10 W (pat) 160/14  - 10. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 152
08.05

BUNDESPATENTGERICHT




10 W (pat) 160/14
_______________________
(Aktenzeichen)



B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache


betreffend die Patentanmeldung 10 2004 028 902





hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 27. Juni 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Eisenrauch, Dr.-Ing. Großmann und
Dipl.-Ing. Richter

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beschlossen:

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F16D des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 11. Juni 2014 (schriftliche Ausferti-
gung vom 25. Juni 2014) wird aufgehoben und ein Patent mit fol-
genden Unterlagen erteilt:

- einziger Patentanspruch, eingegangen am
23. Juni 2017,
- Beschreibungsseiten 1 bis 4, eingegangen am
23. Juni 2017.


G r ü n d e
I.

Die Patentanmeldung ist am 15. Juni 2004 beim Deutschen Patent- und Marken-
amt unter dem Aktenzeichen 10 2004 028 902.6 erfolgt. Am Ende der Anhörung
vom 11. Juni 2014 hat die Prüfungsstelle für Klasse F16D die Zurückweisung der
Anmeldung beschlossen.

Im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind zum Stand der
Technik folgende Druckschriften herangezogen worden:

D1: US 4 807 728 A
D2: EP 1 004 789 A2
D3: WO 2005/ 007 913 A1 (nachveröffentlichte internationale
Patentanmeldung)
D4: W. Keiner/ H. Werning: Hochgekohlter Grauguss GG-15 HC, in: kon-
struieren + gießen 15, 1990, Nr. 4, S. 4 - 14
D5: EP 0 279 300 A2.
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Die Prüfungsstelle hat in ihrem Beschluss die Auffassung vertreten, dass der Ge-
genstand des Anspruchs 1 ausgehend von der D1 keine erfinderische Tätigkeit
aufweise. Dabei würden die anspruchsgemäßen Legierungsanteile in dem bean-
spruchten Bereich von den Bereichsangaben der D1 umfasst und der Fachmann
werde beispielsweise durch die D5 angeregt, ein möglichst 100%iges perlitisches
Gefüge anzustreben, da ein solches Gefüge bei einer Reibpaarung der Brems-
glieder optimal sei.

Gegen den Beschluss der Prüfungsstelle hat die Anmelderin am 22. Juli 2014 Be-
schwerde eingelegt. Mit Eingabe vom 20. Juni 2017, im Original eingegangen am
23. Juni 2017, hat sie einen einzigen neuen Patentanspruch („Anspruch 1“) sowie
neue Beschreibungsseiten 1 bis 4 eingereicht und beantragt,

auf Grundlage der neu eingereichten Unterlagen ein Patent zu
erteilen.


Der geltende Patentanspruch lautet:

„Bremsscheibe für Hochleistungs-Scheibenbremsen von Perso-
nenkraftwagen, bestehend aus Gusseisen mit Lamellengraphit,
dadurch gekennzeichnet, dass das Gusseisen rein perlitisch er-
starrt ist und die Legierungsbestandteile (in Masse-%)
C: 3,7 – 3,9 %
Si: 0,9 – 1,2 %
Mn: 0,4 – 0,6 %
Cu: 0,4 – 0,6 %
P: maximal 0,5 %
S: 0,04 - 4 -
und als Rest Eisen, einschließlich weiterer unvermeidbarer Legie-
rungsbestandteile und/oder Verunreinigungen von zusammen ins-
gesamt maximal 0,5%, aufweist.“

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch erfolg-
reich, da sie zur Erteilung eines Patents im beantragten Umfang führt.

1. Die geltenden Unterlagen sind zulässig.

Der geltende Patentanspruch wurde durch die Kombination der ursprünglich ein-
gereichten Ansprüche 1 und 2 gebildet und zusätzlich dadurch eingeschränkt,
dass der ursprünglich bis zu maximal 0,1 % betragende Legierungsanteil von
Schwefel S nunmehr in einem Bereich von 0,04 bis 0,1 % zu liegen hat. Auch
wenn der konkrete untere Zahlenwert von 0,04 % nicht ausdrücklich in den ur-
sprünglich eingereichten Unterlagen offenbart gewesen ist, so sind dennoch sämt-
liche Zwischenwerte in dem in den Anmeldungsunterlagen beanspruchten Bereich
von 0 bis maximal 0,1 % als zur beanspruchten Erfindung gehörend offenbart an-
zusehen. Damit ist die Beschränkung von dem ursprünglichen Zahlenbereich auf
den engeren, durch Grenzwerte bestimmten Zahlenbereich „0,04 nicht zu beanstanden (siehe auch BGH-Urteil X ZB 10/88, GRUR 1990, 510 –
Crackkatalysator I). Abgesehen davon ist diese Beschränkung auch im Hinblick
auf die Abgrenzung gegenüber dem älteren Stand der Technik nach der nachver-
öffentlichten E3, die einen Eisengusswerkstoff mit einem Schwefelgehalt von 0,01
bis 0,04 % beansprucht, als zulässig anzusehen (siehe Schulte/Moufang, Patent-
gesetz, 9. Auflage, § 34, Randnummer 149, 2,b,i). Somit bestehen keine Beden-
ken hinsichtlich der Zulässigkeit des geltenden Anspruchs.
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Bei den ebenfalls als zulässig erachteten Änderungen in den geltenden Beschrei-
bungsunterlagen handelt es sich um Anpassungen an die beantragte Anspruchs-
fassung sowie um die Würdigung des relevanten Standes der Technik.

2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs ist patentfähig (§§ 1 bis 5
PatG).

Der Erfindung liegt gemäß Absatz 6 der Offenlegungsschrift die Aufgabe zu-
grunde, eine robuste, wirtschaftlich herstellbare Bremsscheibe für Hochleistungs-
Scheibenbremsen von Personenkraftwagen zu schaffen.

Erfindungsgemäß wird dies durch eine Gusseisenlegierung mit einem perlitisch
erstarrten Gefüge und der anspruchsgemäßen Zusammensetzung gelöst. Hierbei
sind die Legierungsbestandteile auf den gegenüber herkömmlichen Legierungen
relativ hohen Siliziumanteil genau abgestimmt, so dass eine Rissbildung, insbe-
sondere Thermorissbildung, ausbleibt und die Verschleissbeständigkeit verbessert
wird (siehe Absätze 8 und 9 der Offenlegungsschrift).

Eine Bremsscheibe für Hochleistungs-Scheibenbremsen von Personenkraftwagen
aus einer derartigen Gusslegierung wird durch den entgegengehaltenen Stand der
Technik weder vorweggenommen noch kann dieser dem Fachmann eine derartige
Abstimmung der Legierungsbestandteile nahelegen. Als Fachmann wird im vorlie-
genden Fall einen Diplom-Ingenieur (TU) der Fachrichtung Maschinenbau mit ver-
tieften Kenntnissen in der Werkstoffkunde und Gießereitechnik sowie Erfahrung in
der Herstellung von Bremsenteilen für Kraftfahrzeuge angesehen.

2.1 Der beanspruchte Gegenstand ist neu gegenüber dem entgegengehaltenen
Stand der Technik.

Die nachveröffentlichte D3 offenbart Lkw-Bremsscheiben aus Gusseisen mit La-
mellengraphit, das mit Ausnahme der Schwefelanteile die übrigen Legierungsan-
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teile in der beanspruchten Konzentration aufweist (siehe deren Anspruch 1, Be-
schreibung Seite 13 sowie Tabellen 11 und 1b, insb. B1); der Schwefelanteil ist
hierbei allerdings bewusst auf ein Maximum von 0,04 % begrenzt worden (siehe
Seite 9, 1. Absatz) und liegt damit unter dem im Anspruch 1 der Streitanmeldung
angegebenen Wert.

Die US-Patentschrift D1 betrifft Bremsscheiben aus übereutektischen Legierungen
von Gusseisen mit Lamellengraphit („hyper-eutectic flaky graphite cast iron“ bzw.
„hyper-eutectic flake graphite cast iron“), siehe z. B. Anspruch 4. Die relativ breiten
Bereiche der einzelnen Bestandteile der Gusslegierung der D1 in Anspruch 4 bzw.
in Sp. 4, Z. 17 bis 23 umfassen zwar jeweils für sich betrachtet auch die anmel-
dungsgemäßen Bereiche, können jedoch nicht die erfindungsgemäße, enger ge-
fasste Kombination der Legierungsbestandteile vorwegnehmen.

Die D1 gibt nämlich zusätzlich zu den Bereichsangaben vor, dass die Legierung
übereutektisch sein muss, wobei zur Bestimmung des Kohlenstoffäquivalents für
das übereutektische Gusseisen mit Lamellengraphit die in der Spalte 3, Z. 45 bis
47 angeführte Formel bzw. Bedingung

CE = C(%) + 1/3 Si(%) > 4,3%

zugrunde gelegt wird (siehe auch Anspruch 1 der D1). Die Anwendung dieser
Formel führt mit den anmeldungsgemäßen Bereichsanteilen von C und Si zu ei-
nem Wert unterhalb einer übereutektischen Legierung bzw. maximal zu einer eu-
tektischen Legierung:

C = 3,9%, Si = 1,2% => CE = 3,9% + 1/3 x 1,2% = 4,3%

Da somit mit keiner Kombination der anmeldungsgemäßen Legierungsanteile eine
übereutektische Gusslegierung gebildet werden kann, wird diese auch nicht durch
die übereutektische Legierung der D1 vorweggenommen.
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Darüber hinaus unterscheidet sich der Anmeldungsgegenstand vom Gegenstand
der D1 noch darin, dass bei der D1 das Gusseisen nach dem Erstarren noch kein
Perlit-Gefüge aufweist, sondern dieses erst durch nachgeschaltete Wärmebe-
handlungen aus dem Ferrit-Gefüge umgewandelt werden muss.

Die weiteren Entgegenhaltungen D2, D4 und D5 unterscheiden sich noch durch
weitere abweichende Legierungsanteile, z. B. D2 bzgl. des S-Anteils, D4 bzgl. des
Si-Anteils und D5 bzgl. des C- und Mn-Anteils.

2.2 Der beanspruchte Gegenstand ist dem Fachmann auch nicht nahegelegt.

Ausgehend von der D1 gelangt der Fachmann nicht zu der erfindungsgemäßen
Kombination der Legierungsanteile, da diese - wie zuvor ausgeführt - durch die
Vorgabe einer übereutektische Gusslegierung ausgeschlossen ist. So lehrt die D1
in Spalte 3, Zeilen 64 ff., dem Fachmann, dass durch ein Kohlenstoffäquivalent
von größer 4,3 % bzw. durch eine übereutektische Gusslegierung das Quietschen
von Bremsscheiben eliminiert werden kann. Deshalb wird der Fachmann ausge-
hend von der D1 davon abgehalten, die Legierungsanteile so zu kombinieren,
dass eine untereutektische oder eutektische Legierung wie beim Anmeldungsge-
genstand zustande kommt.

Die weiteren Schriften wie D4 und D5 mögen zwar im Hinblick auf die Verwen-
dung als Bremsscheibe die vorteilhafte Ausgestaltung eines Perlit-Gefüges nahe-
legen, gehen hierbei aber von anderen Legierungszusammensetzungen aus und
geben auch keine Hinweise in Richtung der erfindungsgemäßen Zusammenset-
zung. Dies gilt auch für die D2, die z. B. einen höheren C-Gehalt und einen kleine-
ren S-Gehalt lehrt (siehe Anspruch 1 sowie Tabelle S. 3, unten).

Somit gelangt der Fachmann ausgehend vom vorliegenden Stand der Technik
nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs, der damit
patentfähig ist; der Anspruch 1 ist somit gewährbar.
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3. Einer weitergehenden Begründung des Beschlusses bedarf es nicht, da
dem Antrag der einzigen am Beschwerdeverfahren Beteiligten gefolgt wird und die
wesentlichen Gründe der Entscheidung dargelegt worden sind.


Dr. Lischke Eisenrauch Dr. Großmann Richter

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