14 W (pat) 1/18  - 14. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BUNDESPATENTGERICHT
L e i t s a t z
Aktenzeichen: 14 W (pat) 1/18
Entscheidungsdatum: 18.12.2018
Rechtsbeschwerde zugelassen: nein
Normen: § 16a Abs. 1 PatG; Artikel 1 (a), 1 (b), 2 Verordnung
(EG) Nr. 469/2009; Verordnung (EG) Nr. 1831/2003;
Art. 27 Abs. 1 TRIPS
Futtermitteladditiv
Zur Frage einer analogen Anwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 auf Futtermittel-
additive.
ECLI:DE:BPatG:2018:181218B14Wpat1.18.0
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 1/18
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
18. Dezember 2018

B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 12 2012 000 055.1
für das Grundpatent DE 699 29 886 (EP 1 090 129)

- 2 -
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2018 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, des Richters Schell, der Richterin
Dr. Münzberg und des Richters Dr. Jäger

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Die Antragstellerin ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 090 129 mit der Bezeichnung
"Überexpression von Phytase-Genen in Hefesystemen". Am 7. August 2012 be-
antragte sie beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) die Erteilung eines
ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel für das Erzeugnis "6-Phytase-Prä-
paration (EC 3.1.3.26), hergestellt in Pichia pastoris". Als erste Genehmigung für
das Inverkehrbringen des Erzeugnisses in der Europäischen Gemeinschaft und in
der Bundesrepublik Deutschland benannte sie die Durchführungsverordnung (EU)
Nr. 98/2012, vom 7. Februar 2012.

Das DPMA hat den Antrag mit Beschluss der Patentabteilung 44 vom 19. Okto-
ber 2017 zurückgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es
sich bei dem Erzeugnis um kein Arzneimittel handle und dementsprechend keine
Genehmigung im Sinne von Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende
Schutzzertifikat für Arzneimittel (AMVO) vorliege.

- 3 -
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

Mit Zwischenbescheid vom 26. Februar 2018 hat der Senat darauf hingewiesen,
dass der Anwendungsbereich der AMVO nach vorläufiger Rechtsansicht im vorlie-
genden Fall nicht eröffnet sei. Mit weiterem Zwischenbescheid vom 29. Okto-
ber 2018 hat der Senat die Beschwerdeführerin auf das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Oktober 2018, in der Rechtssache C-527/17
"Boston Scientific" und seine Relevanz für die vorliegende Beschwerdesache hin-
gewiesen.

Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren vorgetragen, das verfahrensge-
genständliche Erzeugnis erfülle die Definition des „Erzeugnisses" im Sinne von
Art. 1 (b) AMVO. Auf eine arzneiliche Wirkung im engen Sinne der Definition
„Arzneimittel“ komme es insoweit nicht an, sondern das Erzeugnis müsse lediglich
eine pharmakologische bzw. metabolische Wirkung im Sinne des Arzneimittelge-
setzes und der breiten Definition von Art. 1 (a) 2. Alt. AMVO erfüllen, was vorlie-
gend der Fall sei. Zwar habe das Erzeugnis kein verwaltungsrechtliches Genehmi-
gungsverfahren gemäß der Richtlinie 2001/82/EG durchlaufen, es komme jedoch
eine analoge Anwendung von Art. 2 AMVO in Betracht. Einwände, die gegen eine
analoge Anwendung sprechen würden, seien nicht ersichtlich. So habe der Ver-
ordnungsgeber zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht, dass für Futtermittel-
additive keine Schutzzertifikate erteilt werden sollten. Zudem erweise sich die Ab-
grenzung von Futtermitteladditiven und Tierarzneimitteln als unklar und sei letzt-
lich nur durch historische Zufälligkeiten geprägt. Hinsichtlich der jeweiligen ver-
waltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren bestehe dagegen eine absolute for-
melle Vergleichbarkeit.

Aus der amtlichen Begründung des Vorschlags für eine Verordnung (EWG) des
Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel er-
gebe sich, dass es dem Verordnungsgeber bei der Einführung ergänzender
Schutzzertifikate vor allem darauf angekommen sei, einen Ausgleich für durch auf-
- 4 -
wändige Zulassungsverfahren verkürzte Patentlaufzeiten zu schaffen und dadurch
eine effektive Laufzeit von ungefähr 10 Jahren zu gewährleisten. Im vorliegenden
Fall verbleibe der Inhaberin des Grundpatents jedoch aufgrund des vorgeschriebe-
nen Zulassungsverfahrens lediglich eine Zeitspanne von 7 Jahren effektiven Pa-
tentschutzes. Aktuell erstelle der Interessensverband der Futtermitteladditiv-In-
dustrie "FEFANA" eine Studie zu den Auswirkungen der Futtermittelzusatzstoff-
Verordnung. Diese Studie belege die Vergleichbarkeit der Situation bei Futtermit-
teladditiven und Tierarzneimitteln. Dass dennoch keine ausdrückliche Schutzzerti-
fikats-Regelung für Futtermitteladditive bestehe, ebenso wie für andere zulas-
sungspflichtige Erzeugnisse, offenbare die Unvollständigkeit der AMVO. Das
Europäische Recht weise damit eine systemwidrige Gebietslücke auf, die es zu
schließen gelte, wohingegen sich das rein formale Festhalten am Wortlaut der vor-
handenen Regelung als unzeitgemäß und nicht dem Willen des Verordnungs-
gebers entsprechend darstelle.

Bei dieser Sach- und Rechtslage sei eine analoge Anwendung nicht nur zulässig,
sondern sogar geboten. Unter Berücksichtigung des grundgesetzlich geschützten
Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie der Eigentumsgarantie müsse der Anwen-
dungsbereich der AMVO so erweitert werden, dass die zu Lasten der Hersteller
von Futtermitteladditiven bestehende Gerechtigkeitslücke geschlossen werde.
Dies ergebe sich auch aus dem zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts
gehörenden Diskriminierungsverbot sowie aus Art. 27 Abs. 1 TRIPS. An dieses
höherrangige Recht sei auch der Verordnungsgeber gebunden. Bleibe dieser aber
trotz der offensichtlich rechtswidrigen Ungleichbehandlung untätig, müssten inso-
weit die ebenfalls an Recht und Gesetz gebundenen Gerichte tätig werden.

Die Frage nach einer analogen Anwendung der AMVO werde auch durch die Ent-
scheidung "Boston Scientific" des EuGH nicht abschließend beantwortet. Deshalb
müsse das Verfahren ausgesetzt und die von der Antragstellerin formulierten
Rechtsfragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden, sollte der
Senat der Beschwerde nicht ohne Weiteres stattgeben können.
- 5 -
Die Antragstellerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 44 des Deutschen
Patent- und Markenamts, vom 19. Oktober 2017, aufzuheben und ein
ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel für das Erzeugnis
„6-Phytase (EC 3.1.3.26) aus Pichia pastoris (DSM 23036)“ zu erteilen.

Hilfsweise regt sie die Aussetzung des Verfahrens und Vorlage der fol-
genden Fragen an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentschei-
dung an:

1. Sind Art. 1 a), b), Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 analog
anzuwenden, wenn anstelle einer Genehmigung für das Inverkehrbrin-
gen gemäß der Richtlinie 2001/82/EG über Tierarzneimittel eine solche
gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 über Zusatzstoffe zur Ver-
wendung in der Tierernährung erteilt wurde?
2. Kommt es für die Beantwortung der ersten Frage nur darauf an, ob
zwischen den Genehmigungen ein funktionaler Gleichwertigkeitszu-
sammenhang besteht, oder ist jedenfalls zu berücksichtigen, wieviel
Zeit typischerweise zwischen dem Inkrafttreten einer Genehmigung ge-
mäß der Verordnung (EG) Nr. 1831/2003 und dem Ablauf eines ein-
schlägigen Grundpatents verbleibt, im Vergleich zu der Zeit, die typi-
scherweise zwischen dem Inkrafttreten einer Genehmigung für das In-
verkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/82/EG und dem Ablauf eines
einschlägigen Grundpatents verbleibt?
3. Kommt es für die Beantwortung der ersten Frage darauf an, ob das
Erzeugnis, für das ein ergänzendes Schutzzertifikat beantragt wird, zu
einer Klasse von Erzeugnissen gehört, die zum Zeitpunkt des Erlasses
der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 im Jahr 1992 noch keine Rolle ge-
spielt haben und daher damals auch nicht in Betracht gezogen werden
konnten?
- 6 -
4. Kommt es für die Beantwortung der ersten Frage darauf an, ob der
Gesetzgeber nach höherrangigem Recht gehalten wäre, eine Patent-
laufzeitverlängerung für Zusatzstoffe zur Verwendung in der Tierernäh-
rung einzuführen?"

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, in der Sache bleibt sie jedoch
ohne Erfolg.

1. Gemäß Art. 2 AMVO ist der Anwendungsbereich der Verordnung nur dann er-
öffnet, wenn ein Erzeugnis im Sinne von Art. 1 (b) AMVO vorliegt, das als Arznei-
mittel ein Verfahren zur Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der
RL 2001/82 oder nach der RL 2001/83 durchlaufen hat (EuGH GRUR 2018, 1232,
Rdn. 27 – Boston Scientific). Erzeugnisse, die diese Voraussetzungen nicht erfül-
len, sind vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen (EuGH,
GRUR Int 2011, 934, Rdn. 34 ff. – Synthon/Memantin; EuGH, PharmR 2011, 375,
Rdn. 32 ff. – Generics/Galantamin).

2. Bei dem verfahrensgegenständlichen Erzeugnis handelt es sich um einen Fut-
termittelzusatzstoff im Sinne von Art. 2 (2) a) der Verordnung (EG) Nr.1831/2003
(= Futtermittelzusatzstoff-Verordnung), der gemäß der vorgelegten Durchfüh-
rungsverordnung unter die Zusatzstoffkategorie "zootechnische Futtermittelzu-
satzstoffe" und dort unter die Funktionsgruppe "Verdaulichkeitsförderer" fällt, die
bei der Verfütterung an Tiere durch ihre Wirkung auf bestimmte Futtermittel-Aus-
gangsprodukte die Verdaulichkeit der Nahrung verbessern sollen (Funktionsgrup-
pe 4a, Anhang I der Futtermittelzusatzstoff-Verordnung; vgl. auch Art. 1 Durchfüh-
rungsverordnung (EU) Nr. 98/2012). Tierarzneimittel gemäß der Begriffsbestim-
- 7 -
mung in der Richtlinie 2001/82/EG sind (mit Ausnahme von Kokzidiostatika und
Histomonostatika) gemäß Art. 1 Abs. 2 b) Futtermittelzusatzstoff-Verordnung aus-
drücklich vom Geltungsbereich der Futtermittelzusatzstoff-Verordnung ausge-
schlossen. Die Frage, welche konkreten Wirkungen das antragsgemäße Erzeug-
nis aufweist, kann damit vorliegend dahingestellt bleiben, da es sich dabei jeden-
falls um keinen Wirkstoff eines Arzneimittels im Sinne von Art. 2 AMVO handelt.

3. Der verfahrensgegenständliche Stoff wurde gemäß der Futtermittelzusatzstoff-
Verordnung von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als Zusatz-
stoff in der Tierernährung geprüft und mit der Durchführungsverordnung (EU)
Nr. 98/2012 der Kommission zugelassen. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens
wurde der Stoff dahingehend überprüft, ob er den Bestimmungen der Futtermittel-
zusatzstoff-Verordnung genügt und mindestens eines der vorgeschriebenen
Merkmale aufweist (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 3 Futtermittelzusatzstoff-Verordnung).
Zu diesen Merkmalen zählt bspw. die Eignung, die Beschaffenheit des Futtermit-
tels, die Beschaffenheit der tierischen Erzeugnisse oder das Wohlbefinden der
Tiere, insbesondere durch Einwirkung auf ihre Magen- und Darmflora, positiv be-
einflussen zu können. Das Genehmigungsverfahren war somit nicht auf eine vom
Produkt unabhängige Verwendung des Stoffs ausgerichtet, sondern auf die kon-
krete Zweckbestimmung des Futtermittelzusatzstoffs und die Art seiner Verwen-
dung bezogen (vgl. hierzu auch EuGH, GRUR 2018, 1232, Rdn. 32, 38 – Boston
Scientific). Der verfahrensgegenständliche Stoff wurde somit nicht für eine Ver-
wendung als Arzneimittel bewertet, wie dies im Rahmen des in der RL 2001/82
vorgesehenen Verwaltungsverfahrens der Fall gewesen wäre.

4. Damit ist keine der in Art. 2 AMVO festgelegten Anforderungen erfüllt, mit der
Folge, dass der Anwendungsbereich der Verordnung im vorliegenden Fall nicht
eröffnet ist. Für eine Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen der AMVO ist bei
dieser Sach- und Rechtslage kein Raum mehr.

5. Eine analoge Anwendung der AMVO ist nicht statthaft.
- 8 -
5.1 Soweit die Beschwerdeführerin eine Lücke der AMVO geltend macht, die unter
Gerechtigkeitsaspekten durch eine richterliche Entscheidung geschlossen werden
müsse, ist dem nicht zu folgen. Auch wenn die Anpassung geltenden Rechts an
veränderte Verhältnisse zu den Aufgaben der Fachgerichte gehört, dürfen sich
diese dabei in keinem Fall dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck
eines Gesetzes entziehen, sondern müssen stets dessen Grundentscheidung be-
achten. Demnach kann eine Lücke nur angenommen werden, wenn das Gesetz
– gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht – eine planwidrige Unvollstän-
digkeit aufweist (vgl. BVerfGE, NJW 2011, 836 Rdn. 50 ff.).

5.2 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann weder im Hinblick auf den
Wortlaut noch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Art. 1 a), b)
und 2 AMVO von einer Regelungslücke ausgegangen werden. Der Verordnungs-
geber wollte mit diesen Normen vielmehr ganz gezielt den Anwendungsbereich
der Verordnung auf Arzneimittel beschränken. Dass die Auslegung der genannten
Normen über diese Regelungsabsicht nicht hinweggehen darf, hat auch der EuGH
in seiner aktuellen Entscheidung "Boston Scientific" nochmals betont (EuGH,
a. a. O., Rdn. 41 ff.). Soweit die Kommission bei Einführung der AMVO (in der
ursprünglichen Fassung der Verordnung (EWG) Nr 1768/92) die Möglichkeit einer
späteren Anpassung an weitere Erzeugnisgruppen in Betracht gezogen hat, stand
dies unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, eine solche Anpassung beim Vorliegen
der entsprechenden Voraussetzungen selbst vorzunehmen. Demnach war – und
ist es weiterhin – vorgesehen, dass trotz der geltenden Beschränkung auf Arznei-
mittel je nach den Umständen und der im pharmazeutischen Sektor gewonnenen
Erfahrungen die Schaffung vergleichbarer Regelungen für weitere Erzeugnisgrup-
pen in Betracht kommt (vgl. Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über
die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel = KOM [90]
101 endg., Rdn. 4). Dieser Vorbehalt findet sich auch in der nationalen Folgerege-
lung des § 16a PatG, nach dessen Wortlaut "nach Maßgabe von Verordnungen
der Europäischen Gemeinschaften über die Schaffung von ergänzenden Schutz-
zertifikaten... ein ergänzender Schutz beantragt werden" kann. Aufgrund der fest-
- 9 -
gestellten Übereinstimmungen im Hinblick auf die Situation bei Arznei- und bei
Pflanzenschutzmitteln führte diese Option dann später auch zum Erlass der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1610/96 für ein Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel (vgl.
hierzu Schennen, GRUR Int 1996, 102 ff.).

Somit kann im Hinblick auf Futtermittelzusatzstoffe oder andere Erzeugnisse nicht
von einer planwidrigen Unvollständigkeit bzw. Lücke der AMVO ausgegangen
werden. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Verordnung im Wege
richterlicher Rechtsfortbildung scheidet deshalb aus. Anderenfalls würde sich das
Gericht selbst an die Stelle des Verordnungsgebers setzen, was mit der Bindung
der Gerichte an Gesetz und Recht im Sinne von Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz
unvereinbar wäre (vgl. BVerfG, Mitt. 2002, 333, 334). Dieses Ergebnis wird auch
durch die von der Beschwerdeführerin angeführten verfassungs- bzw. unions-
rechtlichen Freiheits- und Schutzaspekte bestätigt, die es gerade erfordern, dass
die Fachgerichte die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis in jedem Fall
beachten und keine über die Rolle des auslegenden Normanwenders hinausge-
henden, quasi rechtsetzenden Funktionen ausüben. Denn dies würde dem Maß
an Rechtssicherheit widersprechen, das nicht nur nach den Vorgaben des Rechts-
staatsprinzips, sondern ebenso im Interesse der von der Beschwerdeführerin ge-
nannten Grundrechte unerlässlich ist (vgl. BVerfG, NJW 1990, 1593).

5.3 Das Fehlen von Zertifikatsschutz für Futtermitteladditive verstößt auch nicht
gegen Art. 27 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der
Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS). Diese Norm verpflichtet die Mitglieds-
staaten lediglich, für alle Erfindungen, welche die darin genannten Voraussetzun-
gen erfüllen, Patentschutz vorzusehen, es sei denn, es liegt einer der Ausnahme-
tatbestände von Art. 27 Abs. 2 und 3 vor. Hinsichtlich der Schutzdauer von Paten-
ten regelt Art. 33 TRIPS, dass diese eine Frist von 20 Jahren nicht unterschreiten
darf. Beide Vorschriften beziehen sich jedoch nur auf das Patent selbst, nicht er-
fasst werden dagegen darüber hinausreichende Laufzeitverlängerungen, wie
bspw. durch ergänzende Schutzzertifikate. Es bedarf deshalb keiner weiteren Er-
- 10 -
örterung, ob das TRIPS-Übereinkommen überhaupt subjektive Rechtspositionen
Einzelner begründet und inwieweit die AMVO als Unionsrecht auf dem Gebiet des
geistigen Eigentums ohnehin Anwendungsvorrang vor entgegenstehenden Be-
stimmungen dieses Übereinkommens hätte (vgl. hierzu Kaiser/Frick in Busche/
Stoll/Wiebe – TRIPS, 2. Aufl. Einleitung 3, Rdn. 39 ff.).

6. Die Beschwerde war nach alldem zurückzuweisen.

7. Die von der Beschwerdeführerin angeregte Vorlage an den EuGH war weder
rechtlich geboten noch aus anderen Gründen angezeigt. Die vorliegende Be-
schwerdesache wirft keine ungeklärten Fragen zur Auslegung der AMVO auf, viel-
mehr können die von der Beschwerdeführerin formulieren Rechtsfragen – wie
oben dargelegt – aus den gesetzlichen Quellen und der höchstrichterlichen Recht-
sprechung beantwortet werden. Dass eine über Arzneimittel hinausgehende Aus-
dehnung des Anwendungsbereichs der AMVO unzulässig ist, hat der EuGH in sei-
nem Urteil "Boston Scientific" ausdrücklich hervorgehoben (EuGH, a. a. O.,
Rdn. 41 ff.). Diese Wertung war auch ersichtlich nicht auf die seinem Urteil zu-
grundeliegende Fallkonstellation beschränkt, sondern ganz generell auf alle Er-
zeugnisgruppen bezogen. Der Gerichtshof hat insoweit klargestellt, dass es für die
Frage, ob der Anwendungsbereich der AMVO eröffnet ist, ausschließlich auf die
Verwendung des betreffenden Erzeugnisses als Arzneimittel ankommt sowie
darauf, ob das Erzeugnis vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegen-
stand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der
RL 2001/83 bzw. der RL 2001/82 gewesen ist oder nicht. Soweit die Beschwerde-
führerin mit ihrer vierten Vorlagefrage an ihre im Beschwerdeverfahren erhobene
"Untätigkeitsrüge" des Gesetzgebers anknüpft, ist diese Frage zudem weniger
schutzzertifikatsrechtlicher Natur, als auf eine entsprechende Bewertung des Ver-
ordnungsgebers gerichtet. Sie kann daher nicht Gegenstand eines Vorabentschei-
dungsersuchens zur Auslegung der Art. 1 a), b) und 2 AMVO sein bzw. in diesem
Rahmen vom Gerichtshof beantwortet werden.

- 11 -
III.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss steht den Verfahrensbeteiligten das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat,
ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses von einer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin
oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt beim
Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, eingereicht werden.

Maksymiw Schell Münzberg Jäger

Ko



Full & Egal Universal Law Academy