10. Senat - Sonderzahlung - Dachdeckerhandwerk - Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung
Karar Dilini Çevir:
10. Senat - Sonderzahlung - Dachdeckerhandwerk - Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung
Bundesarbeitsgericht 10 . Senat Urteil vom 13. November 2013 - 10 AZR 1058/12 - I. Arbeitsgericht Frankfurt am Main Urteil vom 28. Juli 2011 - 3 Ca 1124/11 - II. Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil vom 12. Oktober 2012 14 Sa 1494/11 - F ür die Amtliche Sammlung: Nein Entscheidungsstichwort e : Sonderzahlung - Dachdeckerhandwerk Gesetz: Tarifvertrag über die Gewähru ng eines Teils eines 13. Monats ein - kommens für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk vom 12. Juni 1992 idF des Änderungstarifvertrags vom 15. Juli 2010 (TV 13. ME 2010) §§ 3, 4 Leitsätze: keine Hinweis des Senats: Führende Entscheidung zu weiteren Parallelsachen - 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 10 AZR 1058/12 14 Sa 1494/11 Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 13. November 2013 URTEIL Jatz , Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger, pp. Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte, hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ve r- handlung vom 13. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz - Scholemann und Mestwerdt sowie die ehrena mtlichen Richter Baschnagel und Petri für Recht erkannt: - 2 - 10 AZR 1058/12 - 3 - 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hess i- schen Landesarbei tsgerichts vom 12. Oktober 2012 - 14 Sa 1494/11 - wird zurückgewiesen. 2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu t ragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Höhe d er Sonderzahlung für das Jahr 2010. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen des Dachdeckerhandwerks. Der Kläger ist seit dem 1. Juni 2007 für die Beklagte tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der seit dem 1. Juli 2003 allgemeinverbindliche Tarifvertrag über die G e- währung eines Teils eines 13. Monatseinkommens für gewerbliche Arbeitne h- mer im Dachdeckerhandwerk vom 12. Juni 1992 Anwendung. Dieser enthielt in der Fassung d es Änderungs tarif vertrags vom 21. August 2003 (TV 13. ME 2003) nachstehende Regelungen: § 3 Vollanspruch 1. Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November des laufe n- den Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen besteht, hat Anspruch auf Zahlung eines vollen Teiles eines 13. Monatseinkommens. § 4 Höhe des Anspruchs Die Höhe des Anspruchs beträgt das Fünfundsiebzigfache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Lohnausgleich, die Zusatzversorgung, die Gewährung e i- nes Teiles eines 13. Monatseinkommens und des Be i- tragseinzugs für die Berufsbildung im Dachdeckerhan d- 1 2 - 3 - 10 AZR 1058/12 - 4 - werk, für das Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag das Fünfundsechzigfache. § 5 Fälligkeit und Auszahlung Die Zahlung wird fällig mit der Lohnabrechnung für den Monat November. § 6 Teilansprüche 1. Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November mindestens ununterbrochen 3 Monate besteht, haben An spruch auf 1/12 des in § 3 genannten Betrages für jeden Beschä f- tigungsmonat. Als Beschäftigungsmonat gilt jeder M o- nat, in dem das Beschäftigungsverhältnis wenigstens 12 Arbeitstage bestand. Samstage gelten nicht als A r- beitstage. 2. Dem ohne eigene Veranlas sung nach mindestens dreimonatiger ununterbrochener Beschäftigung aus dem Dachdeckerhandwerk ausscheidenden Arbei t- nehmer (z. B. betriebsbedingte Kündigung des Arbei t- gebers, Verrentung, Grundwehr - oder Ersatzdienst) stehen so viele 1/12 des Vollanspruchs zu , wie er im Bemessungszeitraum im Betrieb beschäftigt war. Der Teilanspruch ist beim Ausscheiden fällig. 3. Sofern bereits gemäß Ziffer 1 und 2 entstandene A n- sprüche im laufenden Kalenderjahr abgewickelt worden sind, werden diese auf die weiteren Teilleis tungen a n- gerechnet. Am 15. Juli 2010 schlossen die Tarifvertragsparteien einen weiteren Änderungstarifvertrag (TV 13. ME 2010) mit folgenden Änderungen der So n- derzahlung : § 3 Vollanspruch 1. Jeder Arbeitnehmer, dessen Beschäftigungsverhältnis im Dachdeckerhandwerk am 30. November des laufe n- den Kalenderjahres 12 Monate ununterbrochen besteht, hat Anspruch auf Zahlung eines vollen Teiles eines 13. Monatseinkommens sowie eines Arbeitgeberbeitr a- 3 - 4 - 10 AZR 1058/12 - 5 - ges zur Finanzierung von Altersvorsorgeleistungen im Sinn e des § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der b e- trieblichen Altersversorgung (BetrAVG). § 4 Höhe des Anspruchs Die Höhe des Anspruchs auf einen vollen Teil eines 13. Monatseinkommens beträgt das Fünfzigfache des e f- fektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über die Sozialkassenverfahren im Dachdeckerhandwerk (VTV), für das Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag das Vierzigfache. Die Höhe des Arbeitgeberbeitrages zur Finanzierung der Altersv e r- sorg ung beträgt für alle Arbe itnehmer das Dreiunddreißi g- fache des effektiven Bruttodurchschnittsstundenlohnes gemäß § 3 Nr. 4 des Tarifvertrages über die Sozialka s- senverfahren im Dachdeckerhandwerk. Auf Antrag der Tarifvertragsparteien vom 21. September 2010 (Bu n- desanzeiger 147/2 010 S. 3275) wurde der TV 13. ME 2010 in der Sitzung des Tarifausschusses beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 25. Oktober 2010 mit Wirkung zum 1. Januar 2010 für allgemeinverbindlich e r- klärt. D ie geänderten Regelungen wurden Mitte November 2010 in der Zei t- Hessen - Dach veröffentlicht . Die Allgemeinverbindlicherklärung wurde am 22. Februar 2011 im Bundesanzeiger 29/20 1 1 bekannt gemacht . Die Sa t- zung der Zusatzversorgungskasse des Dachdeckerhandwerks VVaG zur indiv i- duell en betrieblichen Altersversorgung wurde am 28. Februar 2011 beschlo s- sen und am 28. März 2011 durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistung s- aufsicht genehmigt. Die Beklagte zahlte de m Kläger mit der Abrechnung für November 2010 entsprechend de r Neuregelung das Fünfzigfache und an die Lohnausgleich s- kasse des Dachdeckerhandwerks das Dreiunddreißigfache des effektiven Bru t- todurchschnitts stunden lohns. 4 5 - 5 - 10 AZR 1058/12 - 6 - Der Kläger hat eine private Rentenversicherung mit Lebensversich e- rung, einen Bausparvertrag und e ine Unfallversicherung abgeschlossen und in der Vergangenheit die Beiträge aus der Sonderzahlung bedient . D er Kläger begehrt die Zahlung weitere r 25 S tundenlöhne. Sein A n- spruch auf Sonderzahlung für das Jahr 2010 richte sich nach dem TV 13. ME 2003 . D e n A nspruch habe er im Jahr 2010 ratierlich erworben , di e- ser habe nicht rückwirkend durch Tarifvertrag ge kürzt werden können. Die ve r- pflichtende Teilnahme an der tariflichen Zusatzversorgung stelle zudem wegen seiner individuellen Vorsorge eine unbillige Härte dar. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 481,50 Euro nebst Zi n- sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszin s- satz seit dem 10. Dezember 2010 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweis en. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesa r- beitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Entscheidungsgründe Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. I. Der Kläger hat Anspruch auf eine Sonderzahlung für das Jahr 2010 in Höhe des fünfzigfachen Bruttodurchschnittsstundenlohns nach §§ 3, 4 TV 13. ME 2010 , den die Beklagte erfüllt hat . 1 . Der Anspruch des Klägers auf die Sonderzahlung für das Jahr 2010 ist am 30. November 2010 entstanden. a) Nach § 3 TV 13. ME 2003 wie auch nach § 3 TV 13. ME 2010 setzt der Anspruch auf Zahlung des vollen Teils eines 13. Monatseinkommens voraus, 6 7 8 9 10 11 12 13 14 - 6 - 10 AZR 1058/12 - 7 - dass am 3 0. November des laufenden Kalenderjahres ein Beschäftigungsve r- hältnis im Dachdeckerhandwerk zwölf Monate ununterbrochen bestanden hat; Teilansprüche können vor diesem Stichtag nach § 6 Abs. 2 TV 13. ME 2003/2010 nur bei bestimmten, vom Arbeitnehmer nicht z u vertreten d en Bee n- digungstatbeständen entstehen. D er Anspruch auf Sonderzahlung entsteht in einem bestehenden Arbeitsverhältnis somit erst am Stichtag und nicht ratierlich im laufenden Jahr . b) Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers im Dachdeckerhandwe rk bestand am 30. November 2010 ununterbrochen zwölf Monate, damit entstand der Anspruch zu diesem Zeitpunkt . 2 . Der TV 13. ME 2003 ist durch den allgemeinverbindliche n TV 13. ME 2010 rechtswirksam abgelöst worden , Ansprüche des Klägers auf Sonderza h- lung für das Jahr 2010 haben sich nach diesem Tarifvertrag gerichtet . a) Nachdem der TV 13. ME 2010 am 15. Juli 201 0 vereinbart worden war , galt er für die nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Mitglieder der Tarifve r- tragsparteien unmittelbar und löste den TV 1 3. ME 2003 ab . F ür Nichttarifg e- bundene galt der TV 13. ME 2003 mangels tariflicher Geltung ab diesem Zei t- punkt nicht mehr kraft Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 TVG , sondern nur noch kraft Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ( BAG 8. November 2006 - 4 A ZR 590/05 - Rn. 16, BAGE 120, 84; 17. Januar 2006 - 9 AZR 41/05 - Rn. 20, 22 ; BAGE 116, 366 ) . D ie se k a nn dur ch eine andere Abmachung beendet werden ; e ine solche liegt b ei Nichtorganisierten aber nicht bereits mit Inkrafttreten d es ablösenden Tarifvertrags vor , weil dieser auf das Arbeitsve r- hältnis auch zur Anwendung kommen muss (BAG 17. Januar 2006 - 9 AZR 41/05 - Rn. 24, aaO ) . D ie Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifve r- trags endet erst, wenn der ablösende Tarifvertrag für allgemeinverbindlich e r- k lärt wird. D ies setzt nach § 5 Abs. 7 TVG die öffentliche Bekanntmachung v o- raus (Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 207 ; Däubler/Lakies TVG 3. Aufl. § 5 Rn. 199) . Zum Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf die tarifliche So n- derzahlung wirkte der TV 13. ME 2003 somit noch nach, weil die Allgemeinve r- 15 16 17 - 7 - 10 AZR 1058/12 - 8 - bindlicherklärung des TV 13. ME 2010 erst zu einem späteren Zeitpunkt im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht wurde. b) Die rückwirkende Allgemeinverbindlich erklärung des TV 13. ME 2010 ist rechtswirk sam . a a) Bei der Rückwirkung von Allgemeinverbindlicherklärungen sind die Grundsätze über die Rückwirkung von Gesetzen, wie sie in der Rechtspr e- chung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt worden sind, entsprechend anzuwenden (BAG 25. September 1996 - 4 AZR 209/95 - zu I 2.6.1 der Gründe mwN, BAGE 84, 147) . Die Rückwirkung einer Allgemeinverbindlicherklärung verletzt nicht die vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) umfassten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, soweit die B e- tr offenen mit ihr rechnen m ü ssen (BAG 20. März 2013 - 10 AZR 744/11 - Rn. 19 ; 21. August 2007 - 3 AZR 102/06 - Rn. 27, BAGE 124, 1) . Ein solcher Fall liegt vor, wenn ein Tarifvertrag rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt wird, der ein en allgemeinverbi ndliche n Tarifvertrag erneuert oder ändert. Bei dieser Sachlage müssen die Tarifgebundenen nicht nur mit einer Allgemeinve r- bindlicherklärung des Nachfolgetarifvertrags , sondern auch mit der Rückbezi e- hung der Allgemeinverbindlicherklärung auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens rechnen (st. Rspr. , BAG 20. März 2013 - 10 AZR 744/11 - Rn. 20 ; 21. August 2007 - 3 AZR 102/06 - Rn. 27, aaO ) . bb ) Im Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs war der ablösende TV 13. ME 2010 in Kraft und erfasste bereits die Arbeitsverhältnisse der Mi t- glieder der Tarifvertragsparteien. D ie die Nichttarifgebundenen betreffende Al l- gemeinverbindlich keit war durch den Tarifausschuss beschlossen , d ie geände r- ten Regelungen waren sogar öffentlich bekannt gemacht worden . Ein Vertrauen in den unveränderten Fortbestand der Ansprüche nach §§ 3, 4 TV 13. ME 2003 bestand bei den Nichttarifgebundenen im Zeitpunkt des Entstehens des A n- spruchs deshalb n icht ; d ie Tarifvertragsparteien haben mit dem am 15. Juli 2010 vereinbarten TV 13. ME 2010 a uch nicht nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen ( sog. echte Rückwi r- 18 19 20 - 8 - 10 AZR 1058/12 kung ; vgl. BVerfG 13. Mai 1986 - 1 BvR 461/85 - zu B III 1 der Gründe, BVerfGE 72, 175) . cc ) Dass der Kläger anderweitig privat vorgesorgt hat , ist unerheblich . T a- rifvertragsparteien sind regelmäßig nicht gehalten, individuelle Besonderheiten bei tariflichen Regelungen zu berücksichtigen. Der Kläger konnte auch nicht davon ausgehen, dass der tariflich bestimmte Anspruch auf eine Sonderza h- lung auf Dauer unverändert bleib en würde . Soweit bei älteren Arbeitnehmern nur eine verhältnismäßig geringe Altersversorgung aus dem Arbeitgeberbeitrag zu erwarten ist, muss das hingenommen werden; auch diese Versorgungslei s- tung ist nicht we rtlos, sondern entspricht dem tariflichen Arbeitgeberbeitrag. dd ) Ebenso kommt es nicht darauf an, d ass die Satzung der Zusatzverso r- gungskasse erst 2011 in Kraft ge setzt wurde . D er tarifliche Anspruch ist nicht unter den Vorbehalt einer bestimmten Satzung slage gestellt worden . II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Mikosch Schmitz - Scholemann Mestwerdt R. Baschnagel U. Petri 21 22 23

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