des Gegenstands der Ansprüche einerseits und
der für die Verletzungsfrage maßgeblichen Schutzbereichsbestimmung für diesen
Schutzgegenstand andererseits. Dies ergibt sich aus der Doppel-Funktion der
Patentansprüche, den Schutzgegenstand des Grundpatents zu definieren und so
den Schutzbereich überhaupt erst bestimmbar zu machen.

6. Vor dem Hintergrund, dass sich die Möglichkeit einer Schutzzertifikatsertei-
lung nach den Zielen der AMVO nur auf Grundpatente für neue Arzneimittel bzw.
Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen bezieht und nicht auf Stoffgruppen, die erst
den Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung eines spezifischen Wirkstoffs
schaffen, sind diese vom Gerichtshof formulierten Anforderungen nach Ansicht
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des Senats nur dann erfüllt, wenn der fragliche Wirkstoff (oder die Wirkstoffkombi-
nation) in den Patentansprüchen so spezifiziert ist, dass er als solcher identifizier-
bar ist und dem Fachmann dadurch tatsächlich zur Verfügung gestellt wird.

7. Im vorliegenden Fall besteht der Schutzgegenstand des Grundpatents aber
ausschließlich in der Lehre, über eine Beeinflussung der Dipeptidyl-Peptidase zur
Senkung des krankhaft überhöhten Blutzuckerspiegels – verallgemeinernd – Inhi-
bitoren der Dipeptidyl-Peptidase einzusetzen, sowie darin, zu diesem Zweck die in
der Beschreibung des Patents konkret benannten Stoffe – zu denen Sitagliptin
nicht gehört – heranzuziehen (vgl. hierzu die zur Prioritätsanmeldung des Grund-
patents ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, GRUR 2013, 1210,
Rdn. 28 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Der hier verfahrensgegenständliche
Wirkstoff Sitagliptin gehört somit nicht zum Schutzgegenstand des Grundpatents.
Er fällt zwar in dessen Schutzbereich – der bloße Umstand, dass der zum Priori-
tätstag des Grundpatents noch nicht entwickelte Wirkstoff Sitagliptin – ebenso wie
eine Vielzahl weiterer Wirkstoffe – unter die funktionelle Definition der Wirkstoff-
klasse in Anspruch 2 des Grundpatents fällt, mag somit in Verletzungsklagen rele-
vant werden, erfüllt aber nach Auffassung des Senats nicht die Vorgaben des
EuGH zum Erfordernis einer spezifischen Identifizierbarkeit des Erzeugnisses in
den Ansprüchen des Grundpatents gemäß Art. 3 (a) AMVO. Denn das Grundpa-
tent stellt dem Fachmann neben den explizit genannten Verbindungen – wie bspw.
dem DP IV-Inhibitor Isoleucyl-Thiazolidid – nur eine Zielstruktur (DP IV) zur Verfü-
gung, nicht jedoch den Wirkstoff Sitagliptin. Dieser wurde erst später von einer
Lizenznehmerin durch entsprechende Forschungsleistungen entwickelt, durch ein
eigenes Grundpatent geschützt und hat erst dann eine Genehmigung zum Inver-
kehrbringen als Arzneimittel erhalten.

8. Wenn die Beschwerdeführerin vorträgt, mit seinen in „Eli Lilly“ formulierten
Grundsätzen habe der Gerichtshof lediglich klarstellen wollen, dass sich der fragli-
che Wirkstoff als eine Verkörperung des Kerns des erfinderischen Beitrags des
Grundpatents darstellen müsse, wie er durch die funktionelle Charakterisierung
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des Patentanspruchs ausgedrückt werde, teilt der Senat diese Interpretation nicht.
Vor dem Hintergrund seiner auch in „Eli Lilly“ zitierten Entscheidung „Medeva“
(vgl. EuGH, GRUR 2014, 163, Rdn. 34 f. – Eli Lilly) hat der Gerichtshof nach Auf-
fassung des Senats vielmehr deutlich gemacht, dass der fragliche Wirkstoff als
zum Schutzgegenstand des Grundpatents gehörend, spezifisch identifizierbar sein
muss (vgl. EuGH, GRUR 2014, 163, Rdn. 35 – Eli Lilly). Dementsprechend hat der
EuGH auch das ihm vom britischen High Court of Justice als Prüfungskriterium für
die Anwendung des Art. 3 (a) AMVO vorgeschlagene Konzept des sogenannten
„inventive advance“ (High Court, [2012] EWHC 2545 (Pat), Rdn. 75 ff. – Actavis/
Sanofi,) bei der Auslegung dieser Vorschrift nicht aufgegriffen, sondern stattdes-
sen im Rahmen der Auslegung des Art. 3 (c) AMVO berücksichtigt (vgl. EuGH,
GRUR Int. 2014, 153, Rdn. 41 f. – Actavis/Sanofi).

9. Die Antragstellerin verweist zur Begründung ihrer Beschwerde zudem auf die
Entscheidung „Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren“, in welcher der deutsche Bundes-
gerichtshof festgestellt hat, dass im Hinblick auf das berechtigte Interesse, eine
Erfindung in vollem Umfang zu schützen, die Umschreibung einer Gruppe von
Stoffen durch eine funktionelle Definition patentrechtlich grundsätzlich selbst dann
zulässig sein kann, wenn eine solche Fassung des Patentanspruchs auch die
Verwendung noch unbekannter Möglichkeiten umfasse, die möglicherweise erst
zukünftig bereitgestellt oder erfunden werden müssten (BGH, GRUR 2013, 1210,
Rdn. 19 ff.). Mit diesem auf das Patenterteilungsverfahren bezogenen Grundsatz
hat der Bundesgerichtshof jedoch lediglich klargestellt, dass nur so ein angemes-
sener Patentschutz gewährt werden könne. Für die im vorliegenden Fall maßgeb-
liche Frage, ob ein bestimmtes Erzeugnis (ein Wirkstoff oder eine Wirkstoffkombi-
nation) entsprechend den vom EuGH zur Anwendung von Art. 3 (a) AMVO entwi-
ckelten, unter Punkt 3 dieses Beschlusses dargestellten Kriterien geschützt ist,
lassen sich aus den Ausführungen des Bundesgerichtshofs dagegen keine Rück-
schlüsse ziehen.
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10. Aus den dargelegten Gründen sieht der Senat im vorliegenden Fall die Ertei-
lungsvoraussetzung des Art. 3 (a) AMVO als nicht erfüllt an. Es ist aber hervorzu-
heben, dass hinsichtlich der zutreffenden Interpretation der vom Gerichtshof in
seinen Entscheidungen „Medeva“, „Eli Lilly“ sowie „Actavis/Sanofi“ und „Actavis/
Boehringer“ niedergelegten Kriterien zur Anwendung von Art. 3 (a) AMVO in den
Mitgliedsstaaten grundlegend unterschiedliche Auffassungen vertreten werden. So
entnimmt etwa der britische High Court of Justice der Rechtsprechung des Ge-
richtshofs zur Anwendung von Art. 3 (a) AMVO einen Test, der an den „inventive
advance“ des Grundpatents anknüpft (vgl. hierzu High Court of Justice [2017]
EWHC 987 (Pat), Rdn. 63 ff. – Sandoz/Searle). Demnach soll für die Beantwor-
tung der Frage, ob Art. 3 (a) AMVO als erfüllt angesehen werden kann, nicht die
Frage maßgeblich sein, ob ein Wirkstoff durch das Grundpatent in individualisier-
ter Form offenbart ist oder erst nach dem Anmeldetag des Grundpatents entwi-
ckelt wurde, sondern vielmehr die Prüfung, ob der fragliche Wirkstoff den erfinderi-
schen Beitrag des Grundpatents verkörpert. Wie die Beschwerdeführerin zutref-
fend geltend gemacht hat, ist der Sachverhalt, der dem zitierten Urteil des briti-
schen Gerichts zugrunde lag mit dem des vorliegenden Falles durchaus vergleich-
bar. Denn der in der britischen Entscheidung verfahrensgegenständliche Wirkstoff
Darunavir fiel – ebenso wie eine quasi unendlich große Anzahl weiterer Verbin-
dungen – unter eine in den Ansprüchen des Grundpatents enthaltene Markush-
Formel, während im vorliegenden Fall der Wirkstoff Sitagliptin – ebenso wie eine
unüberschaubare Vielzahl weiterer Verbindungen – unter eine in den Patentan-
sprüchen enthaltene funktionelle Definition fällt.

11. Die unterschiedliche Interpretation der für die Anwendung von Art. 3 (a)
AMVO vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätze spiegeln sich auch in den Ent-
scheidungen über die Anträge auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats
für das hier verfahrensgegenständliche Erzeugnis Sitagliptin in den Mitgliedsstaa-
ten wider. So wurden die entsprechenden Anträge in Deutschland, Frankreich,
Griechenland, Lettland, Niederlande, Portugal und Spanien zurückgewiesen – in
Dänemark, Finnland, Großbritannien, Italien, Litauen, Luxemburg, Rumänien,
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Schweden und Slowenien wurde den Anträgen dagegen stattgegeben und ein
ergänzendes Schutzzertifikat erteilt. Weitere Schutzzertifikatsanmeldungen sind
aktuell noch in Belgien, Irland und Österreich anhängig.

12. Die verschiedenen Auffassungen in den Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die
Anwendung des Art. 3 (a) AMVO und der vom Gerichtshof hierzu aufgestellten
Grundsätze belegen zum einen die besonderen Schwierigkeiten der Rechtsmate-
rie – sie verdeutlichen aber auch die Gefahr von dauerhaften Divergenzen in der
Rechtsprechung, die dem Ziel der AMVO entgegenwirken würde, auf Gemein-
schaftsebene eine einheitliche Lösung für einen ausreichenden Schutz von neuen
Arzneimitteln zu schaffen und eine Behinderung des gemeinsamen Binnenmark-
tes zu verhindern. Die Beschwerdeführerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
die sich widersprechenden Strömungen in der Anwendung von Art. 3 (a) AMVO
inzwischen so ausgeprägt sind, dass sich die Anmelder und Inhaber von ergän-
zenden Schutzzertifikaten völlig unterschiedlichen Bewertungen ihrer Rechtsposi-
tion ausgesetzt sehen, je nachdem, welcher Ansatz von dem betreffenden Gericht
verfolgt wird. Der Senat stimmt mit der Beschwerdeführerin auch darin überein,
dass eine derart unterschiedliche rechtliche Beurteilung vergleichbarer Sachver-
halte durch die Gerichte der Mitgliedsstaaten nicht ohne tiefgreifende Auswirkun-
gen auf den gemeinsamen europäischen Markt bleiben kann und bei einer Verfes-
tigung der divergierenden Praxis zu der zentralen Norm des Art. 3 (a) AMVO
nachhaltiger Schaden sowie allgemein eine Beeinträchtigung des einheitlichen
Marktes entstehe.

13. Aus diesen Gründen war das von der Beschwerdeführerin angeregte Vorab-
entscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof geboten. Denn auch
wenn die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung des Art. 3 (a) AMVO bereits mehr-
fach Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war, kann der Senat vor
dem dargestellten Hintergrund nicht davon ausgehen, dass die richtige Anwen-
dung des Art. 3 (a) AMVO so offenkundig wäre, dass kein Raum mehr für vernünf-
tige Zweifel an der zutreffenden Anwendung von Art. 3 (a) AMVO und damit der
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Entscheidung der gestellten Fragen bleibt (vgl. EuGH, EuZW 2016, 111,
Rdn. 36 ff. – Ferreira da Silva e Brito ua/Portugal).

14. Das Verfahren war somit auszusetzen und dem Gerichtshof die im Tenor
genannten Fragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegen.


III.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben,
wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
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Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einer beim Bundesgerichtshof zugelasse-
nen Rechtsanwältin oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats nach Zustellung des Be-
schlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einge-
reicht werden.


Dr. Maksymiw Schell Dr. Jäger Dr. Wagner


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