10. Senat - Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.11.2011, 10 AZR 210/10.
Karar Dilini Çevir:
10. Senat - Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 16.11.2011, 10 AZR 210/10.
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 10 AZR 212/10 17 Sa 1091/09 Landesarbeitsgericht Niedersachsen Im Namen des Volkes! Verkündet am 16. November 2011 URTEIL Jatz, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Beklagter, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundes-arbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert - 2 - 10 AZR 212/10 - 3 - und Reinfelder sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Zielke und Schürmann für Recht erkannt: 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Lan-desarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Januar 2010 - 17 Sa 1091/09 - aufgehoben. 2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Zahlung einer Heimzulage. Die Klägerin ist staatlich anerkannte Erzieherin. Sie ist seit dem 9. Juli 1993 beim Beklagten auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 28. Mai 1993 nebst verschiedenen Nachträgen beschäftigt und war zuletzt in der „Tagesförderung“ tätig. Nach § 3 des Arbeitsvertrags finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestim-mungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) und der diesen ergänzen-den oder ändernden Tarifverträge Anwendung, soweit im Anstellungsvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes festgesetzt worden ist. In der Protokollerklärung Nr. 1 der Anlage 1a zum BAT-VKA (Angestell-te im Sozial- und Erziehungsdienst) ist geregelt, dass „der Angestellte - ausgenommen der Angestellte bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst - für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim- oder einer ver- gleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage iHv. 61,36 Euro monatlich erhält, wenn in dem Heim überwie-gend Behinderte iSd. § 39 BSHG oder Kinder oder Ju-gendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage 1 2 3 - 3 - 10 AZR 212/10 - 4 - 30,68 Euro monatlich. Für den Angestellten bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst in einem Heim im Sinne des Unterab-satzes 1 erster Halbsatz beträgt die Zulage 40,90 Euro monatlich. Die Zulage wird nur für Zeiträume gezahlt, für die Bezü ge (Vergütung, Urlaubsvergütung, Krankenbezüge) zustehen. …“ Mit einem arbeitsgerichtlichen Teilvergleich vom 29. Juni 2009 haben die Parteien die Anwendung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst - Besonderer Teil Pflege und Betreuungseinrichtungen (TVöD-B) in einer für den Beklagten sanierungsbedingt geänderten Fassung ab dem 1. Juli 2008 vereinbart. Mit Wirkung zum 1. November 2009 wurde die Regelung der Proto-kollerklärung Nr. 1 der Anlage 1a zum BAT-VKA (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) durch § 1 Nr. 5 des ÄnderungsTV Nr. 2 vom 27. Juli 2009 als Protokollerklärung Nr. 1 zur Entgeltgruppe S 6 in den Anhang zur Anlage C des TVöD-B inhaltlich übernommen. Diese Protokollerklärung lautet auszugsweise: „Die/Der Beschäftigte - ausgenommen die/der Beschäftig-te bzw. Meisterin/Meister im handwerklichen Erziehungs-dienst - erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erzie-hungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage iHv. 61,36 Euro monatlich, wenn in dem Heim überwie-gend behinderte Menschen iSd. § 2 SGB IX oder Kinder und Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierig-keiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage 30,68 Euro monatlich. Für die/den Beschäftig te/n bzw. Meisterin/Meister im handwerklichen Erziehungsdienst in einem Heim im Sinne des Satzes 1 erster Halbsatz beträgt die Zulage 40,90 Euro monatlich. Die Zulage wird nur für Zeiträume gezahlt, in denen Beschäftigte einen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben. …“ Der Beklagte bietet an 17 Standorten in Niedersachsen für Kin-der/Jugendliche und Erwachsene mit geistigen oder mehrfachen Behinderun-gen betreute Wohn- und Lebensangebote in verschiedenen Häusern und 4 5 - 4 - 10 AZR 212/10 - 5 - Wohngruppen an. In den Wohngruppen sind jeweils zehn bis zwölf geistig und/oder körperlich Behinderte vollstationär untergebracht. Deren Betreuung erfolgt durch sog. Wohngruppenbetreuer, die im Schichtdienst arbeiten und eine Heimzulage erhalten. Soweit es der Behinderungsgrad zulässt, verlassen die Bewohner tags-über ihre Wohngruppe und werden - abhängig vom Grad der Behinderung und dem Lebensalter - entweder in der sog. Tagesförderung betreut oder begeben sich in eine Werkstatt für Behinderte oder in eine Schule. Bei der Tagesförde-rung handelt es sich um ein Angebot zur Unterstützung, Förderung und Be-schäftigung erwachsener Menschen, die aufgrund schwerer geistiger, körperli-cher oder mehrfacher Behinderungen nach Erfüllung der Schulpflicht die Auf-nahmevoraussetzungen für eine Werkstatt für Behinderte nicht oder noch nicht erfüllen können. Sie bietet neben lebenspraktischem Training eine beschäfti-gungs- und arbeitstherapeutische Förderung und untergliedert sich in verschie-dene themenspezifische Projektgruppen. Die einzelnen Projektgruppen setzen sich jeweils aus Bewohnern verschiedener Wohngruppen und einzelnen exter-nen Teilnehmern zusammen. Je nach Art und Schwere der Behinderung be-stehen die Gruppen aus sechs bis zehn Personen. Soweit einzelne Behinderte die Tagesförderung nicht besuchen können, bleiben sie in ihrer Wohngruppe und werden dort weiter betreut. Die Tagesförderung findet montags bis freitags in der Zeit von 08:00 Uhr bis 16:00 Uhr in eigenen Räumlichkeiten auf einer anderen Etage des Hauses, in dem sich die Wohngruppen befinden, statt. Die Dienstzeiten der Mitarbeiter in der Tagesförderung liegen zwischen 07:30 und 17:00 Uhr. Zu besonderen Anlässen (Durchführung von Projekten, Festen und Feiern) erbrin-gen diese ihre Arbeitsleistung auch am späten Nachmittag oder Wochenende. Schichtdienst wird in der Tagesförderung nicht geleistet. Die Aufgabenbeschreibungen der qualifizierten Wohngruppenbetreuer und der qualifizierten Mitarbeiter der Tagesförderung ähneln sich. Sowohl in der Tagesförderung als auch in der Wohngruppenbetreuung werden mit den zu betreuenden Personen Mahlzeiten eingenommen, es werden Medikamente 6 7 8 - 5 - 10 AZR 212/10 - 6 - verabreicht, Toilettengänge durchgeführt und bei Bedarf Windeln/Inkontinenz-einlagen oder die Bekleidung gewechselt. Tagesförderung und Wohngruppen unterliegen separaten Leitungen und werden als separate Leistungen abge-rechnet. Eine schriftliche Heimordnung besteht weder für die Tagesförderung noch für die Wohngruppe. Zwischen der Tagesförderung und den Wohngruppen finden organisa-torische und pädagogische Abstimmungen zu Koordinationszwecken statt. Es werden gemeinsame Teambesprechungen durchgeführt. Zudem existiert ein unternehmensweites gemeinsames Kommunikationssystem. Auch werden einheitliche Gebärden und Symbole benutzt. Im Rahmen der Qualitätssicherung werden zu Dokumentations- und Informationszwecken einheitliche Muster-schreiben (zB für die Einbeziehung des Psychologischen Dienstes) und Proto-kollformulare verwendet. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung einer Heimzulage in Höhe von 61,36 Euro brutto monatlich für den Zeitraum Oktober 2006 bis August 2009 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, dass ihr als Mitarbeite-rin der Tagesförderung eine Heimzulage zustehe. Die aus Tagesförderung und Wohngruppen bestehende Einrichtung sei ein Heim im Sinne der Tarifnorm. Es bestehe ein räumlich-organisatorischer Zusammenhang und ein einheitliches pädagogisches Konzept für alle Bereiche. Es werde eine Ganztagesbetreuung der Bewohner organisiert. Tagesförderung und Wohnbereich arbeiteten ganz eng zusammen. Die besonderen Schwierigkeiten, die sich bei der Unterbrin-gung der geistig behinderten Menschen in der Wohngruppe zeigten, setzten sich in der Tagesförderung fort. Jegliche Betreuung, Krisenintervention und Klärung des aktuellen Beratungs-, Förderungs- und Therapiebedarfs werde zwischen Wohnbereichsleitung, Wohnbereichsmitarbeiter, Mitarbeiter der Tagesförderung und dem Psychologischen Dienst im Einzelnen abgestimmt und im einheitlichen Dokumentationssystem festgehalten. Die Klägerin hat - soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse - beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.147,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem 9 10 11 - 6 - 10 AZR 212/10 - 7 - jeweiligen Basiszinssatz nach bestimmter zeitlicher Staffe-lung zu zahlen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Klägerin stehe die Heimzulage nicht zu. Sie arbeite nicht in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung. Die Tagesförderung sei eine teilstationäre Einrichtung, die organisatorisch und räumlich von den Wohngrup-pen getrennt sei. Schon aufgrund der getrennten Leitungen existierten für beide Bereiche unterschiedliche Regeln. Die Mitarbeiter in der Tagesförderung seien für die Förderung einer sinnstiftenden Beschäftigung eines jeden Bewohners verantwortlich, während sich die Tätigkeit der Wohngruppenbetreuer auf den persönlichen Lebensraum beziehe. Eine Abstimmung und Koordination der beiden Betreuungsarten nach einer einheitlichen Konzeption finde nicht statt. Für beide Bereiche bestünden unterschiedliche Konzeptionen und Leistungsbe-schreibungen, die auch Gegenstand unterschiedlicher mit dem Land Nieder-sachsen abgeschlossener Leistungsvereinbarungen seien. Hingegen sei ein wechselseitiger Informationsaustausch beider Bereiche erforderlich, interdiszi-plinäre Besprechungen oder gemeinsame Teambesprechungen zwischen Mitarbeitern von Tagesförderung und Wohnbereich fänden jedoch nur anlass-bezogen zur Bewältigung besonderer Probleme statt. In der Regel beschränk-ten sich diese auf maximal eine Besprechung pro Bewohner und Jahr. Lediglich in Ausnahmefällen helfe man sich gegenseitig aus. Nur eine der insgesamt zehn beim Beklagten eingerichteten Tagesförderungsgruppen setze einen für die effektive gemeinsame Zusammenarbeit verantwortlichen Beauftragten ein. Dies betreffe die Gruppe mit Bewohnern des geschlossenen Bereichs, bei denen eine besonders intensive Betreuung erforderlich sei. Die Verwendung einheitlicher Gebärden und Symbole in der Eingliederungshilfe entspreche dem bundesweiten Standard und ermögliche eine gruppen- und bereichsübergrei-fende Kommunikation. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. 12 13 - 7 - 10 AZR 212/10 - 8 - Entscheidungsgründe Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durf-te die Klage mit der bisherigen Begründung nicht abweisen. I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht zwar angenommen, dass die Klägerin eine Tätigkeit als Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst iSd. Protokollerklärung Nr. 1 der Anlage 1a zum BAT-VKA und der Protokollerklä-rung Nr. 1 zur Entgeltgruppe S 6 im Anhang zur Anlage C TVöD-B ausgeübt hat. Es hat aber zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin nicht in einer vergleichbaren Einrichtung (Heim), in der überwiegend Behinderte iSd. § 39 BSHG oder behinderte Menschen iSd. § 2 SGB IX ständig untergebracht sind, tätig war. Aufgrund noch fehlender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat diese Frage nicht selbst abschließend beurteilen und entscheiden. Die Revision führt deshalb zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückver-weisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO). 1. Den Tarifbegriff „vergleichbare Einrichtung (Heim)“ im Sinne der ein-schlägigen Protokollerklärungen haben die Tarifvertragsparteien nicht definiert. Was sie unter einem Heim verstehen, ist durch Auslegung der tariflichen Rege-lungen, insbesondere des Wortlauts, von dem bei einer Tarifauslegung vorran-gig auszugehen ist (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 661/09 - Rn. 11; 24. Februar 2010 - 10 AZR 1035/08 - Rn. 15, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 220), und unter Berücksichtigung der tariflichen Systematik sowie des Sinn und Zwecks einer Zulagenregelung, zu ermitteln. a) Nach allgemeinem Sprachgebrauch versteht man unter einem „Heim“ eine Wohnung, einen Haushalt bzw. einen Ort, an dem jemand lebt und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung hat (siehe BAG 20. Februar 2008 - 10 AZR 597/06 - Rn. 39, BAGE 126, 49; 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - zu II 1 c der Gründe mwN, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 26). Als ein Heim wird auch eine „öffentliche Einrichtung, die der Unterbringung eines bestimmten Personenkrei-ses (zB Alte, Kranke, schwer erziehbare Jugendliche) dient“ (Duden, Das große 14 15 16 17 - 8 - 10 AZR 212/10 - 9 - Wörterbuch der deutschen Sprache), oder eine „gemeinschaftliche Wohnstätte für einen bestimmten Personenkreis, bes. als öffentliche Einrichtung der Ju-gendhilfe ... bzw. als staatlich kontrollierte Anstalt, in der bestimmte Personen zur besonderen Behandlung oder Erziehung untergebracht sind“ (Der große Brockhaus), verstanden. Vom allgemeinen Wortlaut des Heimbegriffs ausge-hend hat die Rechtsprechung für eine mit einem Erziehungsheim, einem Kin-der- oder einem Jugendheim vergleichbare Einrichtung gefordert, dass eine räumlich-organisatorisch zusammenhängende Einrichtung vorliegen muss, in der eine - in der Regel größere - Zahl von Menschen lebt, die in eine nicht selbst gesetzte Ordnung eingebunden sind und die sich an Regeln halten müssen, die üblicherweise von der Heimleitung festgesetzt werden (BAG 20. Februar 2008 - 10 AZR 597/06 - Rn. 40, BAGE 126, 49; 23. Oktober 2002 - 10 AZR 60/02 - zu II 3 b bb der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 35). b) Die Heimzulage ist nach der tariflichen Systematik und ihrem Sinn und Zweck eine Erschwerniszulage (BAG 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - zu II 2 d der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 26). Sie soll die besonderen Belastungen ausgleichen, die durch die Heimerziehung, Heimausbildung oder Heimpflege für die Mitarbeiter entstehen (BAG 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - aaO; 18. Mai 1994 - 10 AZR 540/92 - zu II 2 der Gründe, ZTR 1995, 76; 26. Mai 1993 - 4 AZR 149/92 - zu II 1 c der Gründe, AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 28). Die Zulage soll die besonderen Erschwernisse honorieren, mit denen die Mitarbeiter einer Einrichtung konfrontiert sind, die ganztägig und nicht vorübergehend unterge-brachte Kinder, Jugendliche oder behinderte Menschen betreuen (BAG 26. Mai 1993 - 4 AZR 130/93 - BAGE 73, 191, 196). Dabei kann nach der Tarifsystema-tik ein Anspruch auf diese Zulage nicht bereits dann entstehen, wenn dem Arbeitnehmer die erzieherische Betreuung körperlich, seelisch oder geistig behinderter Personen obliegt. Eine solche Tätigkeit ist für die Eingruppierung maßgebend und ihre besondere, typische Belastung wird mit dem Tarifentgelt abgegolten. Demgegenüber ist zusätzliche Voraussetzung für den Anspruch auf eine Heimzulage, dass die Tätigkeit in einer der in den Protokollerklärungen genannten Einrichtungen ausgeübt wird. Der Grund dafür liegt in den besonde-18 - 9 - 10 AZR 212/10 - 10 - ren Anforderungen und Begleitumständen der Tätigkeit mit in Heimen unterge-brachten Kindern, Jugendlichen oder behinderten Menschen iSd. § 2 SGB IX. Die Angestellten werden hier regelmäßig ohne Rücksicht auf ihre Arbeitszeit Ansprechpartner der untergebrachten Personen sein, wenn sich Probleme und Konflikte aus deren gemeinschaftlichem Wohnen ergeben. Sie sind deshalb regelmäßig auch mit ihrer ganzen Person gefordert. Diese Inanspruchnahme ergibt sich insbesondere aus der besonderen räumlichen Nähe zum Wohn- und Aufenthaltsort der Betreuten und erfolgt damit typischerweise aufgrund des Einsatzorts. 2. Unter Berücksichtigung des Wortlauts, der tariflichen Systematik und des Sinn und Zwecks der Zulagenregelung lässt sich nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob die Tätigkeit der Klägerin in der Tagesförderung des Beklagten die Voraussetzungen für eine Heimzulage nach den Protokollerklärungen zum BAT-VKA oder zum TVöD-B erfüllt. a) Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob die Mitarbeiter in der Wohngruppenbetreuung einen Anspruch auf die Heimzulage haben, was das Landesarbeitsgericht angenommen hat und wofür im Übrigen alles spricht (siehe BAG 20. Juni 2007 - 10 AZR 285/06 - Rn. 21, ZTR 2007, 679; 23. Februar 2000 - 10 AZR 82/99 - zu II 1 c der Gründe, AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 26). Daraus lässt sich für die Tätigkeit der Klägerin in der Tages-förderung ein Anspruch auf Gewährung der Heinzulage nur ableiten, wenn Tagesförderung und Wohngruppenbetreuung integrale Bestandteile einer Einrichtung sind. Ist die Tagesförderung eine eigenständige, gegenüber der Wohngruppenbetreuung abzugrenzende Einrichtung, besteht der Anspruch nicht, obwohl „Heimbewohner“ betreut werden, weil die Voraussetzung einer Tätigkeit in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung nicht erfüllt ist. Unterschiedliche Tätigkeiten in selbständigen Einrichtungen oder Einrichtungs-teilen können tariflich unterschiedlich betrachtet und bewertet werden (BAG 20. Juni 2007 - 10 AZR 285/06 - Rn. 26, aaO; vgl. auch 26. März 1997 - 4 AZR 510/95 - AP ZPO § 559 Nr. 1). 19 20 - 10 - 10 AZR 212/10 - 11 - b) Die Tagesförderung selbst erfüllt die Voraussetzungen des tariflichen Heimbegriffs nicht. Aufgrund des Konzepts der unterschiedlichen Lebenswelten von behinderten Menschen erfolgt keine ganztägige oder zumindest überwie-gende tägliche Betreuung durch die Mitarbeiter der Tagesförderung. Sie werden nur teilweise, nämlich vorübergehend und zu festgelegten Zeiten in der Betreu-ung der behinderten Menschen tätig. Die Tagesförderung ist nur montags bis freitags in der Zeit von 08:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet. Auch nehmen die in der Tagesförderung betreuten Personen nur am Förderprogramm teil und verlassen diese nach Ende des Betreuungszeitraums wieder, um „nach Hause“ zu gehen, entweder in die Wohngruppen oder in ihren persönlichen Wohnbe-reich außerhalb der Einrichtung. Damit sind die in der Tagesförderung tätigen Mitarbeiter anderen Belastungen ausgesetzt als bei einem Einsatz im Rahmen einer durchgängigen ganztägigen Betreuung, die sämtliche Lebensbereiche und vor allem auch den Freizeit- und Privatbereich umfasst. Die Tagesförde-rung als solche stellt mithin nicht den Lebensmittelpunkt der betreuten Perso-nen iSd. Heimbegriffs dar. c) Ob Tagesförderung und Wohngruppenbetreuung Teile einer komple-xen, integralen Betreuungslösung des Beklagten und deshalb zusammen ein (einheitliches) Heim im Sinne der einschlägigen tariflichen Protokollerklärungen oder zwei selbständige Teile einer „getrennten Lebenswelt“ sind, bedarf noch weiterer Feststellungen. aa) Voraussetzung für das Vorliegen einer einheitlichen vergleichbaren Einrichtung bzw. eines einheitlichen Heims ist eine hinreichende räumliche und organisatorische Verzahnung beider Bereiche. Neben der räumlichen Nähe kommt es unter Berücksichtigung des realisierten Betreuungskonzepts vor allem auf eine starke organisatorische Verflechtung auf der Leitungsebene und beim Einsatz der Mitarbeiter an, die anhand von Indizien und einer umfassen-den Gesamtbewertung zu beurteilen ist. (1) Unstreitig befinden sich Tagesförderung und Wohngruppen im selben Gebäude, nur auf verschiedenen Etagen. Eine hinreichende räumliche Nähe ist 21 22 23 24 - 11 - 10 AZR 212/10 - 12 - deshalb ohne Weiteres anzuerkennen, auch wenn während der Betreuung in der Tagesförderung der Wohnbereich verschlossen sein sollte. (2) Allerdings macht nicht schon die Unterbringung von zwei Einrichtungen in einem Gebäude oder auf einem Gelände diese zu einem Heim iSd. Tarif-rechts. Auch bewirkt nicht jeder organisatorische Zusammenhang von Einrich-tungen den tariflichen Heimcharakter (BAG 20. Juni 2007 - 10 AZR 285/06 - Rn. 24, ZTR 2007, 679; 18. Mai 1994 - 10 AZR 540/92 - zu II 2 der Gründe, ZTR 1995, 76). Notwendig sind vielmehr feste organisatorische Verknüpfungen, die sich zunächst einmal in einer einheitlichen Trägerschaft und einer einheitli-chen Heimleitung zeigen. Danach ist maßgeblich, wer Heimleiter iSd. § 3 Abs. 2 Nr. 2 HeimG iVm. der Verordnung über personelle Anforderungen für Heime (HeimPersV) vom 19. Juli 1993 ist und ob dieser auch Verantwortung für die Tagesförderung hat. Für eine hinreichende organisatorische Verzahnung spricht weiter eine gemeinsame fachliche Leitung der Einrichtung. Hierbei kann nicht allein auf die fachliche Leitung einzelner Organisationseinheiten abgestellt werden, sondern vielmehr darauf, wer die Verantwortung gegenüber den Leistungsträgern und den Behinderten trägt und wer das Direktionsrecht gegenüber den einzelnen Mitarbeitern ausüben kann. Auch ist zu berücksichtigen, wer die Entscheidun-gen im „Grundverhältnis“ treffen kann, also beispielsweise wer kündigungsbe-rechtigt oder ggf. gegenüber der Mitarbeitervertretung verantwortlich ist. (3) Auch aus der Organisation des Mitarbeitereinsatzes lassen sich Indizi-en für oder gegen eine gemeinsame Einrichtung gewinnen. Für ein einheitliches Heim kann der Umstand sprechen, dass die Heimbewohner von allen Mitarbei-tern „rund um die Uhr“ betreut werden (können) (BAG 20. Juni 2007 - 10 AZR 285/06 - Rn. 24, ZTR 2007, 679; 18. Mai 1994 - 10 AZR 540/92 - zu II 2 der Gründe, ZTR 1995, 76), indem der Mitarbeitereinsatz zentral und einheitlich geplant wird, auch wenn der Einsatz in den unterschiedlichen Bereichen erfolgt. Dabei kann selbst dann eine enge Verzahnung gegeben sein, wenn - basie-rend auf einem einheitlichen, ganztägigen Betreuungskonzept - Mitarbeiter ihrer Qualifikation entsprechend im Rahmen eines einheitlichen Einsatzplans nur 25 26 27 - 12 - 10 AZR 212/10 - 13 - spezielle Tätigkeiten zu bestimmten Zeiten übernehmen und ausführen. Etwas anderes kann gelten, wenn aufgrund der Organisationsplanung die Tätigkeit in der Tagesförderung gänzlich von den besonderen Belastungen, die regelmäßig bei der Betreuung von behinderten Menschen in einem Heim und in den Wohn-gruppen anfallen, freigestellt ist, beispielsweise weil die Betreuten bei auftre-tenden Problemen in den Wohngruppenbereich zurückgeschickt werden. (4) Gegen eine hinreichend enge organisatorische Verzahnung von Tages-förderung und Wohngruppen kann hingegen sprechen, dass die Tagesförde-rung in nennenswertem Umfang von externen behinderten Menschen iSd. § 2 SGB IX besucht werden kann und auch besucht wird. Dabei ist von Bedeutung, ob Externe nur aufgenommen und in der Tagesförderung betreut werden, wenn deren Kapazität nicht durch die behinderten Menschen der Wohngruppen bereits ausgeschöpft ist, oder ob die Einrichtung stets offen für die Betreuung weiterer behinderter Menschen ist. (5) Ein weiteres organisatorisches Indiz für ein einheitliches Heim im Tarifsinn kann darin zu sehen sein, dass die zu betreuenden Personen von einer einheitlichen Hausordnung erfasst werden (vgl. BAG 20. Februar 2008 - 10 AZR 597/06 - Rn. 47 ff., BAGE 126, 49). Eine solche Ordnung will Konflikte regeln oder vermeiden, die durch das ständige Zusammensein und -wohnen der behinderten Menschen tagsüber und nachts entstehen. Gerade der Frei-zeitbereich vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen sowie die Konflik-te, die sich in dieser Zeit ergeben können, begründen besondere Erschwernis-se, die mit der Zulage ausgeglichen werden sollen (BAG 20. Juni 2007 - 10 AZR 285/06 - Rn. 25, ZTR 2007, 679). Weiterhin können auch regelmäßi-ge, planmäßige, bereichsübergreifende Teamsitzungen zwischen Tagesförde-rung und Wohngruppen ein Indiz für einen engen organisatorischen Zusam-menhang darstellen. (6) Hingegen kommt der Konzeption der Betreuung und der Finanzierung einzelner Betreuungsteile - anders als im Fall einer einheitlichen Leistungsver-einbarung - nur ein beschränkter Aussagewert für das Vorliegen einer einheitli-chen Einrichtung iSd. der Heimzulage zu. 28 29 30 - 13 - 10 AZR 212/10 - 14 - bb) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte lässt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob eine vergleichbare Einrichtung (Heim) iSd. tariflichen Regelung der Heimzulage gegeben ist. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts reichen hierzu nicht aus. Das Beru-fungsgericht wird diese nachzuholen haben und dann eine abschließende, umfassende Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der bereits festgestell-ten Tatsachen vornehmen müssen. Zunächst ist näher festzustellen, wer die Heimleitung iSd. HeimG bildet und wer einerseits gegenüber den Leistungsträgern und den Bewohnern als Heimleiter benannt worden ist und wer andererseits gegenüber den Mitarbeitern und der Mitarbeitervertretung zur Abgabe rechtsverbindlicher Erklärungen befugt ist und ggf. welche Weisungen erteilen kann. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, welche Aufgaben und Befugnisse die Leiter der Bereiche Wohngruppen und Tagesförderung haben. Ferner fehlen Feststellungen zur Einsatz- und Urlaubsplanung in den Bereichen Tagesförderung und Wohngrup-pen, auch vor dem Hintergrund eines einheitlichen - täglichen oder wöchentli-chen - Betreuungskonzepts. Ob und ggf. in welchem Umfang ein wechselseiti-ger Einsatz von Personal in den beiden Bereichen erfolgt, wird noch näher aufzuklären sein. Dabei kann es eine Rolle spielen, ob der Beklagte auf der Basis des Gesamtkonzepts für die einzelnen Tagesabschnitte der Betreuung unterschiedlich qualifizierte Fachkräfte einsetzt, was von ihm darzulegen wäre. Dass Abstimmungen und ein wechselseitiger Informationsaustausch durch Einzelgespräche oder bereichsübergreifende Teamsitzungen zwischen den einzelnen Bereichen aufgrund des Konzepts einer Ganztagsbetreuung erfolgen müssen, spricht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder für noch gegen eine einheitliche Einrichtung; auch bei einer einheitlichen Einrich-tung (zB in einem Krankenhaus) sind Übergaben erforderlich und Informationen an den Übernehmenden über den bisherigen Tagesverlauf oder besondere Schwierigkeiten notwendig. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht noch weiter feststellen müssen, ob regelmäßig und in einem erheblichen Umfang behinderte Menschen, die nicht aus den Wohngruppen kommen, an der Tages-förderung teilnehmen. 31 32 - 14 - 10 AZR 212/10 II. Soweit das Landesarbeitsgericht entschieden hat, ein Anspruch der Klägerin ergebe sich weder aus betrieblicher Übung noch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, hat die Revision eine Rüge ausdrücklich nicht mehr erhoben. Mikosch W. Reinfelder Eylert Zielke Schürmann 33

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