10 W (pat) 126/14  - 10. Senat (Techn.Beschw.)
Karar Dilini Çevir:

BPatG 154
05.11

BUNDESPATENTGERICHT



10 W (pat) 126/14
_______________
(Aktenzeichen)



Verkündet am
26. Januar 2017





B E S C H L U S S

In der Beschwerdesache



- 2 -
betreffend das Patent 10 2006 005 829.1

hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) aufgrund der mündlichen Ver-
handlung am 26. Januar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Eisenrauch, Dipl.-Ing. Küest und
Dr.-Ing. Großmann

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.


G r ü n d e

I.

Gegen das Patent 10 2006 005 829.1 (Streitpatent), dessen Erteilung am
17. Juni 2010 veröffentlicht wurde, war am 15. September 2010 Einspruch erho-
ben worden. Der Einsprechende hat die Auffassung vertreten, dass der Gegen-
stand des Streitpatents in Sinne von § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG nicht patentfähig sei.

Seinen Einspruch hat der Einsprechende auf folgende Druckschriften gestützt:

D1: WO 98/51175 A1 D1‘: CA 2,289,662 A1
D2: US 6,681,399 B1
D3: GB 1 588 919 A
D4: US 5,325,537 A
D5: US 5,235,703 A
D6: www.bast.de: Sicherheitsinfo Nr. 5 von 8/2005
D7: US 3,866,241 A
D8: EP 1 315 427 B1 D8‘: US 2004/0111790 A1
- 3 -
D9: EP 0 925 730 A2
D10: GB 2 345 031 A
D11: DE 197 30 397 C1
D12: DE 296 11 869 U1

Die Patentabteilung 56 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat auf den Ein-
spruch mit Beschluss vom 19. Februar 2013 (mit Gründen versehene Fassung
vom 27. Februar 2013) das Patent mit geänderten Unterlagen beschränkt auf-
rechterhalten.

Der antragsgemäß gewährte (eine) Patentanspruch lautet in der von der Patentin-
haberin vorgenommenen Gliederung:

„Bekleidungsstück (10) für einen Insassen (M) eines Fahrzeugs
mit einem Airbagsystem (AM), wobei das Airbagsystem (AM) um-
fasst:
a) einen vorderen Airbag (20F) für den Brustbereich des
Insassen (M),
welcher als ein Körper an beinahe der gesamten äu-
ßeren Fläche eines vorderen Hauptabschnitts (10F)
des Bekleidungsstücks (10) derart vorgesehen ist,
dass er einen Brustabschnitt des Insassen (M) ab-
deckt,
b) einen hinteren Airbag (20R) für den Rückenbereich
des Insassen (M),
welcher als ein Körper an beinahe der gesamten äu-
ßeren Fläche eines hinteren Hauptabschnitts (10R)
des Bekleidungsstücks (10) derart vorgesehen ist,
dass er einen Rückenabschnitt des Insassen (M) ab-
deckt,

- 4 -
c) einen vorderen harten Protektor (30F), welcher auf der
vom Insassen (M) abgewandten Seite des vorderen
Airbags (20F) vorgesehen ist,
d) einen hinteren harten Protektor (30R), welcher auf der
vom Insassen (M) abgewandten Seite des hinteren
Airbags (20R) vorgesehen ist, und
e) einen Gasgenerator 21 zur Erzeugung von
Hochdruckgas zum Ausdehnen und Entfalten der Air-
bags (20F, 20R),
f) wobei der vordere Airbag (20F) und der hintere Airbag
(20R) zum Austausch von Hochdruckgas über einen
Verbindungsweg (20C) miteinander in Verbindung
stehen, so dass beide Airbags (20F, 20R) durch den-
selben Gasgenerator (21) ausgedehnt und entfaltet
werden, und
g) wobei der Gasgenerator (21) an dem hinteren Protek-
tor (30R) befestigt ist.“

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 4. April 2013 eingegangene Be-
schwerde des Einsprechenden.

Der Einsprechende, der an der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2017
nicht teilgenommen hat, hat schriftsätzlich die Anträge gestellt (sinngemäß),

1. den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Streitpa-
tent in vollem Umfang zu widerrufen sowie

2. die Beschwerdegebühr zu erstatten.

- 5 -
Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Verfahrensbeteiligten wird auf den Inhalt
der Akten Bezug genommen.


II.

1. Die Beschwerde des Einsprechenden ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache
keinen Erfolg.

a) Der Einspruch ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG form- und fristgerecht erho-
ben worden; er ist ebenfalls ausreichend substantiiert und begründet worden. Die
Patentinhaberin hat die Zulässigkeit des Einspruchs auch nicht in Frage gestellt.

b) Der Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere
für die Auslegung der Merkmale des Streitpatents ankommt, ist ein Maschinen-
bauingenieur mit Fach- oder Hochschulabschluss und mit mehrjähriger Erfahrung
in der Entwicklung und Fertigung von Sicherheitstechnik, insbesondere auf dem
Gebiet der Zweiradmotorfahrzeuge.

c) Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig, da er sich sowohl aus der Patent-
schrift als auch aus den Anmeldungsunterlagen herleiten lässt. Die Merkmale a)
und b) ergeben sich aus dem erteilten Patentanspruch 1, die Merkmale c) bis g)
aus den Absätzen [0018] bis [0021] der Offenlegungsschrift bzw. den Absät-
zen [0023] bis [0026] der Patentschrift.

- 6 -
d) Der Gegenstand des Streitpatents ist unstreitig gewerblich anwendbar und
erweist sich zudem in der beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung als neu und auf
einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (§§ 1, 3 und 4 PatG).

Das Patent bezieht sich auf ein Bekleidungsstück für einen Insassen eines Fahr-
zeugs, insbesondere für ein Zweiradmotorfahrzeug gemäß den Merkmalen des
geltenden Patentanspruchs 1.

Ausgehend vom in der Patentschrift zitierten Stand der Technik ist die in
Abs. [0009] angegebene Aufgabe, ein neues Bekleidungsstück für einen Insassen
eines Fahrzeugs mit einem Airbagsystem bereitzustellen, bei dem ein lokal auf
einen Airbag wirkender Stoß über dessen gesamten Bereich verteilt wird.

Die Lösung dieser Aufgabe ist ein Bekleidungsstück mit den eingangs angeführten
Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1.

e) Gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik ist der Gegen-
stand des geltenden Patentanspruchs 1 neu.

Die D1' zeigt in Fig. 4 und 5 und beschreibt auf Seite 10, Absatz 5 ein dort als
Schutzweste (vest-type safety garment) bezeichnetes Bekleidungsstück für einen
Insassen. Bei diesem bekannten Airbagsystem stehen der vordere Airbag und der
hintere Airbag nicht über einen Verbindungsweg miteinander in Verbindung und
der eine Gasgenerator ist nicht an dem hinteren Protektor befestigt.

Das Bekleidungsstück nach der D1´ weist somit nicht die Merkmale f) und g) des
geltenden Patentanspruchs 1 auf.

Die D2 beschreibt eine kugelsichere Weste mit einem aufblasbaren Kissen als
Schwimmhilfe und als zusätzliche Polsterung gegen Beschädigung durch Waffen.
Diese Weste ist kein Bekleidungsstück mit einem Airbagsystem und kann schon
- 7 -
deswegen nicht die Neuheit des Gegenstands nach dem geltenden Patentan-
spruch 1 in Frage stellen.

Die D3 offenbart in den Figuren 1, 3 und 4 und zugehöriger Beschreibung ein Be-
kleidungsstück für einen Insassen eines Fahrzeugs mit einem Airbag.

Es gibt dort keinen harten vorderen und keinen harten hinteren Protektor gem. den
Merkmalen c) und d) des geltenden Patentanspruchs 1.

Die D4 zeigt eine Schutzjacke mit Luftkammern. Diese ist nicht mit einem Airbag-
system ausgestattet, was auch auf die Protektoren nach der D5 bzw. D6 zutrifft.

Der D7 sind die Merkmale e) bis g) des geltenden Patentanspruchs 1 nicht zu ent-
nehmen.

Die D8' zeigt in Fig. 8 ein Bekleidungsstück für einen Insassen.
Ein hinterer harter Protektor (back protector components 16, 19) ist dort nicht wie
beim Streitpatentgegenstand auf der vom Insassen abgewandten Seite eines Air-
bags vorgesehen, sondern direkt am Körper des Insassen (vgl. Abs. [0058]), um
den Insassen vor der Airbagausdehnung zu schützen (vgl. Abs. [0063]). Im Ge-
gensatz zum Streitpatentgegenstand mit nur einem Gasgenerator für Ausdehnung
und Entfaltung beider Airbags hat das Bekleidungsstück gem. der D8´ drei Gas-
generatoren. Auch die Befestigung des Gasgenerators an dem hinteren Protektor
ist der D8' nicht zu entnehmen. Mithin fehlen dem in der D8´ beschriebenen Be-
kleidungsstück die Merkmale d) bis g) des geltenden Patentanspruchs 1.

f) Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 war dem Fachmann am
Anmeldetag durch die im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen auch nicht
nahegelegt.

- 8 -
Dem Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 am nächsten kommt der
Stand der Technik nach der D3.

Die D3 zeigt in Figur 3 einen Airbag, der gem. Anspruch 6 in zwei oder mehr läng-
liche Kammern 32 (compartments 32) unterteilt ist und der mit einem Gasgenera-
tor 14 (inflating means 14) in Verbindung steht, wobei der Gasgenerator 14 am
Motorrad befestigt ist (vgl. Seite 2, linke Spalte, Zeilen 54 bis 58). Auf Seite 2,
linke Spalte, Zeilen 47 bis 53 kann der D3 zwar ein Hinweis auf eine Befestigung
des Gasgenerators an der Schutzweste (protector) entnommen werden, wo aber
der Gasgenerator an der Schutzweste befestigen werden kann, ist in der D3 nicht
angegeben.

Der Fachmann, der sich um Verbesserungen der im Stand der Technik bekannten
Schutzwesten bemüht, kennt auch die D1', die eine Schutzweste (vest-type safety
garment) offenbart. Diese hat, wie aus Fig. 5 hervorgeht, zwei Gasgeneratoren
19a für die zwei vorderen Airbags und zwei Gasgeneratoren 19b für die zwei hin-
teren Airbags, die jeweils unten an der Schutzweste befestigt sind.

Auf nur einen Gasgenerator, der an dem hinteren Protektor befestigt ist (Merkmal
g), liefert die D1´ insbesondere wegen der vier dort angeordneten Gasgeneratoren
gerade keinen Hinweis.

Die Druckschriften D3 und D1' können somit keinen Gegenstand mit nur einem an
dem hinteren Protektor befestigten Gasgenerator, wie im geltenden Patentan-
spruch 1 vorgesehen, dem Fachmann nahelegen.

Das gilt auch für den Stand der Technik nach der D8', weil wegen der drei dort
vorgesehenen Gasgeneratoren (vgl. Fig. 5) jeglicher Hinweis auf nur einen am
hinteren, harten Protektor befestigten Gasgenerator fehlt.

- 9 -
Die D2, D4 bis D7 sowie D9 bis D13 liegen weiter ab; ihnen sind keine Hinweise
zu entnehmen, die einen Gegenstand mit nur einem an dem hinteren harten Pro-
tektor befestigten Gasgenerator aufzeigen können.

Damit vermag der aufgezeigte Stand der Technik weder für sich allein betrachtet
noch in einer Zusammenschau eine Anregung zur erfindungsgemäßen Lehre ge-
mäß dem geltenden Patentanspruch 1 zu geben.

2. Der Antrag des Einsprechenden auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist
gemäß § 80 Abs. 3 PatG statthaft. Er ist aber nicht begründet, da nicht ersichtlich
ist, weshalb die Rückzahlung der Gebühr der Billigkeit entsprechen sollte.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ge-
mäß § 80 Abs. 3 PatG dann als billig anzusehen, wenn bei ordnungsgemäßer und
angemessener Sachbehandlung die Beschwerde hätte vermieden werden können
(vgl. Schulte/Püschel, PatG, 9. Aufl., § 73 Rn. 139). Dies ist z. B. dann der Fall,
wenn die angefochtenen Entscheidung auf einem schwerwiegenden Mangel be-
ruht (vgl. Schulte/Püschel, PatG, 9. Aufl., § 80 Rn. 111 ff. - m. w. N.). Der Einspre-
chende, der seine Beschwerde nicht begründet hat, hat nicht mitgeteilt, auf wel-
chen Umstand er sein Begehren auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr stützt.
Auch auf andere Weise ist dies für den erkennenden Senat nicht ersichtlich ge-
worden.


III.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
- 10 -
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt
war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der
Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen
oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt
war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Geset-
zes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfah-
rens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung
ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit
des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.

Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.


Dr. Lischke Eisenrauch Dr. Großmann Küest

prö


Full & Egal Universal Law Academy