1 BvR 2180/98 - Verfassungsrechtlich bedenkenfreie strafgerichtliche Verurteilung wegen Verstoßes gegen vereinsrechtliches Betätigungsverbot
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2180/98 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der Frau D...




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Hans-Eberhard Schultz und Koll.,

Lindenstraße 14, 28755 Bremen -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 7. Oktober 1998 - 3 StR 352/98
-,





b)

das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 6. März 1998 - KLs F 1 Js 116/97 -






 



hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Papier

und die Richter Steiner,

Hoffmann-Riem




 



gemäß § 93 b in Verbindung mit
§ 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 15. November 2001 einstimmig beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




1



Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine
strafgerichtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen
Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches
Betätigungsverbot.




I.




2



1. a) Die Beschwerdeführerin wurde als
Angehörige der kurdischen Volksgruppe in der Türkei geboren.
Seit 1991 besitzt sie die deutsche Staatsangehörigkeit.
Anlässlich einer Veranstaltungswoche zum Internationalen
Frauentag 1997 am 12. März 1997 in Dortmund beteiligte sich
die Beschwerdeführerin zusammen mit anderen kurdischen Frauen
an der Errichtung eines Informationsstandes. Sie hatte
Informationsmaterial sowie einen Tapeziertisch besorgt.
Hierbei war ihr bekannt, dass durch Verfügung des
Bundesministers des Innern vom 22. November 1993 der PKK
(Patiya Karkeren Kurdistan = "Arbeiterpartei Kurdistans")
einschließlich ihrer Teilorganisation ERNK (Eniya Rizgariya
Netewa Kurdistan = "Nationale Befreiungsfront Kurdistans")
verboten worden war, sich im Geltungsbereich des
Vereinsgesetzes zu betätigen. Ein hinter dem Stand
aufgehängtes Plakat forderte unter anderem die "Aufhebung des
Verbots kurdischer Vereine!". Auf dem Informationstisch lagen
rund 70 Flugblätter in türkischer und 30 gleich lautende
Flugblätter in deutscher Sprache aus. Die Flugblätter wurden
von zwei anderen Frauen im Bereich der Fußgängerzone an
Passanten verteilt und hatten auszugsweise folgenden
Wortlaut:




3



"Wir gratulieren mit unseren revolutionären
Gefühlen zum weltweiten Arbeiterfrauentag des 8. März.




4



[...] Die unter der Führung der PKK zur Armee
werdende Frau, ist die bewussteste Antwort auf die
tausendjährige Sklaverei. [...] Die Genossenen die am 30.
Juni in Dersim, am 29. Oktober in Adana und am 30. Oktober in
Sivas ihren Körper als Bombe gegen die ihr Land
kolonialisierenden Kräfte einsetzen, stellen den Höhepunkt in
der würdevollen Frauenwiderstandsgeschichte dar. Für die
kurdische Frau ist auf dem Weg des Volksführers Abdullah
Öcalan und der Herausbildung der YAJK nunmehr jeder Tag ein
8. März. [...] Der Befreiungskampf Kurdistans und der ihn
anführende, in der YAJK verkörperte neue alternative
Frauentypus, sind an diesem 8. März ein Geschenk und eine
Botschaft der kurdischen Frauen an Arbeiterfrauen in der
Welt. [...]"




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Deutlich abgesetzt und in Fettdruck endet der
Text mit den Parolen:




6



"Es lebe der weltweite Arbeiterfrauentag des 8.
März!",

"Es lebe die PKK, ARGK, ERNK!",

"Es lebe der Vorsitzende APO!",

"Es lebe der, unter dem Kommando von Zilan zur Freiheit
marschierende Kampf der kurdischen Frauen!".




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Unterschrieben war der Text mit "Freier
Frauenverband Kurdistans YAJK-Europavertretung".




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b) Das Landgericht verurteilte die
Beschwerdeführerin gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VereinsG wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches
Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe. Es sei der
Beschwerdeführerin mit der Errichtung des Informationsstandes
unter anderem darum gegangen, für die PKK und ihre
Teilorganisationen zu werben. Sie sei die
Hauptverantwortliche für das Beschaffen und Veröffentlichen
des PKK-Propagandamaterials gewesen. Die von der
Beschwerdeführerin eingelegte Revision verwarf der
Bundesgerichtshof durch die weiter angegriffene Entscheidung
als unbegründet.




9



2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2
Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1,
Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2 GG. Die besondere
Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit in einer
demokratischen Gesellschaft schließe eine Bestrafung wegen
des Textes auf dem Flugblatt aus. Bei diesem habe es sich
nicht um das Flugblatt einer mit einem Betätigungsverbot
belegten Vereinigung gehandelt, sondern um das einer nicht
verbotenen Frauenorganisation. Im Übrigen verstoße § 20
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG gegen das verfassungsrechtliche
Bestimmtheitsgebot.




II.




10



Die Voraussetzungen für eine Annahme der
Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Ihr kommt keine
grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93 a
Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) zu, da sich die aufgeworfenen
Fragen der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 GG und der
Strafbarkeit von Verstößen gegen Vereinsverbote anhand der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten
lassen (vgl. BVerfGE 25, 44 ; 80, 244
). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde
ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1
BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine
Aussicht auf Erfolg.




11



1. Soweit die Beschwerdeführerin eine
Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2
Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 sowie Art. 20 Abs. 3 GG rügt,
ist die Verfassungsbeschwerde mangels einer hinreichenden
Begründung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92
BVerfGG bereits unzulässig. Insbesondere lässt sich ihr nicht
die Möglichkeit einer Verletzung des Grundrechts auf
Vereinigungsfreiheit entnehmen: Die Fachgerichte haben die
Strafbarkeit nicht an ein Auftreten oder Sichäußern der
Beschwerdeführerin als Mitglied des nicht verbotenen
Frauenverbandes YAJK, sondern lediglich an die
Meinungsäußerungen zugunsten der PKK geknüpft, die mit einem
bestandskräftigen Betätigungsverbot belegt ist.




12



2. Im Hinblick auf die im Übrigen als verletzt
gerügten Verfassungsrechte hat die Verfassungsbeschwerde in
der Sache keinen Erfolg.




13



a) Dies gilt zunächst für das Grundrecht aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Texte auf dem Flugblatt und
dem Plakat nehmen zwar an dem Schutz der Meinungsfreiheit
teil. Sie enthalten Meinungen zur Rolle der Frauen im Kampf
der PKK und zum Verbot kurdischer Vereine in Deutschland. Der
in der Verhängung einer Strafe wegen dieser Äußerungen
liegende Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts ist
jedoch gerechtfertigt, da die Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin durch § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VereinsG wirksam eingeschränkt wird.




14



aa) Wie die Kammer im Beschluss vom heutigen
Tage in dem Verfahren 1 BvR 98/97 - hierauf wird Bezug
genommen - dargelegt hat, ist die genannte Vorschrift ein
allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Es ist
von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der
Bundesgerichtshof (vgl. BGHSt 42, 30 ) die
Anwendung von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG davon
abhängig macht, ob das Organisationsgefüge - hier der
PKK/ERNK - in messbarer Weise stabilisiert und gestärkt
wird. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit wird bei einer
derartigen Auslegung dann nicht in unverhältnismäßiger Weise
eingeschränkt, wenn vorausgesetzt wird, dass dem Verhalten
des Täters eine hinreichende Außenwirkung zukommt, aus der
ein objektiver Bezug der Handlung des Einzelnen zur Tätigkeit
des Vereins eindeutig erkennbar wird. Demgegenüber bleibt dem
Einzelnen unbenommen, in der Öffentlichkeit die gleichen
inhaltlichen Positionen wie die verbotene Organisation zu
vertreten oder auch etwa angesichts veränderter Verhältnisse
durch Meinungsäußerung auf die Aufhebung eines
Tätigkeitsverbots hinzuwirken. Welcher Sinn einer Äußerung
oder einem Verhalten in dem zu beurteilenden Fall zukommt,
haben die Fachgerichte unter Beachtung der
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung einer
Äußerung (vgl. BVerfGE 82, 272 ) zu
ermitteln.




15



bb) Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben bei
der Auslegung und Anwendung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VereinsG sind das Landgericht und damit auch der
Bundesgerichtshof gerecht geworden.




16



(1) Die vom Landgericht zu Grunde gelegte
Konkretisierung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG
fügt sich in die mit Art. 5 Abs. 1 GG zu vereinbarende
Auslegung der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof ein. Auf
den Verein bezogene Werbemaßnahmen sind geeignet, eine für
die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung
hervorzurufen, wenn sie darauf zielen, Akzeptanz für die
Aktivitäten des Vereins in der Bevölkerung zu schaffen oder
die Zahl seiner Anhänger zu vergrößern. Mit solcher Werbung
werden die von dem Verein ausgehenden gesellschaftlichen
Wirkungen entgegen dem Tätigkeitsverbot aufrechterhalten oder
gar erweitert.




17



(2) Auch im Hinblick auf die Anwendung des
Strafgesetzes kann ein Verfassungsverstoß nicht festgestellt
werden. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt
sich, dass das Landgericht für die Begründung der
Strafbarkeit maßgeblich auf die Äußerungen des Flugblatts
abgestellt und es als Propagandamaterial eingestuft hat, mit
dem für die PKK und ihre Teilorganisationen habe geworben
werden sollen. Demgegenüber wird der dem Plakat mit der
hierauf enthaltenen Forderung nach Aufhebung des Verbots
kurdischer Vereine Bedeutung lediglich im Rahmen der
Beweiswürdigung beigemessen. Gegen die Deutung des Flugblatts
bestehen keine Bedenken.




18



Aus der Sicht eines unbefangenen und
verständigen Äußerungsadressaten kam nur die zur Strafbarkeit
führende Deutung in Frage, es werde auf dem Flugblatt für die
PKK und ihre Teilorganisationen aus Anlass des Weltfrauentags
geworben. Das Flugblatt schildert an mehreren Stellen
diejenigen Frauen als Vorbild, die sich dem Kampf der PKK
anschließen. Die Parolen am Ende des Textes huldigen der PKK,
ihren ebenfalls verbotenen Teilorganisationen und der
Symbolfigur des Vorsitzenden Öcalan und stehen für eine
Fortsetzung von deren Aktivitäten. Diese Aufrufe zur Stärkung
gelten unmittelbar der verbotenen Vereinigung. Auch werden
auf dem Flugblatt nicht lediglich die gleichen politischen
Ziele vertreten, wie sie die PKK verfolgt. Vielmehr wird die
Durchsetzung dieser Ziele auf die Aktivitäten der PKK
bezogen. Dies geschieht mit Blick auf die hauptsächlich
angesprochenen - kurdischen - Frauen durch Formulierungen,
nach denen die Frau "unter der Führung der PKK zur Armee"
werde und "die kurdische Frau auf dem Weg des Volksführers
Abdullah Öcalan" sei. Selbstmordattentate im Namen der PKK
werden als "Höhepunkt in der würdevollen
Frauenwiderstandsgeschichte" dargestellt. Mit Mitteln der
Propaganda wird so die emanzipatorische Frage an die
Vereinigung der PKK geknüpft. Im Stil der Äußerungen folgt
das Flugblatt der Agitation seitens der PKK. Das Flugblatt
erscheint daher durch seinen Inhalt als geeignet, Ansehen und
Rückhalt der PKK und ihrer Teilorganisationen bei den
angesprochenen inländischen Adressaten zu stärken und auf
diese Weise Sympathie nicht nur für die Sache der PKK
hervorzurufen, sondern auch auf eine persönliche
Unterstützung hinzuwirken. Diese fördernde Zielrichtung, die
der Äußerung den Charakter als reine Sympathiebekundung
nimmt, ist auch von außen eindeutig erkennbar.




19



Andere, nicht zur Verurteilung führende
Deutungsmöglichkeiten liegen hingegen fern, wenn die
sonstigen Begleitumstände der Äußerungen auf dem Flugblatt
berücksichtigt werden. Selbst wenn das Flugblatt dahingehend
auszulegen wäre, dass nur die Aktionen der PKK im Ausland
positiv hervorgehoben werden, handelt es sich doch um eine
Aufforderung zur Unterstützung und Werbung für Sympathie im
Inland. Die in deutscher Sprache abgefassten Flugblätter
wurden publikumswirksam in der Fußgängerzone einer deutschen
Stadt verteilt. Die Einordnung als Propaganda mit einer
allein auf das Ausland beschränkten Wirkung ist daher
abwegig.




20



b) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen
auch nicht Art. 103 Abs. 2 GG. Die der Verurteilung zu
Grunde liegende Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VereinsG genügt den Anforderungen des verfassungsrechtlichen
Bestimmtheitsgrundsatzes. Auch insoweit gelten die
Ausführungen in dem bereits erwähnten Beschluss der Kammer in
dem Verfahren 1 BvR 98/97 entsprechend.




21



Von einer weiteren Begründung wird gemäß
§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.




22



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 





     Papier
Steiner
Hoffmann-Riem







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