1 BvR 771/02 - Zur Aufhebung der Ersatzgrundstücksregelung des § 9 VermG mWv 22.09.2000 - keine Verletzung der Eigentumsgarantie
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 771/02 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



des Herrn S...




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Dr. Wolfgang Probandt und Koll.,

Hagenstraße 30, 14193 Berlin -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2002 - BVerwG 7 B
18.02 -,



b)

das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. November 2001 - VG 31
A 338.99 -






 



hat die 2. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Jaeger

und die Richter Hömig,

Bryde




 



gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August
1993 (BGBl I S. 1473) am 7. Juni 2002 einstimmig
beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




I.




1



Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen
verwaltungsgerichtliche Entscheidungen in einem Verfahren, in
dem die Klage des Beschwerdeführers auf Verpflichtung zur
Übereignung eines Ersatzgrundstücks nach § 9 des
Vermögensgesetzes (VermG) mit der Begründung abgewiesen
worden ist, mit der Streichung dieser Vorschrift durch das
Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 2000 (BGBl
I S. 1382) sei die Grundlage für das Klagebegehren entfallen.
Der Beschwerdeführer hält die Aufhebung der
Ersatzgrundstücksregelung und die angegriffenen
Gerichtsentscheidungen wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs.
1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 20
Abs. 3 GG für verfassungswidrig.




II.




2



Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur
Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a
Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde
kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht
zu, weil die für ihre Beurteilung maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Fragen durch das
Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind (vgl.
insbesondere BVerfGE 83, 201 ; 101, 239
; 102, 254). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde
ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Beschwerdeführer als
verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die
Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.




3



1. Die Rüge einer Verletzung des Art. 3
Abs. 1 GG ist schon unzulässig. Sie genügt nicht dem
Begründungserfordernis des § 92 in Verbindung mit
§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BVerfGG, weil sie sich auf
die Verwaltungspraxis unter der Geltung des § 9 VermG
bezieht, aber nicht deutlich macht, inwiefern die
angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstoßen könnten.




4



2. Die Rüge einer Verletzung des Art. 14
Abs. 1 GG ist unbegründet. Die Verwaltungsgerichte haben im
Ausgangsverfahren zu Recht angenommen, dass die Streichung
des § 9 VermG durch den Gesetzgeber nicht der
Eigentumsgarantie widerspricht. Dabei kann dahinstehen, ob
der Anspruch auf Übereignung eines Ersatzgrundstücks nach dem
früheren § 9 VermG überhaupt in den Schutzbereich des
Art. 14 Abs. 1 GG fiel (verneinend BVerwG, Urteil vom
30. Mai 2001 - BVerwG 8 C 13.00 - NJW 2001, S. 3065
). Denn jedenfalls wäre die Aufhebung
jener Regelung als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung
im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen.




5



a) Bei dem Anspruch nach § 9 VermG
handelte es sich nach Wortlaut und Systematik dieser
Vorschrift um einen Entschädigungsanspruch besonderer
Art. Die Streichung der Regelung führte dazu, dass
Entschädigung nur noch in der Form der geldwerten Leistung
nach dem Entschädigungsgesetz gewährt werden kann, der
Berechtigte also nicht mehr zwischen dieser Leistung und
einer Entschädigung in der Form eines Ersatzgrundstücks
wählen kann. In dieser Beschränkung der Wahlmöglichkeit liegt
nicht die - eine Enteignung kennzeichnende - Entziehung
subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter
öffentlicher Aufgaben (vgl. BVerfGE 101, 239
m.w.N.). Vielmehr ist nur der Entschädigungsanspruch
desjenigen, dessen Grundstück aus Gründen des § 4 Abs. 2
VermG nicht restituiert werden kann, in genereller und
abstrakter Weise neu geordnet und damit eine Inhalts- und
Schrankenregelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
getroffen worden (vgl. BVerfGE 52, 1 ; 98, 17
).




6



b) Die Voraussetzungen, unter denen eine
solche Regelung zulässig ist, wenn mit ihr bisher bestehende
Rechtspositionen umgestaltet oder beseitigt werden (vgl.
insbesondere BVerfGE 83, 201 ), sind dabei gewahrt
worden. Insbesondere genügt die Streichung des § 9 VermG
den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.




7



Mit der Regelung wurden legitime Ziele
verfolgt. Vermieden werden sollten zum einen erhebliche
finanzielle Belastungen, die der Bund bei einer Umsetzung der
Ersatzgrundstücksregelung befürchtete, und zum anderen
Verzögerungen bei der Bearbeitung vermögensrechtlicher
Entschädigungsanträge sowie ganz allgemein der beträchtliche
Verwaltungsaufwand, der bei dieser Umsetzung den Gemeinden
und Vermögensämtern gedroht hätte (vgl. Begründung zum
Regierungsentwurf eines Vermögensrechtsergänzungsgesetzes,
BTDrucks 14/1932, S. 9 f.; BVerwG, Urteil vom 30. Mai
2001, a.a.O., S. 3067). Außerdem sollte mit der Streichung
des § 9 VermG auch erreicht werden, dass alle
Entschädigungsberechtigten gleichbehandelt werden und nicht
die Gruppe derer, die als Entschädigung ein Ersatzgrundstück
erhalten hätten, bevorzugt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.
Mai 2001, a.a.O., S. 3067, mit Hinweis auf die dort
angeführten Ausschussprotokolle). Zur Erreichung dieser Ziele
ist das gewählte Mittel geeignet. Der Gesetzgeber durfte auch
davon ausgehen, dass es hierfür erforderlich war. Weniger
belastende Mittel sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann
weder in der Abschaffung des Aufwendungsersatzanspruchs, der
den die Ersatzgrundstücke zur Verfügung stellenden Gemeinden
gegen den Bund zustand (vgl. BVerwGE 107, 205
), noch in einer Erhöhung der Einnahmen
des Entschädigungsfonds ein derartiges Mittel gesehen werden.
Die Beschränkung auf die geldwerte Entschädigung nach dem
Entschädigungsgesetz ist schließlich verhältnismäßig im
engeren Sinne. Durch sie werden die Rechte der
Entschädigungsberechtigten nicht unangemessen beeinträchtigt,
weil die für diese Entschädigung grundlegenden gesetzlichen
Regelungen ihrerseits verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden sind (vgl. BVerfGE 102, 254
).




8



Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes führen
zu keiner anderen Beurteilung. Eine verfassungsrechtlich
unzulässige Rückwirkung liegt nicht vor. Die durch das
Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 17. September 1998
(BVerwGE 107, 205) ausgesprochene Verpflichtung der Behörde
zur Neubescheidung des Antrags des Beschwerdeführers nach
§ 9 VermG hatte die Fortsetzung eines noch laufenden
Verfahrens zur Folge, das auch bis zum In-Kraft-Treten des
Vermögensrechtsergänzungsgesetzes noch keinen
bestandskräftigen Abschluss gefunden hatte. Mithin entfaltete
die Streichung des § 9 VermG nur eine unechte
Rückwirkung, deren Zulässigkeit durchgreifende
Vertrauensschutzaspekte nicht entgegenstehen, zumal sich ein
Vertrauen auf eine Umsetzung des § 9 VermG nicht hat
bilden können, weil diese Vorschrift während ihres Bestandes
nie in größerem Umfang angewandt worden ist.




9



Der Beschwerdeführer hat, indem er in
realistischer Einschätzung des Prozessrisikos den
ursprünglich geltend gemachten Restitutionsanspruch nicht
weiter verfolgte, sondern allein Entschädigung in der Form
eines Ersatzgrundstücks begehrte, auch keine schützenswerte
Vermögensdisposition getroffen. Schutzwürdiges Vertrauen des
Beschwerdeführers kann sich schließlich nicht aus der
Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur
Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (BGBl II
S. 1237) ergeben (vgl. BVerfGE 102, 254 ).




10



3. Art. 2 Abs. 1 GG kann dem
Beschwerdeführer einen weitergehenden Schutz nicht gewähren
(vgl. auch BVerfGE 101, 54 m.w.N.).




11



Von einer weiteren Begründung wird gemäß
§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.




12



Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93
d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).




 




Jaeger
Hömig
Bryde








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