10. Senat - Pfändungsfreies Einkommen - Berechnung - Unterhaltszahlungen
Karar Dilini Çevir:
10. Senat - Pfändungsfreies Einkommen - Berechnung - Unterhaltszahlungen
BUNDESARBEITSGERICHT 10 AZR 323/12 11 Sa 1004/11 Landesarbeitsgericht Düsseldorf Im Namen des Volkes! Verkündet am 28. August 2013 URTEIL Jatz, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungs beklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ve r- handlung vom 28. August 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesa r beitsgericht Prof. Dr. M ikosch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz - Scholemann und Mestwerdt sowie die ehrenamtliche Richterin Schü r mann und den ehre n amtlichen Richter Bicknase für Recht erkannt: - 2 - 10 AZR 323/12 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des La n desarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Januar 2012 - 11 Sa 1004/11 - aufgehoben. 2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entsche i- dung, auch über die Kosten der Revision, an das La n desarbeitsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Berechnung der pfändungsfreien Entgel t- bestandteile des Klägers. Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2010 für die Beklagte als Disp o- nent tätig. Er bezog im September 2008 2.281,03 Euro netto und im weiteren Streitzeitraum bis Februar 2010 zwische n 1.340,20 Euro und 1.488,7 9 Euro netto Arbeitsentgelt. In den Jahren 2008 und 2009 war auf der Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen und seit Januar 2010 die Lohnsteuerkla s- se I sowie ein Kinderfreibetrag von 0,5. Der Kläger lebt seit einem nicht festgestellten Zeitpunkt im Jahr 2009 von seiner Ehefrau getrennt, die Ehe wurde am 24. August 2010 durch das Landgericht Groningen geschieden. Seit dem 30. Januar 2010 ist der Kläger Vater eines Kindes , mit dessen Mutter er im Streitzeitraum nicht verheiratet war . Durch Pfändungs - und Überweisungsbeschluss vom 21. August 2008 wurde der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung des gesa m- ten gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens , ausgenommen ua. die in §§ 850 a bis 850 c und 850e Ziff . 1 ZPO genannten Bezüge , gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen. Die Beklagte hat bei der Berechnung des pfändungsfreien Entgelts die Ehefrau des Klägers, die im Streitzeitraum eig e- nes Einkommen erzielt hat, nicht berücksichtigt. Seit dem 8 . Februar 2009 ist über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. 1 2 3 4 - 3 - 10 AZR 323/12 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte die Unte r- haltsverpflichtung gegenüber seiner damaligen Ehefrau berücksichtigen mü s- sen und anstelle von 248,40 Eur o nur 62,05 Euro an den Pfändungsgläubiger auskehren dürfen. In den Monaten Januar und Februar 2010 sei sein Einko m- men wegen der weiteren Unterhaltspflichten gegenüber dem neugeborenen Kind und dessen Mutter in vollem Umfang unpfändbar gewesen. Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.199,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basi s- zinssatz seit dem 30. November 2010 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei w e- gen des laufenden Insolvenzverfahrens zur Geltendmachung der Forderung nicht befugt. Der pfändbare Einkommensbestandteil sei zutreffend berechnet worden. Der Anspruch sei verwirkt, weil der Kläger die Abrechnungen im Strei t- zeitraum nicht beanstandet hab e. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Lande s- arbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte, wie die Revision zu Recht rügt, nicht davon ausgehen, dass der Kläger seiner Ehefrau im gesamten Streitzeitraum Unterhalt geleistet hat. Ob und in welchem Umfang die Klage begründet ist, kann der Senat mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsu r- teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO) . I. Der Kläger ist klagebefugt, der Anspruch ist nicht Bestandteil der Inso l- venzmasse. 5 6 7 8 9 10 - 4 - 10 AZR 323/12 1. Nach § 35 Abs. 1 InsO e rfasst das Insolvenzverfahren das Gesamtve r- mögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nic ht zur Inso l- venzmasse, nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO gilt ua. § 850c ZPO entsprechend. Unpfändbare Forderungen gehören demnach nicht zur Insolvenzmasse, sie sind dem Insolvenzverwalter nicht nach § 148 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO zur Verwaltung übertragen (BGH 3. November 2011 - IX ZR 45/11 - Rn. 7; FK - InsO/Bornemann § 36 Rn. 14 ff.) . 2. War die Ehefrau des Klägers nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO bei der Berechnung der pfändungsfreien Entgeltbestandteile zu berücksichtigen, kon n- te der Anspruch schuldbefreiend n ur durch Zahlung an den Kläger erfüllt we r- den, für die materiellrechtliche Prüfung ist der Kläger aktivlegitimiert. Die Au f- m- schuldbefreiend leisten können und es bestehe allenfalls ein vom Insolvenzbeschlag umfasster Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Nichtberücksichtigung von Unte r- m- men kann nicht gepfändet werden. Es steht dem Arbeitnehmer zu. II. Die Klage ist begründet, soweit die frühere Ehefrau des Klägers bei der Berechnung des pfändungsfreien Arbeitsentgelts zu berücksichtigen war. 1. Nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO erhöht sich der Betrag, bis zu dessen Höhe das Arbeitseinkommen unpfändbar ist, wenn der Schuldner aufgrund e i- ner gesetzlichen Verpflichtung ua. seinem Ehegatten Unterhalt gewährt. Der Schuldner muss den Unterhalt - freiwillig oder durch Beitreibung - tatsächlich leisten (allgeme ine Meinung , BAG 21. Januar 1975 - 5 AZR 200/74 - BAGE 27, 4; 9. Dezember 1965 - 5 AZR 272/65 - ; St ö ber Forderungspfändung 15. Aufl. Rn. 1047; Stein/Jonas /Brehm ZPO 22. Aufl. § 850c Rn. 16 mwN) . a) Im Verhältnis zwischen Ehegatten kommt es nicht darauf an , ob der Schuldner tatsächlich einen Geldbetrag für den Unterhalt des Ehegatten a b- 11 12 13 14 15 - 5 - 10 AZR 323/12 zweigt; dieser ist schon dann zu berücksichtigen, wenn der Schuldner aufgrund beiderseitiger Verständigung angemessen zum Familienunterhalt beiträgt ( § § 1360 , 1360a BGB) ; bei Ehegatten, die in häuslicher Gemeinschaft leben, ist grundsätzlich von gegenseitigen Unterhaltsleistungen, durch die die Kosten des Familienunterhalts gemeinsam bestritten werden, auszugehen (BGH 3. November 2011 - IX ZR 45/11 - Rn. 9; BAG 21. Januar 1975 - 5 AZR 200/74 - BAGE 27, 4) . b) Der getrennt lebende Ehegatte hat nach § 1361 Abs. 1 BGB Anspruch auf angemessenen Unterhalt, der im Unterschied zum Familienunterhalt grun d- sätzlich als monatliche Geldrente zu leisten ist (§ 1361 Abs. 4 BGB) . Der g e- trenn t lebende Ehegatte wird bei der Bemessung des unpfändbaren Einko m- mens des Schuldners nach § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO nur berücksichtigt, wenn der Schuldner diesen Unterhalt auch tatsächlich leistet (St ö ber Forderung s- pfändung Rn. 1051) . Die Vermutung wechsels eitiger Erbringung von Unterhalt s- leistungen durch Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft greift nicht. c) Unerheblich ist, ob der Ehegatte eigene Einkünfte hat. Er wird bei der Berechnung des pfändungsfreien Entgelts trotz eigener Einkünfte berücksic h- tigt, wenn der Schuldner tatsächlich Unterhalt nach §§ 1360, 1361 BGB leistet. Der Gläubiger hat in diesem Falle nach § 850c Abs. 4 ZPO allerdings die Mö g- lichkeit, einen Beschluss des Vollstreckungsgerichts zu erwirken, dass die u n- terhaltsberechtigte Person ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. 2. Ob und in welchem Zeitraum der Kläger seiner früheren Ehefrau ta t- sächlich Unterhalt geleistet hat, ist nicht bindend festgestellt. Das Landesa r- Bekla g- ausgegangen. Soweit es sich hierbei aber nicht nur um eine nicht bindende rechtliche Schlussfolgerung handelt, sondern tatsächliche Feststellungen g e- tro f fen werden, ist die dagegen gerichtete Verfahrensrüge der Revision begrü n- det. 16 17 18 - 6 - 10 AZR 323/12 a) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behau p- tung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und b e- gründeter Revisionsangriff erhoben ist (§ 559 Abs. 2 ZPO) . Die Bindung entfällt, soweit das Revisionsgericht selbst Tatsachen feststellen darf, insbesondere wenn eine zulässige und begründete Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs . 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO (Revisionsangriff) erhoben worden ist. Diese muss die B e- zeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend macht. Dabei sind strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt auch für eine auf § 286 ZPO gestüt z- te Rüge, das Ta tsachengericht habe einen bestimmten Sachvortrag übersehen oder nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb fehlerhafte Feststellungen getroffen, zB einen Vortrag fälschlich als unstreitig zu g runde gelegt. Es muss genau angegeben werden, aufgrund welchen Vortrags das Berufungsgericht zu welchen Tatsachenfeststellungen hätte gelangen müssen und dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, also bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden worden wäre (BAG 18. Januar 2007 - 8 AZR 250/06 - Rn. 27; 16. Oktober 2007 - 9 AZR 321/06 - Rn. 37; 15. September 2009 - 3 AZN 404/09 - Rn. 14; zurückhaltender BAG 22. Mai 2012 - 1 AZR 94/11 - Rn. 23 unter Hinweis auf BGH 16. Dezember 2010 - I ZR 161/08 - Rn. 12; GMP/Müller - Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 59; GK - ArbGG/Mikosch Stand Juli 2013 § 73 Rn. 74, § 74 Rn. 68) . b) Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, dass sie mit erstinstanzl i- chem, in der Berufungsbegründung in Bezug genommenem Schriftsatz vom 12. Mai 2011 die tatsächliche Gewährung von Unterhalt durch den Kläger an seine frühere Ehefrau bestritten hat. Das Arbeitsgericht hat diesen Vortrag im Tatbestand zwar wiedergegeben, ihn aber in den Entscheidungsgründen nicht behandelt, weil es fälschlicherweise darauf abgestellt hat, ohne Beschlu ss nach § 850c Abs. 4 ZPO müsse der unterhaltsberechtigte Angehörige im Rahmen von § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO stets berücksichtigt werden; ob der Kläger ta t- sächlich Unterhalt geleistet hat, war für das Arbeitsgericht unerheblich. Die pauschale Bezugnahme der Beklagten in der Berufungsbegründung auf den erstinstanzlichen Vortrag war deshalb zulässig; eine Partei ist nicht gehalten, 19 20 - 7 - 10 AZR 323/12 alle Einwendungen nochmals im Einzelnen vorzutragen, die in der angefocht e- nen Entscheidung nicht berücksichtigt worden sind (BGH 1 8. September 1985 - VIII ZR 244/84 - zu VI der Gründe ; Zöller /Heßler ZPO 29. Aufl. § 520 Rn. 40) . c) Solange der Kläger mit seiner früheren Ehefrau in häuslicher Gemei n- schaft gelebt hat, ist davon auszugehen, dass die Ehegatten nach §§ 1360, 1360a BGB ein ander Naturalunterhalt geleistet haben und die Ehefrau als u n- terhaltsberechtigte Person im Rahmen von § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO zu b e- rücksichtigen war (vgl. BGH 3. November 2011 - IX ZR 45/11 - Rn. 9) . Mit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft war die g etrennt lebende Ehefrau nur dann als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen, wenn der Kläger ihr tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Dazu fehlen Feststellungen. III. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO) . 1. Es kommt entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht allein d a- rauf an, dass das Vollstreckungsgericht keinen Beschluss nach § 850c Abs. 4 ZPO getroffen hat. Die Ehefrau des Klägers ist auch dann nicht zu berücksicht i- gen, wenn der Kläger i hr tatsächlich keinen Unterhalt gewährt hat. 2. Die Geltendmachung des Anspruchs ist nicht verwirkt. Es fehlt jede n- falls am erforderlichen Umstandsmoment. Der Kläger hat durch die Wahl der Lohnsteuerklasse III (bis Dezember 2009) dokumentiert, mit seiner Ehefrau z u- sammenz uleben; nach § 38b Abs. 1 Nr. 3 EStG ist die Wahl dieser Steuerkla s- se ua. nur möglich, wenn die Ehepartner nicht dauernd getrennt leben. Die B e- klagte konnte bereits deshalb nicht davon ausgehen, dass der Kläger die Nich t- berücksichtigung se iner Ehefrau bei der Berechnung der pfändungsfreien B e- träge akzeptieren würde. IV. Der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurüc k- zuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO) . Es bedarf der Aufklärung, zu welchem ko n- kreten Zeitpunkt die häusliche Gem einschaft aufgelöst wurde. Sodann ist dem 21 22 23 24 25 - 8 - 10 AZR 323/12 Kläger Gelegenheit zu geben, für den Zeitraum des Getrenntlebens etwaige Unterhaltszahlungen an die getrennt lebende Ehefrau darzulegen. I n Bezug auf die Monate Januar und Februar 2010 ist aufzuklären, welcher weit eren unte r- haltsberechtigten Person der Kläger tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Er war nach § 1601 BGB gegenüber dem im Januar 2010 geborenen Kind und nach § 1615l Abs. 1 BGB gegenüber der Mutter des Kindes unterhaltsverpflichtet . Mikosch Schmitz - Scholemann Mestwerdt Schürmann R. Bicknase

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