1 BvR 792/02 - Zur Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 792/02 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der F o c u s Magazin Verlag GmbH,

vertreten durch den alleinvertretungsberechtigten
Geschäftsführer Helmut Markwort,

Arabellastraße 23, 81925 München,




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Professor Dr. Robert Schweizer und
Koll.,

Arabellastraße 21, 81925 München -





 





gegen

das Endurteil des
Oberlandesgerichts München vom 15. März 2002
- 21 U 1914/02 -






 



hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Präsidenten Papier

und die Richter Steiner,

Hoffmann-Riem




 



gemäß § 93 b in Verbindung mit
§ 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 19. Juni 2002 einstimmig beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




I.




1



Die Beschwerdeführerin verlegt das
Nachrichtenmagazin FOCUS. In der Ausgabe Nr. 41/2001 vom
8. Oktober 2001 veröffentlichte sie einen Artikel über die
Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) e.V. - den
Verfügungskläger des Ausgangsrechtsstreits. Der Artikel hatte
die Überschrift: "Milli Görüs. Mitglieder sollen Kalaschnikow
kaufen" und lautete wörtlich unter anderem wie folgt:




2



Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)
hat ihre Gefolgsleute in Deutschland aufgefordert, Waffen zu
kaufen. Vorzugsweise sei der Kauf einer AK 47
(Kalaschnikow) zu empfehlen, hieß es auf einer Website, auf
der die Organisation zur Unterstützung der tschetschenischen
Bevölkerung aufgerufen hatte. Der baden-württembergische
Verfassungsschutz, der Milli Görüs als demokratiefeindlich
einstuft, zitierte in seinem Jahresbericht 2000 aus diesem
Aufruf.




3



Um den Umgang mit Waffen legal und unauffällig
zu erlernen, sollen Mitglieder, "wenn möglich, einem
Schützenverein beitreten", hieß es. Fortgeschrittenen wird
geraten, Vereinen beizutreten, "die den Umgang mit Waffen,
zum Beispiel Schwert und Messer, vermitteln".




4



Das Oberlandesgericht verurteilte die
Beschwerdeführerin, eine Gegendarstellung des
Verfügungsklägers hinsichtlich der folgenden drei Punkte
abzudrucken:




5



1 Wir haben zu keinem Zeitpunkt aufgefordert,
Waffen zu kaufen.




6



2 Die islamische Gemeinschaft Milli Görüs
hat weder auf einer Website noch sonst wo den Kauf einer
AK 47 empfohlen.




7



3 Die islamische Gemeinschaft Milli Görüs
hat niemals dazu aufgerufen, den Umgang mit Waffen zu
erlernen oder einem Schützenverein beizutreten.




8



Die Beschwerdeführerin sieht sich hierdurch in
ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit gemäß
Art. 5 Abs. 1 GG verletzt.




II.




9



Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur
Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des
§ 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der
Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme zur
Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt.
Zwar betrifft die angegriffene Entscheidung jedenfalls das
Grundrecht der Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, da die
Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung in die
Gestaltungsfreiheit eines Presseunternehmens eingreift (vgl.
BVerfGE 97, 125 ). Dieser Eingriff ist
jedoch durch Art. 10 BayPresseG, auf den das
Oberlandesgericht die angegriffene Entscheidung gestützt hat,
gerechtfertigt.




10



Verfassungsrechtlich tragfähig ist
insbesondere die vom Oberlandesgericht vorgenommene Deutung
der Erstmitteilung. Wegen der Abhängigkeit des
Gegendarstellungsanspruchs von der Erstmitteilung muss deren
Deutung den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht
werden (vgl. BVerfGE 97, 125 ). Das
Oberlandesgericht hat den Artikel unter Berücksichtigung von
Inhalt und Kontext in nachvollziehbarer Weise dahingehend
gedeutet, dass es sich um eine eigene
Stellungnahme von FOCUS zu der in Rede stehenden Problematik
handele. Das Oberlandesgericht durfte dabei darauf abstellen,
dass in dem Artikel - entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin - nicht lediglich Zitate aus dem
Verfassungsschutzbericht des baden-württembergischen
Verfassungsschutzes wiedergegeben werden. Der Bericht beginnt
vielmehr mit zwei Sätzen, die keinerlei Bezug zum Bericht des
Verfassungsschutzes haben. Erst danach wird erwähnt, dass der
Verfassungsschutz im Jahresbericht aus diesem Aufruf zitiert
habe. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn
das Oberlandesgericht aus dieser Darstellung folgert, ein
Durchschnittsleser müsse davon ausgehen, dass FOCUS eine
entsprechende Behauptung als eigene aufstellen wollte und
sich zum Beleg für diese Behauptung auch auf den Bericht des
baden-württembergischen Verfassungsschutzes beruft. In dem
Artikel wird jedenfalls an keiner Stelle verdeutlicht, dass
die Äußerung des Verfassungsschutzes die einzige Grundlage
der Berichterstattung von FOCUS ist und dass lediglich
referierend etwas wiedergegeben werden soll, das der
Verfassungsschutz ausgeführt hat.




11



Ist aber die von dem Oberlandesgericht
vorgenommene Deutung zu Grunde zu legen, könnte der
Gegendarstellungsanspruchs nach der insoweit nicht zu
beanstandenden Auffassung des Oberlandesgerichts mangels
Rechtsschutzinteresses nur dann ausscheiden, wenn die
Behauptungen, der Verfügungskläger habe zum Kauf von Waffen
etc. aufgerufen, offensichtlich der Wahrheit entsprechen
würden und die Gegendarstellung damit offensichtlich unwahr
wäre. Dies hat das Oberlandesgericht jedoch in
verfassungsrechtlich tragfähiger Weise verneint.




12



Soweit die Beschwerdeführerin die Anwendung
des Bayerischen Presserechts durch das Oberlandesgericht
angreift, gilt die Beschwerde Fragen des einfachen Rechts,
nicht jedoch des Verfassungsrechts.




13



Von einer weiteren Begründung wird gemäß
§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.




14



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Papier
Steiner
Hoffmann-Riem







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