10. Senat - Gerüstbaugewerbe - Erstellung mobiler Tribünen - § 1 VTV Gerüstbauerhandwerk
Karar Dilini Çevir:
10. Senat - Gerüstbaugewerbe - Erstellung mobiler Tribünen - § 1 VTV Gerüstbauerhandwerk
- 2 - BUNDESARBEITSGERICHT 10 AZR 629/11 10 Sa 1558/10 Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Verkündet am 17. Oktober 2012 URTEIL Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In Sachen Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin, pp. Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter, hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter am - 2 - 10 AZR 629/11 - 3 - Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Mikosch, die Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann und Mestwerdt sowie die ehrenamtlichen Richter Beck und Kiel für Recht erkannt: 1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessi-schen Landesarbeitsgerichts vom 6. Mai 2011 - 10 Sa 1558/10 - wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Von Rechts wegen! Tatbestand Die Parteien streiten über die Erteilung von Auskünften und über die Zahlung einer Entschädigung. Der Kläger zieht als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Gerüstbaugewerbes nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifver-trag über das Sozialkassenverfahren im Gerüstbauerhandwerk vom 20. Januar 1994 idF des Änderungstarifvertrags vom 11. Juni 2002 (im Folgenden: VTV) Sozialkassenbeiträge ein. Die Beklagte baut und vermietet mobile Tribünen und Bühnen für (Groß-)Veranstaltungen und erbringt Dienstleistungen im Bereich der Planung, Beratung und Überwachung des Aufbaus der Konstruktionen. Der Aufbau vor Ort erfolgt unter Einbeziehung von Subunternehmern. Bei der Errichtung mobiler Tribünen sind die „Richtlinien für den Bau und Betrieb fliegender Bauten“ zu beachten. Der VTV enthält ua. folgende Regelungen zum Geltungsbereich: „§ 1 Geltungsbereich (1) Räumlicher Geltungsbereich: Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnah-me des Landes Berlin. 1 2 3 - 3 - 10 AZR 629/11 - 4 - (2) Betrieblicher Geltungsbereich: Abschnitt I Betriebe des Gerüstbauerhandwerks. Das sind alle Be-triebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste erstellen. Erfasst werden auch Betriebe, die gewerblich Gerüstmaterial bereitstellen. Als Gerüste gelten alle Arten von Arbeits-, Schutz- und Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkons-truktionen der Rüsttechnik. Erfasst werden auch solche Betriebe, die im Rahmen eines mit Betrieben des Gerüstbauerhandwerks be-stehenden Zusammenschlusses - unbeschadet der gewählten Rechtsform - ausschließlich oder überwiegend für die angeschlossenen Betriebe des Gerüstbauerhand-werks die kaufmännische und/oder organisatorische Verwaltung, den Transport von Gerüstmaterial, den Vertrieb, Planungsarbeiten, Laborarbeiten oder Prüfarbei-ten übernehmen, soweit diese Betriebe nicht von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst werden. Abschnitt II Betriebe, soweit in ihnen die unter Abschnitt I beschriebe-nen Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. ... Abschnitt III Nicht erfasst werden Betriebe und selbstständige Be-triebsabteilungen, die als Betriebe des Baugewerbes durch den Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe erfasst werden. Nicht erfasst werden Betriebe und selbst-ständige Betriebsabteilungen des Maler- und Lackierer-handwerks. Nicht erfasst werden Betriebe, die ausschließ-lich Hersteller oder Händler sind.“ Der Kläger nimmt die Beklagte auf Erteilung der tariflich geregelten Auskünfte für den Zeitraum Januar 2008 bis Dezember 2009 in Anspruch und begehrt für den Fall der Nichterteilung der Auskunft Zahlung einer Entschädi-gung in Höhe von 80 % des für den Anspruchszeitraum geschätzten Beitrags für acht gewerbliche Arbeitnehmer und eine technische bzw. kaufmännische Angestellte. Er vertritt die Auffassung, die Beklagte erbringe Gerüstbauarbeiten 4 - 4 - 10 AZR 629/11 - 5 - iSd. VTV. Die im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer würden zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Gesamtarbeitszeit, die zusammengerechnet mehr als 50 % der betrieblichen Arbeitszeit ausmache, Gerüstbauarbeiten verrichten. Die Beklagte lagere, transportiere und repariere Gerüste und Ge-rüstteile, erstelle Tribünen und Bühnen, indem sie genormte Bauteile unter Einbeziehung der fest mit den Tribünen und Bühnen verankerten Bestuhlung zusammenfüge, und erbringe die in diesem Zusammenhang erforderlichen Planungs- und Verwaltungsarbeiten. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 1. ihm auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft zu erteilen, 1.1 wie viele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialge-setzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2008 bis Dezem-ber 2009 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme in den Monaten insgesamt für diese Arbeitnehmer angefallen ist und wie hoch die hiernach zu zahlenden Beiträge sind, 1.2 wie viele Angestellte, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Januar 2008 bis Dezember 2009 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden und wie hoch die zu zahlenden Beiträge sind, 2. für den Fall, dass diese Auskunft nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erteilt wird, an ihn eine Entschädigung bezüglich des Antrags zu 1.1 in Höhe von 72.960,00 Euro, bezüg-lich des Antrags zu 1.2 in Höhe von 211,20 Euro, insgesamt in Höhe von 73.171,20 Euro zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie sei kein Betrieb des Gerüstbauerhandwerks. Mobile Tribünen und Bühnen seien keine Gerüste iSd. VTV, sondern selbstständige, eigene Zwecke erfüllende bauliche Anlagen, die mit herkömmlichen Baugerüsten nicht verglichen werden könnten. Der VTV 5 6 - 5 - 10 AZR 629/11 - 6 - sei auf den Betrieb auch deshalb nicht anwendbar, weil dieser keinen jahres-zeitlichen und/oder witterungsbedingten Einflüssen unterliege. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landes-arbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe Die Revision ist unbegründet. Der Betrieb der Beklagten unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen VTV, sodass die Beklagte nach § 15 VTV zur Erteilung von Auskünften und für den Fall ihrer Nichterteilung nach § 61 Abs. 2 ArbGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet ist. I. Ein Betrieb unterfällt nach § 1 Abs. 2 Abschnitt I VTV dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, wenn er nach seiner durch die Art der betrieblichen Tätigkeit geprägten Zweckbestimmung arbeitszeitlich überwiegend mit eigenem oder fremdem Material gewerblich Gerüste erstellt oder Gerüstmaterial bereit-stellt. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte oder auf handels- oder gewerberecht-liche Kriterien kommt es danach nicht an. Den Gerüstbauarbeiten sind diejeni-gen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu ihrer sachgerechten Ausführung not-wendig sind (vgl. zu § 1 Abs. 2 VTV für das Sozialkassenverfahren im Bauge-werbe: BAG 14. Dezember 2011 - 10 AZR 570/10 - Rn. 10 mwN). II. Die Beklagte hat im Streitzeitraum einen Betrieb des Gerüstbauer-handwerks betrieben. 1. Die von ihr geplanten und mit eigenem oder fremdem Personal erstell-ten Tribünen und Bühnen sind Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik und damit Gerüste iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt I VTV. a) „Gerüste“ sind nach dieser Norm alle Arten von Arbeits-, Schutz- und Traggerüsten, Fahrgerüste und Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik. Mobile 7 8 9 10 11 12 - 6 - 10 AZR 629/11 - 7 - Tribünen oder Bühnen werden zwar nicht ausdrücklich genannt, eine Beschränkung des betrieblichen Geltungsbereichs auf Betriebe, die „Baugerüs-te“ erstellen, ist dem Wortlaut aber nicht zu entnehmen. Der Einbezug „aller Arten“ der näher bezeichneten Gerüste sowie von „Sonderkonstruktionen der Rüsttechnik“ verdeutlicht, dass der Begriff des „Gerüsts“ umfassend zu verste-hen ist und der Tarifvertrag mit seinem betrieblichen Geltungsbereich alle Betriebe erfasst, die mit Gerüstmaterial Gerüste und sonstige Konstruktionen erstellen. Zwar werden die tariflich im Einzelnen bezeichneten Gerüstformen überwiegend im Zusammenhang mit Bauarbeiten gebraucht (vgl. Dankert/ Engelhardt Bautechnische Fachbegriffe von A - Z S. 61 ff.; Frick/Knöll Bau-konstruktionslehre 2 32. Aufl. S. 733 ff.). Maßgebend für den Geltungsbereich des VTV ist aber die Art der Konstruktion unter Verwendung von Gerüstbautei-len, die einen relativ einfachen Auf- und Abbau und die mehrfache Verwendung für weiteren Gerüstbau ermöglicht (Rüsttechnik). b) Die von der Beklagten erstellten mobilen Tribünen werden mit Gerüst-material erstellt. Sie benötigen, um ihrem Zweck entsprechend genutzt werden zu können, eine stabile und sichere Unterkonstruktion. Diese wird wie bei Bau- oder Schutzgerüsten aus (Stahl-)Rohren und Verbindungselementen, eventuell auch im Modulsystem (vgl. Peter Lexikon Bautechnik 2. Aufl. Stichwort: Gerüst-bauart; Frick/Knöll aaO) erstellt und schafft eine tragfähige Grundlage für den Aufenthalt von Menschen, die einer Veranstaltung stehend oder sitzend bei-wohnen. Auf dieser mit Gerüstmaterial erstellten Unterkonstruktion wird eine Bestuhlung oder eine Plattform zum stehenden Aufenthalt montiert. Eine mobile Tribüne ermöglicht damit wie ein Arbeitsgerüst Menschen den Aufenthalt in einer erhöhten Position. Entsprechendes gilt für die mobilen Bühnen. Nach den auf den Gerüsten vorgenommenen Tätigkeiten differenziert der VTV nicht; dass eine mobile Bühne bzw. Tribüne die Veranstaltung und die Teilnahme an ihr, ein Baugerüst dagegen die Vornahme von Bauarbeiten ermöglicht, ist für den betrieblichen Geltungsbereich des VTV unerheblich. 13 - 7 - 10 AZR 629/11 - 8 - c) Nicht von Bedeutung für den betrieblichen Geltungsbereich des VTV ist auch, dass nach Vortrag der Beklagten die mobilen Bühnen und Tribünen speziell geplant und konzipiert werden. Der VTV differenziert nicht danach, ob Standardgerüste ohne spezielle Planung erstellt werden oder das Einrüsten komplexer Bauten eine spezielle Planung erfordert. Er bezieht Betriebe, die „Sonderkonstruktionen“ der Rüsttechnik erstellen und damit auch vorbereitende Planungsleistungen erbringen müssen, ausdrücklich in den betrieblichen Gel-tungsbereich ein. d) Der Bau mobiler Bühnen und Tribünen und die Bereitstellung des entsprechenden Materials ist auch nach dem Inhalt der erforderlichen Ausbil-dung dem Gerüstbauerhandwerk zuzuordnen. Nach § 4 Ziff. 19 (Bauen von Gerüsten für besondere Anforderungen) der Verordnung über die Berufsausbil-dung zum Gerüstbauer/zur Gerüstbauerin vom 26. Mai 2000, in Kraft seit dem 1. August 2000 (BGBl. I S. 778), werden in der Ausbildung Fertigkeiten und Kenntnisse des Auf-, Um- und Abbaus von Bühnen und Tribünen vermittelt; der Bau und die Prüfung von Bühnen und Tribünen gehört auch zum Berufsbild der Meisterprüfung im Gerüstbauerhandwerk (§ 2 Abs. 2 Nr. 10 der Verordnung über das Meisterprüfungsberufsbild und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im Gerüstbauerhandwerk - Gerüstbauer-meisterverordnung - vom 12. Dezember 2000, BGBl. I S. 1694). 2. Die Beklagte „erstellt“ nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätig-keit geprägten Zweckbestimmung mit eigenem oder fremdem Material gewerb-lich Gerüste iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt I VTV. Nach ihrem Vortrag plant und konstruiert sie auftragsbezogen komplexe mobile Bühnen und Tribünen, über-wacht den durch Subunternehmer, aber mit von ihr bereitgestelltem Material durchgeführten Aufbau und sorgt für die Abnahme. Damit leistet sie alle we-sentlichen im Zusammenhang mit der Konstruktion und dem Aufbau zusam-menhängenden Tätigkeiten; dass der von ihr überwachte Aufbau nicht durch eigene Arbeitnehmer, sondern durch Fremdpersonal vollzogen wird, führt nicht zu einer anderen tariflichen Bewertung ihrer betrieblichen Tätigkeit. Soweit die 14 15 16 - 8 - 10 AZR 629/11 - 9 - betriebliche Tätigkeit auch in der Vermietung von Tribünen besteht, unterfällt die Beklagte mit der gewerblichen Bereitstellung von Gerüstmaterial zur Erstel-lung von Tribünen nach § 1 Abs. 2 Abschnitt I Satz 3 VTV dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. 3. Unerheblich ist, dass der Betrieb der Beklagten keinen jahreszeitlichen und/oder witterungsbedingten Einflüssen unterliegt. Der VTV setzt nach seinem betrieblichen Geltungsbereich kein bestimmtes Maß an Fluktuation der Mit-arbeiter voraus. Ob ein Betrieb des Gerüstbauerhandwerks im Einzelfall jahres-zeitliche Schwankungen bei den Beschäftigten hat, ist wie im Baugewerbe ohne Bedeutung. 4. Der Betrieb der Beklagten unterfällt keiner Ausnahmebestimmung von § 1 Abs. 2 Abschnitt III VTV. Die Beklagte hat nicht dargelegt, sie sei ein Betrieb des Baugewerbes oder des Maler- und Lackiererhandwerks. Sie ist auch nicht Händler iSv. § 1 Abs. 2 Abschnitt III VTV, da sie Tribünen nicht an- und ver-kauft, sondern allenfalls vermietet. III. Der Kläger hat nach § 15 VTV Anspruch auf Abgabe der ordnungsge-mäßen Meldungen. Für den Fall der Nichterteilung der Auskünfte besteht, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nach § 61 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung. Nach der Rechtspre-chung des Senats ist diese regelmäßig mit 80 % der zu erwartenden Beitrags-summe zu berechnen (BAG 24. Februar 2010 - 10 AZR 759/08 - Rn. 24 mwN, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 319). Die Klägerin hat die Entschädigungs-summe auf der Grundlage von acht bzw. neun Arbeitnehmern in den Jahren 2008 und 2009 berechnet. Gegen diese Berechnung wendet sich die Revision nicht mehr. 17 18 19 - 9 - 10 AZR 629/11 IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Mikosch Schmitz-Scholemann Mestwerdt D. Kiel Die Amtszeit des ehrenamt-lichen Richters Beck ist abge-laufen. Mikosch 20

Full & Egal Universal Law Academy