14 W (pat) 1/14  - 14. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
08.05

BUNDESPATENTGERICHT



14 W (pat) 1/14
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
14. Februar 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 102 55 601








hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung am 14. Februar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Maksymiw, der Richter Schell und Dr. Jäger sowie der Richterin Dr. Wagner

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beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der angefoch-
tene Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 12. November 2013 aufgehoben.

2. Das Patent 102 55 601 mit der Bezeichnung

"Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs zur Herstellung
eines Färbemittels bei der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie"

wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 1 B vom 20. Ja-
nuar 2017,
sowie Beschreibungsseite 2 vom 14. Februar 2017 und Be-
schreibungsseite 3 gemäß Patentschrift.


G r ü n d e

I

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. November 2013 hat die Patentabtei-
lung 43 des Deutschen Patent- und Markenamtes das Patent 102 55 601 mit der
Bezeichnung

"Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs zur Herstellung
eines Färbemittels bei der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie"

widerrufen.
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Dem Beschluss liegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag,
die Patentansprüche 1 bis 7 jeweils gemäß Hilfsantrag 1 und 2A bis 3B sowie die
Patentansprüche 1 bis 5 jeweils gemäß Hilfsantrag 4A bis 5B zugrunde, von
denen der jeweilige Patentanspruch 1 wie folgt lautet:







" (Hauptantrag)
"1.
"1.
" (Hilfsantrag 2A)
"1.
" (Hilfsantrag 1)
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" (Hilfsantrag 3B)
"1.
" (Hilfsantrag 2B)
"1.
" (Hilfsantrag 3A)
"1.
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Der Widerruf wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Gegenstand des
Hauptantrags durch Weglassen der Merkmale "der keinen Vitalfarbstoff darstellt
und biokompatibel ist" im Patentanspruch 1 gegenüber den ursprünglichen Unter-
lagen unzulässig erweitert sei und dass der Gegenstand des jeweiligen Patentan-
spruchs 1 gemäß der Hilfsanträge 1 bis 5B gegenüber den Entgegenhaltungen

D5 WO 99/58159 A1 und
D16 Kutschera, E., Albrecht v. Graefes Arch. klin. exp. Ophthal.
1969, 178, S. 72 bis 87

" (Hilfsantrag 4A)
"1.
"1.
" (Hilfsantrag 4B)
"1.
" (Hilfsantrag 5A)
"1.
" (Hilfsantrag 5B)
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nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. D5 beschreibe die Verwendung
des zytotoxischen Farbstoffs Trypanblau in einer auf den pH-Wertbereich von 6,5
bis 7,5 mit Phosphat gepufferten Lösung und einer Farbstoffkonzentration von
0,01 bis 3 Gew.-% zum Anfärben der epiretinalen Membran bei der Netzhautchi-
rurgie. Die streitpatentgemäße Lösung der sich daraus ergebenden Aufgabe, ein
Färbemittel mit fehlender Zytotoxizität bereitzustellen, welches zur Visualisierung
von Membranen im menschlichen oder tierischen Auge geeignet sei, werde durch
D16 nahe gelegt. Dieser Druckschrift sei die Verwendung von Patentblau V zum
Anfärben der menschlichen Netzhaut zu entnehmen, wobei dieser Farbstoff keine
Schädigung der Netzhaut hervorrufe und damit biokompatibel sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der
sie ihr Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 1B vom 20. Ja-
nuar 2017 weiterverfolgt.

Der Patentanspruch 1 gemäß dieses einzigen geltenden Anspruchssatzes lautet:

"1. Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs zur Herstellung
eines Färbemittels beim Aufsuchen und Entfernen der Mem-
brana limitans interna im menschlichen Auge bei der Netz-
haut- und Glaskörperchirurgie, wobei der Farbstoff biokompa-
tibel ist und keinen Vitalfarbstoff darstellt."

Zur Begründung der Beschwerde macht die Patentinhaberin geltend, dass der
Patentanspruch 1 nicht unzulässig erweitert sei, zumal die aus dem ursprünglich
eingereichten Patentanspruch 1 gestrichenen Merkmale "biokompatibel" und "kein
Vitalfarbstoff" wiederaufgenommen worden und die weiteren Merkmale sowohl
den ursprünglich eingereichten Unterlagen als auch der erteilten Patentschrift zu
entnehmen seien.

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Auch sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 so deutlich und vollständig
offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, wobei die Auswahl der geeig-
neten Triphenylmethanfarbstoffe keinen unzumutbaren Aufwand darstelle.

Der Streitgegenstand sei neu, insbesondere auch gegenüber den in der mündli-
chen Verhandlung diskutierten Druckschriften D5 und D16. Die D5 betreffe nicht
die Behandlung der Membrana limitans interna (ILM) und die D16 beschreibe ein
augenchirurgisches Verfahren, bei dem nicht die Membrana limitans interna auf-
gesucht und entfernt, sondern die gesamte Netzhaut angefärbt werde.

Der Streitgegenstand in der nunmehr beanspruchten Fassung beruhe zudem auf
einer erfinderischen Tätigkeit. Die im angefochtenen Beschluss aufgezeigte Kom-
bination der Dokumente D5 und D16 könne nicht zur Erfindung des Streitpatents
führen. D5 beschäftige sich zwar mit dem Anfärben von Membranen im hinteren
Bereich des Auges, so dass dieses Dokument ein geeigneter Ausgangspunkt für
die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei. Da es aber weder aus D5 bekannt
noch dem Fachmann aus seinem Fachwissen geläufig gewesen sei, dass Trypan-
blau zytotoxisch wirke, habe der Fachmann keine Veranlassung gehabt, sich von
dem gemäß D5 bewährten Trypanblau abzuwenden. Selbst wenn er eine Alterna-
tive zu Trypanblau gesucht hätte, hätte er sich den weiteren in D5 genannten
Farbstoffen zugewendet. Eine Veranlassung, das aus D16 bekannte Patentblau V
in Betracht zu ziehen, habe daher nicht bestanden, zumal D5 aufzeige, dass der
Farbstoff nicht in die Netzhaut einsickern dürfe, während in D16 der Farbstoff
Patentblau V das unter der ILM liegende Netzhautgewebe anfärbe.

Die Patentinhaberin beantragt,

den Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 12. November 2013 aufzuheben und das Patent
im Umfang des Hilfsantrags 1 B vom 20. Januar 2017 aufrechtzu-
erhalten.
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Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 5. September 2014 ihren Einspruch
zurückgenommen und auch vorher sachlich im Beschwerdeverfahren nicht Stel-
lung bezogen.

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der nachgeordneten
Patentansprüche 2 bis 7 wird auf den Akteninhalt verwiesen.


II

Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig und führt zu dem im Tenor ange-
gebenen Ergebnis.

1. Bezüglich der Offenbarung der Patentansprüche 1 bis 7 der geltenden An-
spruchsfassung bestehen keine Bedenken. Der Patentanspruch 1 leitet sich vom
erteilten Patentanspruch 1 und den Abs. [0008] und [0014] der Patentschrift sowie
den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1, 3, 13 in Verbindung mit
Seite 4 Zeilen 12 bis 17 und Seite 5 Zeilen 10 bis 14 her. Die Patentansprüche 2
bis 7 entsprechen den erteilten Patentansprüchen 2 bis 7 und den ursprünglich
eingereichten Patentansprüchen 9 bis 12, 14 und 15.

2. Vor der Beurteilung der Ausführbarkeit und der Patentfähigkeit ist der Sinn-
gehalt des Merkmals "wobei der Farbstoff … keinen Vitalfarbstoff darstellt" im gel-
tenden Patentanspruch 1 durch Auslegung zu ermitteln. Dabei stellt die Patent-
schrift im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon
dar, so dass dieses Merkmal folglich so zu deuten ist, wie es der angesprochene
Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift versteht (vgl. BGH GRUR
1999, 909 – Spannschraube; BGH GRUR 2001, 232 – Brieflocher).

Diesen Grundsätzen entsprechend entnimmt der Fachmann – ein pharmazeuti-
scher Chemiker, der mehrere Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung von For-
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mulierungen von Augenarzneimitteln hat und der hinsichtlich der Anwendung in
der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie mit einem auf dem Fachgebiet der Augen-
chirurgie spezialisierten Mediziner zusammenarbeitet – der Streitpatentschrift,
dass der patentgemäße Farbstoff kein Vitalfarbstoff ist. Vielmehr stellt er ein Fär-
bemittel zur Visualisierung von Zellen, insbesondere von trennenden oder begren-
zenden Membranen, und zur Vitalitätsprüfung dar, wobei jedoch im Unterschied
zu herkömmlichen Vitalfarbstoffen mit dem streitpatentgemäßen Farbstoff neben
den toten Zellen auch die lebenden Zellen eingefärbt werden (vgl. Streitpatent-
schrift S. 2 Abs. [0008]). Aus dieser Aussage ergibt sich für den Fachmann, dass
die streitpatentgemäßen Triphenylmethanfarbstoffe als "keine Vitalfarbstoffe" so-
wohl lebende als auch tote Zellen anfärben, während Vitalfarbstoffe im streitpa-
tentgemäßen Sinn nur tote Zellen anfärben.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist ausführbar.

Für die Ausführbarkeit ist es ausreichend, wenn in der Patentschrift ein ausführba-
rer Weg offenbart ist (vgl. BGH GRUR 2001, 813 – Taxol). Vorliegend werden in
den Ausführungsbeispielen1 bis 3 der Streitpatentschrift mehrere Zusammenset-
zungen mit dem Triphenylmethanfarbstoff Patentblau V aufgezeigt, die streitpa-
tentgemäß verwendet werden können. Des Weiteren können laut Streitpatent-
schrift mit dem Triphenylmethanfarbstoff Brillantblau R dieselben Zusammenset-
zungen herstellt werden (vgl. Streitpatent S. 3 Abs. [0018] bis [0022]. Damit offen-
bart die Streitpatentschrift zwei erfindungsgemäß verwendbare Triphenylmethan-
farbstoffe. Zudem ist der Argumentation der Patentabteilung zu folgen, nach der
der Fachmann durch einfache Färbeversuche an entsprechenden Gewebeproben
ermitteln kann, ob es sich bei einem Triphenylmethanfarbstoff um einen Vitalfarb-
stoff im Sinne des Streitpatents handelt oder ob er sich zur Visualisierung der
Membrana limitans interna eignet. Dasselbe gilt für die geforderte Biokompatibili-
tät, die durch den im Absatz [0016] der Streitpatentschrift beschriebenen Test zur
Bestimmung der Zytotoxizität überprüft werden kann. Dieser Test stellt dabei eine
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dem Fachmann geläufige Standardmethode dar (vgl. Schulte PatG, 9. Aufl., § 34
Rn. 358b). Die streitpatentgemäße Lehre ist somit ausführbar.

Gegen die Ausführbarkeit spricht im Übrigen nicht, dass die Streitpatentschrift
keine expliziten Ausführungsbeispiele für das Aufsuchen und Entfernen der Mem-
brana limitans interna offenbart. Denn die in der Streitpatentschrift enthaltenen
Angaben vermitteln dem fachmännischen Leser so viel an technischer Informa-
tion, dass er mit seinem Fachwissen und Fachkönnen in der Lage ist, die Erfin-
dung erfolgreich auszuführen (vgl. Streitpatent Abs. [0014] i. V. m. [0013]). Es ist
nicht erforderlich, dass mindestens eine praktisch brauchbare Ausführungsform
als solche unmittelbar und eindeutig offenbart ist (vgl. BGH GRUR 2010, 916
– Klammernahtgerät).

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu. Er betrifft die Verwendung
eines Triphenylmethanfarbstoffs mit den Merkmalen:

1. Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs zur Herstellung eines
Färbemittels
2. beim Aufsuchen und Entfernen der Membrana limitans interna bei
der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie
3. im menschlichen Auge,
4. wobei der Farbstoff biokompatibel ist und keinen Vitalfarbstoff dar-
stellt.

Die Druckschrift D5 beschäftigt sich mit der Anfärbung von retinalen Membranen
zur Behandlung der proliferativen Vitreoretinopathie (PVR), von Makulaforamen
oder Gliosen. Dazu werden in D5 Vitalfarbstoffe eingesetzt, die bei einer physiolo-
gisch und toxikologisch akzeptablen Konzentration eine ausreichende Anfärbeka-
pazität aufweisen (vgl. D5 Patentansprüche 1, 3, S. 2 Z. 18 bis 25, S. 3 Z. 13 bis
15, S. 4 Z. 4 bis 8). Neben dem in D5 hauptsächlich untersuchten Farbstoff
Trypanblau werden dazu eine Reihe von Farbstoffen als geeignete Vitalfarbstoffe
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offenbart, darunter auch Gentianaviolett, ein Triphenylmethanfarbstoff (vgl. D5
S. 4 Z. 19 bis 24). D5 beschreibt aber nicht die Verwendung eines Triphenylme-
thanfarbstoffs zum Aufsuchen und Entfernen der Membrana limitans interna im
menschlichen Auge gemäß Merkmal 2. Denn D5 definiert die in dieser Druck-
schrift behandelten retinalen Membranen entweder als epiretinale Membranen
oder als sogenannte PVR-Membranen, d. h. als solche Membranen, die sich
durch natürliche Heilungsprozesse auf der Netzhaut als Antwort auf eine Verlet-
zung, z. B. auf eine Netzhautablösung, bilden (vgl. D5 S. 1 Z. 31 bis S. 2 Z. 25).
Somit handelt es sich bei den retinalen Membranen gemäß D5 um sogenannte
fibrotische Membranen, die das Ergebnis eines pathologischen Wachstums neuer
Membranen auf der Netzhaut sind, wobei diese neu entstandenen Membranen zu
Spannungen und Zugkräften auf der Netzhaut führen (vgl. D5 S. 2 Z. 4 bis 8 und
Z. 28 bis 31 sowie S. 5 Z. 14 bis 17). Demgegenüber ist die Membrana limitans
interna Bestandteil der natürlichen Struktur der Netzhaut (siehe dazu auch D5 S. 1
Z. 10 bis 11). Sie ist damit keine neu entstandene Membran und nicht fibrotisch.
Die durch die streitpatentgemäße Verwendung aufgesuchte und entfernte Mem-
brana limitans interna ist folglich nicht von den retinalen Membranen der D5 um-
fasst, so dass diese Druckschrift dem Streitgegenstand nicht neuheitsschädlich
entgegensteht.

Die D16 beschreibt die Färbung der kompletten Netzhaut mit dem Triphenylme-
thanfarbstoff Patentblau V, um Netzhautschäden, wie z. B. Ablösungen oder
Risse, sichtbar zu machen. Dazu lässt man den Farbstoff nach Injektion in den
Glaskörper mehrere Tage einwirken (vgl. D16 S. 72 "Zusammenfassung", S. 84
bis S. 86 Abs. 1). Eine spezifische Färbung der Membrana limitans interna zu
deren Entfernung gemäß Merkmal 2 ist dieser Druckschrift jedoch nicht entneh-
men.

Die übrigen dem Senat vorliegenden und weder in den schriftlichen Eingaben
noch in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Neuheit aufgegriffenen Ent-
gegenhaltungen können die Neuheit der Verwendung nach Patentanspruch 1
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ebenfalls nicht angreifen, da sie sich nicht mit der Verwendung eines Triphenyl-
methanfarbstoffs beim Aufsuchen und Entfernen der Membrana limitans interna im
menschlichen Auge beschäftigen.

5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen
Tätigkeit.

Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, ein Färbemittel mit fehlender Zytoto-
xizität bereitzustellen, welches zur Visualisierung der Membrana limitans interna
im menschlichen Auge während der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie geeignet
ist (vgl. Streitpatent S. 2 Abs. [0006] i. V. m. dem geltenden Patentanspruch 1).

Die Lösung dieser Aufgabe mit der Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs
gemäß Patentanspruch 1 wird durch die D5 nicht nahe gelegt. Diese Druckschrift
beschäftigt sich mit dem Problem der schlechten Sichtbarkeit von epiretinalen und
PVR-Membranen bei vitreoretinalen Operationen (vgl. D5 S. 3 Abs. 1 i. V. m. S. 2
Z. 23 bis 25). Als Lösung schlägt D5 vor, selektiv die fibrotischen epiretinalen und
PVR-Membranen anzufärben, während das nicht-fibrotische retinale Gewebe
darunter im Wesentlichen nicht oder wenigstens deutlich weniger angefärbt wird
(vgl. D5 S. 3 Z. 16 bis 21 i. V. m. S. 2 Z. 28 bis 35 und S. 5 Z. 14 bis 17). Dies
erreicht die D5 mit einem Vitalfarbstoff, der eine ausreichende Anfärbekapazität
bei einer physiologisch und toxikologisch akzeptablen Konzentration aufweist. Als
Beispiele für derartige Vitalfarbstoffe benennt die D5 eine Vielzahl von Farbstoffen
aus unterschiedlichen Farbstoffklassen und weist in den Ausführungsbeispielen
insbesondere auf den Diazofarbstoff Trypanblau hin (vgl. D5 S. 4 Z. 4 bis 24 und
S. 8 Beispiele 1 und 2). Damit gibt die D5 keine Anregung, die natürlich und auch
im gesunden Auge vorkommende, nicht fibrotische Membrana limitans interna mit
Hilfe eines Färbemittels gemäß Merkmal 2 aufzusuchen und zu entfernen.

Daran ändert auch die Erwähnung von Gentianaviolett, das in der Fachwelt auch
als Kristallviolett bezeichnet wird, in D5 nichts (vgl. D5 S. 4 Z. 19 bis 24, v. a.
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Z. 22). Gentianaviolett gehört zwar zu der Farbstoffklasse der Triphenylmethan-
farbstoffe. Allerdings ist Gentianaviolett in D5 nur ein einziges Mal im Rahmen der
Aufzählung einer Vielzahl von gemäß D5 geeigneten Vitalfarbstoffen offenbart. Da
es somit weder als bevorzugter Vitalfarbstoff aufgezeigt noch in den Ausführungs-
beispielen eingesetzt worden ist und es zudem am maßgeblichen Prioritätstag des
Streitpatents zum fachmännischen Wissen gehört hat, dass Gentianaviolett-haltige
okulare Anfärbemittel bei Farbstoffkonzentrationen über 0,05 % erhebliche toxi-
sche Nebenwirkungen aufweisen (vgl.

D11 Eldin, S. A. G., et al., J. Cataract. Refract. Surg., 1999, 25,
S. 1289 bis 1294

S. 1289 "Abstract", Abs. "Results" und S. 1294 li. Sp. vorle. Abs.), erhält der Fach-
mann durch diese Offenbarung keine Veranlassung, sich von den in D5 bevorzug-
ten Farbstoffen, insbesondere von Trypanblau, abzuwenden und sich mit der
Gruppe der biokompatiblen Triphenylmethanfarbstoffe näher zu befassen.

Auch die D16 kann weder für sich noch in einer Zusammenschau mit der D5 dem
Fachmann Anregungen dahingehend vermitteln, zur Lösung der dem Streitpatent
zu Grunde liegenden Aufgabe biokompatible Triphenylmethanfarbstoffe beim Auf-
suchen und Entfernen der Membrana limitans interna bei der Netzhaut- und Glas-
körperchirurgie zu berücksichtigen. In der D16 wird zwar die Färbung der Netzhaut
mit dem Triphenylmethanfarbstoff Patentblau V offenbart. Dies dient aber nach der
Lehre dieser Druckschrift dazu, Netzhautdefekte, wie z. B. Netzhautablösungen,
sichtbar zu machen. Dazu wird die Patentblau-haltige Farbstoffzusammensetzung
intravitreal in den Glaskörperraum injiziert und die Farbstoffverteilung im Auge
über mehrere Tage beobachtet. Dabei kommt es zu einer unspezifischen Färbung
sämtlicher Netzhautschichten (vgl. D16 S. 83 Abs. 2 bis S. 86 Abs. 1). Da es dem
Fachmann außerdem bekannt war, dass zur spezifischen Anfärbung der Mem-
brana limitans interna eine sehr kurze Einwirkdauer von wenigen Minuten ent-
scheidend ist (vgl. z. B.
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D26 Da Mata, A. P., et al., Ophthalmology, 2001, 108, S.1187
bis 1192

S. 1187 Zusammenfassung, Abs. "Intervention" und S. 1189 li. Sp. Abs. 4), kann
ihn die D16 somit nicht dazu motivieren, für die Färbung einzelner Netzhautschich-
ten und insbesondere der Membrana limitans interna Patentblau V bzw. die
Gruppe der Triphenylmethanfarbstoffe in Betracht zu ziehen. Im Übrigen spricht
auch die Einwirkdauer bei der Färbung epiretinaler Membranen gemäß D5 gegen
eine Kombination der D5 mit der D16. Denn auch epiretinale Membranen werden
in der Fachwelt bei der proliferativen Vitreoretinographie nur wenige Minuten
angefärbt (vgl. z. B.

D25 Feron, E. J., et al., Arch. Ophthalmol., 2002, 120, S. 141 bis
144

S. 141 Zusammenfassung, Abs. "Methods"). Dies steht aber im Widerspruch zu
der mehrere Tage andauernden Einwirkdauer der Farbstofflösung gemäß D16, so
dass der Fachmann die Lehren dieser beiden Druckschriften nicht im Zusammen-
hang gesehen hat.

Die übrigen dem Senat vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung nicht
mehr aufgegriffenen Entgegenhaltungen können zur Auffindung der streitpatentge-
mäßen Lösung ebenfalls nichts beitragen, da sie, soweit sie nicht nachveröffent-
licht sind oder lediglich allgemeinen Stand der Technik zu Triphenylmethanfarb-
stoffen und Bestandteilen von ophthalmologischen Arzneimitteln betreffen, weder
Vitalfarbstoffe im streitpatentgemäßen Sinn noch die Darstellung anderer Augen-
bestandteile insbesondere der Linsenvorderkapsel aufzeigen.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist daher vom Stand der Technik nicht
nahegelegt.

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6. Nachdem die Verwendung eines Triphenylmethanfarbstoffs nach Patentan-
spruch 1 alle Kriterien der Patentfähigkeit aufweist, hat dieser Patentanspruch Be-
stand.

Gleichfalls patentfähig sind die besonderen Ausführungsformen der die Verwen-
dung eines Triphenylmethanfarbstoffs nach Patentanspruch 1 betreffenden Pa-
tentansprüche 2 bis 7.


III

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss steht den Verfahrensbeteiligten das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat,
ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass

1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

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Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Be-
schlusses von einer beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwältin oder
von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt beim Bundesge-
richtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, eingereicht werden.


Dr. Maksymiw Schell Dr. Jäger Dr. Wagner


Fa


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