12 W (pat) 34/14  - 12. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



12 W (pat) 34/14
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
5. Oktober 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache

betreffend das Patent 10 2005 059 298



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hat der 12. Senat (Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der mündlichen
Verhandlung vom 5. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dipl.-Ing. Univ. Ganzenmüller, der Richterin Bayer sowie der Richter
Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder

beschlossen:

1. Der Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent-
und Markenamts vom 6. Dezember 2012 wird aufgehoben und
das Patent 10 2005 059 298 mit folgenden Unterlagen aufrecht-
erhalten:

- Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 5, überreicht in
der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2017,
- Beschreibung Seiten 2/13 bis 4/13 und 6/13 bis 7/13 gemäß
Patentschrift und Seite 5/13, überreicht in der mündlichen
Verhandlung am 5. Oktober 2017 und
- Zeichnungen (Fig. 1 bis Fig. 8) gemäß Patentschrift.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Einsprechenden
zurückgewiesen.

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G r ü n d e

I.

Die Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das am
29. Juli 2010 veröffentlichte Patent 10 2005 059 298 mit der Bezeichnung

„System und Verfahren zur passiven Lastminderung bei einer Windturbine“,

gegen das am 29. Oktober 2010 Einspruch erhoben wurde, mit Beschluss in der
Anhörung am 6. Dezember 2012 in beschränktem Umfang aufrechterhalten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden und
Beschwerdeführerin (nachfolgend Beschwerdeführerin) vom 10. April 2013.

Die Beschwerdeführerin hält den Gegenstand des von der Patentabteilung gegen-
über der erteilten Fassung beschränkt aufrechterhaltenen Anspruchs 1 für

a) unzulässig erweitert (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG),
b) nicht ausführbar offenbart (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) sowie
c) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 in
Verbindung mit § 4 PatG).

Bezüglich der mangelnden Patentfähigkeit verweist die Beschwerdeführerin auf
folgende Druckschriften:

E1: DE 917 540 C
E2: DE 199 62 454 A1
E3: DE 42 41 631 A1
E4: DE 31 19 780 A1

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E5: Erich Hau, „Windturbines“, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, 2000, Sei-
ten 334-337
E6: WO 89/ 09336 A1
E7: Erich Hau, „Windkraftanlagen, Grundlagen, Technik, Einsatz,
Wirtschaftlichkeit“, 3. Auflage, Springer Verlag Berlin Heidelberg 2003,
Seiten 223-250, 388-391
E8: Jens-Peter Molly, „Windenergie, Theorie, Anwendung, Messung“, Verlag
C.F. Müller GmbH, Karlsruhe, 2. Auflage 1990, Seiten 104-121
E9: Robert Gasch, „Windkraftanlagen“, B.G. Teubner Stuttgart, 3. Auflage
1996, Seiten 59-62
E10: John D. Anderson, „Fundamentals of Aerodynamics“, McGraw-Hill,
2. Auflage 1991, Seiten 28-30, 66-70, 228-229, 254, 274, 279
E11a: Peter S. Anderson et al., „Risø, Basismateriale for Beregning af
Propelvindmøller“, Dänemark 1980
E11b: Übersetzung von E11a
E11c: Veröffentlichungsnachweis für E11a vom 26. Mai 2008

Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag,

1. den Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent-
und Markenamts vom 6. Dezember 2012 aufzuheben und das
Patent 10 2005 059 298 zu widerrufen.
2. Die Anschlussbeschwerde der Beschwerdegegnerin zurückzu-
weisen.

Die Beschwerdegegnerin stellte den Antrag,

den Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 6. Dezember 2012 aufzuheben und das Patent
10 2005 059 298 mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

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- Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag 5, überreicht in
der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2017,
- Beschreibung Seiten 2/13 bis 4/13 und 6/13 bis 7/13 gemäß
Patentschrift und Seite 5/13, überreicht in der mündlichen
Verhandlung am 5. Oktober 2017,
- Zeichnungen (Fig. 1 bis Fig. 8) gemäß Patentschrift.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwie-
sen.

II.

1) Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig. Sie hat in der Sache jedoch
nur insoweit Erfolg, als das Patent gemäß den im Tenor genannten Unterla-
gen beschränkt aufrechterhalten wird.


2) Der Einspruch ist gemäß § 59 Abs. 1 PatG frist- und formgerecht erhoben
worden. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist seitens der Patentinhaberin auch
nicht in Frage gestellt worden.

3) Merkmalsgliederung

Für die weitere Erörterung wird von folgender Gliederung des geltenden An-
spruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 ausgegangen:

M1 Windturbinenflügel (14, 26, 52, 76, 102) mit: einer Außenhaut (28, 56, 80,
106) mit einem geschlossenen Flügelprofil (29, 57), einer Außenseite, ei-
ner Innenseite und gegenüberliegenden Seiten entlang einer Länge des
Flügels (14, 26, 52, 76, 102) und
M2) einer inneren Stützstruktur (30, 54, 78, 104) die innerhalb des geschlosse-
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nen Flügelprofils (29, 57) angeordnet ist:
M2.1) mit wenigstens einem Scherlast tragenden Element (32, 58, 82, 84,
108), das zwischen den einander gegenüberliegenden Seiten
angeordnet und entlang der Länge des Flügels (14, 26, 52, 76, 102)
angeordnet ist und
M2.2) mit einer Anzahl von Biegelast tragenden Elementen (34, 36, 60, 62,
86, 88, 90, 92, 110, 112), die entlang der Innenfläche in Längsrich-
tung entlang der Länge des Flügels (14, 26, 52, 76, 102) angeordnet
sind,
M2.3) wobei die innere Stützstruktur (30, 54, 78, 104) dazu eingerichtet ist,
ein Scherungszentrum des Flügels und ein Zentrum der aerodynami-
schen Druckbelastung in Bezug aufeinander an unterschiedlichen
Orten zu lokalisieren,
M3) so dass die auf den Windturbinenflügel (14, 26, 52, 76, 102) einwirkende
Windlast passiv gemindert wird, indem der Anstellwinkel der geschlosse-
nen Flügelprofilform vermindert wird,
M3.1) wobei das wenigstens eine Scherungslast tragende Element (32, 58,
82, 84, 108) einen Träger und bei dem die Anzahl von Biegelast tra-
genden Elementen (34, 36, 60, 62, 86, 88, 90, 92, 110, 112) ein Paar
Seitenstrukturen aufweist, die an einander gegenüberliegenden Sei-
ten (41, 43 und 68, 70) des Trägers angeordnet sind, wobei die
Seitenstrukturen im Bezug auf die gegenüberliegenden Seiten des
Trägers außermittig angeordnet sind,
M3.2) und wobei das Paar Seitenstrukturen voneinander abweichende
Materialien aufweist.

Hieran schließen sich die jeweils unmittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Un-
teransprüche 2 bis 6 an.

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4) Fachmann

Als Fachmann für den vorliegenden Erfindungsgegenstand zuständig ist ein Inge-
nieur des Maschinenbaus mit Universitätsstudium und mehreren Jahren Berufs-
erfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Rotorblättern, vertraut mit de-
ren Herstellung sowie mit entsprechenden Kenntnissen in der Aerodynamik.

5) Zulässigkeit der geltenden Ansprüche

Die geltenden Ansprüche sind zulässig, da ihre jeweiligen Gegenstände sowohl in
der Patentschrift (nachfolgend PS) wie auch in den Anmeldungsunterlagen (vgl.
Offenlegungsschrift, nachfolgend OS) offenbart sind und sie den erteilten Gegen-
stand beschränken.

Die Merkmale M1 bis M2.3 des geltenden Anspruchs 1 sind bis auf die lediglich
klarstellende Ergänzung im Merkmal M2.3, dass es sich bei dem Scherungszent-
rum um ein Scherungszentrum des Flügels handelt, wortgleich zum erteilten (s.
PS) und ursprünglichen Anspruch 1 (s. OS). Der Gegenstand des geltenden An-
spruchs 1 ist gegenüber dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch die
weiteren Merkmale M3, M3.1 und M3.2 beschränkt.

Dabei geht das Merkmal M3 zurück auf den erteilten wie auch den ursprünglichen
Anspruch 10, der auf Anspruch 1 rückbezogen war. Das Merkmal geht auch her-
vor aus der PS/OS, Abs. [0008], und gilt dort für alle Ausführungsformen.

Die Merkmale M3.1 und M3.2 gehen hervor aus den erteilten (s. PS) und auch ur-
sprünglichen (s. OS), auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüchen 2 und 3.
Das Merkmal M3.1 findet sich ersichtlich auch in sämtlichen Ausführungsbeispie-
len (s. Fig. 4 - 7) wieder.
Ein Gegenstand, der auch das Merkmal M3.2 zeigt, ist zwar nur in Fig. 6 darge-
stellt. In der PS/OS, Abs. [0027] ist jedoch angegeben, dass eine Ausgestaltung
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entsprechend dem Merkmal M3.2 „in weiteren Ausführungsformen“ eingesetzt
werden kann. Eine Beschränkung auf bestimmte Ausführungen ist damit nicht
vorgegeben. Daraus folgt, dass Seitenstrukturen aus unterschiedlichen, also von-
einander abweichenden Materialien grundsätzlich bei allen Ausführungsformen
vorgesehen werden können.

Die Unteransprüche 2 bis 6, die jeweils unmittelbar auf den Anspruch 1 rückbe-
zogen sind, beruhen auf den ursprünglichen und erteilten Unteransprüchen 4 bis 9
und sind nur bezüglich ihrer laufenden Nummerierung abgeändert. Ihre Gegen-
stände, die sich in Verbindung mit sämtlichen Merkmalen des nun geltenden An-
spruchs 1 ergeben, gehen nicht über das hinaus, was in der Patentschrift wie auch
in den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart ist, wie oben
ausgeführt.

6) Ausführbarkeit

Der Gegenstand nach geltendem Anspruch 1 ist ausführbar offenbart.
Die Argumente der Einsprechenden und Beschwerdeführerin, der Gegenstand
nach Anspruch 1 sei nicht ausführbar, überzeugen nicht. Zwar mag das Druck-
zentrum je nach Anstellwinkel jeweils an einer unterschiedlichen Stelle liegen. Das
Streitpatent zeigt aber mit den Ausführungsbeispielen auf, wie die innere Stütz-
struktur ausgeführt sein muss, damit zumindest bei im Betrieb üblichen Anstell-
winkeln – entsprechend dem Merkmal 2.3 – das Scherungszentrum des Flügels
und ein Zentrum der aerodynamischen Druckbelastung in Bezug aufeinander an
unterschiedlichen Orten lokalisiert sind.

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7) Zur Patentfähigkeit

7.1) Anspruch 1 (Hauptanspruch) gemäß Hilfsantrag 5

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist neu und beruht auch
auf erfinderischer Tätigkeit.

Dabei kommt die im Verfahren befindliche Entgegenhaltung E4 (DE 31 19 780 A1)
dem Gegenstand nach dem geltenden Anspruch 1 am nächsten.
Der Entgegenhaltung nach E4 fehlt es jedoch zumindest an dem Merkmal M3.2
(s. Fig. 2a und 3 i. V. m. S. 4, Z. 25-38, S. 5, Z. 1-5; S. 6, Z. 33 f.).

Neben der E4 legt auch keine weitere der im Verfahren befindlichen Entgegen-
haltungen einen Windturbinenflügel mit einer inneren Stützstruktur entsprechend
dem Merkmal M3.2 nach dem geltenden Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 nahe.

Nach dem Verständnis des Fachmanns fordert nämlich das Merkmal 3.2, dass die
beiden Seitenstrukturen, die jeweils an gegenüberliegenden Seiten eines Trägers
angeordnet sind, voneinander abweichende Materialen aufweisen. Daher muss
die eine Seitenstruktur (36, 60, 86, 88, 110) aus einem anderen Material bestehen
als die am gegenüberliegenden Ende des Querträgers angeordnete Seitenstruk-
tur (34, 62, 90, 92, 112).
Die Beschwerdeführerin hat hierzu vorgebracht, dass das Merkmal auch von zwei
solchen Seitenstrukturen erfüllt werde, die jeweils aus dem gleichen Werkstoff be-
stehen, wenn sich dieser aus zwei oder mehr voneinander abweichenden Materi-
alen zusammensetzt. Dies sei z. B. bei Holmgurten aus Verbundmaterialen der
Fall, wie sie aus E7 („Hau“), S. 236, Kap. 7.4.3, letzte vier Zeilen, bekannt sind.
Dieser Sichtweise kann jedoch nicht beigetreten werden, da jede einzelne dieser
Seitenstrukturen zwar für sich aus unterschiedlichen Materialien besteht. Anders
als vom Merkmal M3.2 gefordert enthält aber die eine Seitenstruktur die gleichen
Materialen wie die andere Seitenstruktur.
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Die Beschwerdeführerin verweist darüber hinaus auf die E6, Fig. 8. Die E6 schlägt
hier vor, Holme aus anisotropem Material zu verwenden, also Material mit rich-
tungsabhängigen Materialeigenschaften. Die E6 lehrt jedoch nicht, gegenüberlie-
gende Seitenstrukturen jeweils aus voneinander abweichenden Materialien aus-
zuführen (fehlendes Merkmal 3.2). Das von der Einsprechenden hierzu angeführte
Ausführungsbeispiel der E6, Fig. 8 i. V. m. E6, S. 6, Z. 3-21 und Z. 32-34, zeigt
entweder lediglich eine unterschiedliche Ausrichtung von Fasern bei ansonsten
identischem Material oder alternativ anisotrope Streifen „strips“ 65, 66, diese
ebenfalls aus gleichem Material, an den zu einer Mittelebene 60 gegenüberliegen-
den Außenseiten 61, 62 eines hohlen Zylinders. Auch das alternative Weglassen
eines Streifens (66) unter Beibehaltung des anderen (65) (s. E6, S. 6, Z. 28-32
i. V. m. Fig. 8) lehrt ebenfalls keine solche Ausführung aus voneinander abwei-
chenden Materialien, wie es jedoch das Merkmal 3.2 fordert.

Weitere Entgegenhaltungen hierzu wurden weder schriftsätzlich noch in der Ver-
handlung vorgetragen. Der weitere im Verfahren befindliche Stand der Technik
liegt auch weiter ab und kann nicht zu einer entsprechende Seitenstruktur wie
nach dem Merkmal 3.2 anregen.

Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist somit patentfähig.

7.2) Zu den Unteransprüchen

Die weiteren jeweils direkt auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 des
Hilfsantrags 5 sind echte, unselbständige Unteransprüche, die vom Hauptan-
spruch getragen werden.

III. Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben,
wenn gerügt wird, dass
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1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu
unterzeichnen und beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe,
einzureichen. Die Frist ist nur gewahrt, wenn die Rechtsbeschwerde vor
Fristablauf beim Bundesgerichtshof eingeht. Die Frist kann nicht verlängert
werden.


Ganzenmüller Bayer Krüger Ausfelder

Pr


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