1 BvR 1656/96 - Zur strafrechtlichen Verurteilung wegen Beleidigung der Bundeswehr
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1656/96 -

- 1 BvR 643/97 -










Im Namen des Volkes




In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden




 



1. der Frau K...,




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Frank Niepel und Koll.,

Volkartstraße 2, 80634 München -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 3. Juli 1996 -
3St RR 68/96 -,



b)

das Urteil des Amtsgerichts
München vom 6. Februar 1996 - 8540 Cs 115 Js 4834/89
-






 



- 1 BvR 1656/96 -,




 



2. des Herrn E...




 



- Bevollmächtigter:


Rechtsanwalt Konrad Kittl,

Jutastraße 5, 80636 München -





 





gegen
a)

den Beschluss des
Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. März 1997 -
5St RR 89/96 -,



b)

das Urteil des Amtsgerichts
Landsberg am Lech vom 2. Mai 1996 - 3 Ds 101 Js 535/89
-






 



- 1 BvR 643/97 -




 



hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Papier

und die Richter Steiner,

Hoffmann-Riem




 



am 13. Dezember 2001 einstimmig
beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde der
Beschwerdeführerin zu 1 wird nicht zur Entscheidung
angenommen.
Das Urteil des Amtsgerichts Landsberg am
Lech vom 2. Mai 1996 - 3 Ds 101 Js 535/89 - und der
Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11.
März 1997 - 5St RR 89/96 - verletzen den Beschwerdeführer
zu 2 in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des
Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die
Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem
Beschwerdeführer zu 2 die notwendigen Auslagen zu
erstatten.





 


Gründe:




1



Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen
Verfassungsbeschwerden betreffen erneute strafgerichtliche
Verurteilungen der Beschwerdeführer wegen Beleidigung der
Bundeswehr und einzelner Soldaten, nachdem vorangegangene
Verurteilungen wegen derselben Taten durch das
Bundesverfassungsgericht (Verfassungsbeschwerdeverfahren 1
BvR 221/92 betreffend die Beschwerdeführerin zu 1 und
Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 1980/91 betreffend den
Beschwerdeführer zu 2) aufgehoben worden waren (BVerfGE 93,
266 ).




I.

Verfahren 1 BvR 1656/96




2



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen. Ihr kommt keine grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung zu und die Annahme ist nicht
zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin zu 1
angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG).




3



Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Beschluss vom 10. Oktober 1995 ausgeführt, dass eine
strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185
StGB) nicht zu beanstanden ist, wenn ihr eine Verletzung der
Ehre einzelner Soldaten oder der Angehörigen bestimmter
Streitkräfte durch die darauf bezogene Äußerung "Soldaten
sind Mörder" zu Grunde liegt (BVerfGE 93, 266 312>). In den angegriffenen Entscheidungen haben die
Strafgerichte die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der
Auslegung und Anwendung des § 185 StGB beachtet.




II.

Verfahren 1 BvR 643/97




4



Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93
c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2
Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies
zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers zu 2
aus Art. 5 Abs. 1 GG angezeigt ist.




5



1. Im Senatsbeschluss vom 10. Oktober 1995 ist
der Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit des
Beschwerdeführers im Wesentlichen darin gesehen worden, dass
die Gerichte ihre Annahme, einzelne Soldaten oder die
Bundeswehr insgesamt seien beleidigt worden, nicht
hinreichend begründet haben (BVerfGE 93, 266
). Anhand der vom Amtsgericht nunmehr
gegebenen Begründung ist weiterhin nicht nachvollziehbar, das
Flugblatt habe auf einzelne Soldaten oder spezifisch die
Bundeswehr gezielt und die Deutung sei ausgeschlossen, es
ginge um eine nachhaltige Kritik am Soldatentum allgemein,
wenn auch unter Einschluss der Bundeswehr (vgl. BVerfGE 93,
266 ).




6



Das Amtsgericht stützt die Bezugnahme auf die
Bundeswehr auf den Zusatz im Flugblatt "auch bei der
Bundeswehr", obwohl das Bundesverfassungsgericht schon
festgestellt hat, dass dieser nicht ergebe, gerade die
Soldaten der Bundeswehr seien gemeint (BVerfGE 93, 266
). Soweit das Amtsgericht auf die Verteilung des
Flugblatts aus Anlass einer Karikaturenausstellung der
Bundeswehr verweist, verkennt es, dass in den Karikaturen des
Flugblatts nur allgemeine Kürzel für Soldatentum und
Militarismus eingesetzt werden. Die Benutzung des - schon im
Jahre 1813 gestifteten, in der Bundesrepublik Deutschland
nicht mehr vergebenen - Eisernen Kreuzes ist kein Gegenindiz.
Es wird nicht bereits dadurch inhaltlich auf die Bundeswehr
bezogen, dass es, wie das Bayerische Oberste Landesgericht
betont, auch bei der Bundeswehr getragen wird. Der Hinweis
auf die in dem Flugblatt enthaltene Aufforderung zur
Kriegsdienstverweigerung erlaubt ebenfalls keinen eindeutigen
Schluss auf eine Ausrichtung des Flugblatts gerade auf die
Bundeswehr. Im Übrigen hat das Amtsgericht bei seiner
Bezugnahme auf die Ausführungen zum "Soldatenhandwerk" auch
die auf den vorliegenden Fall bezogene Aussage des
Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 10. Oktober
1995 unberücksichtigt gelassen, dass für eine Bestrafung die
Feststellung nicht ausreicht, die Soldaten der Bundeswehr
bildeten eine Teilgruppe aller Soldaten (vgl. BVerfGE 93, 266
). Es hat insofern den Fehler wiederholt, den das
Bundesverfassungsgericht schon im Jahre 1995 beanstandet
hat.




7



Darüber hinaus hat das Amtsgericht in einer
nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden
Weise angenommen, die an sich gebotene Abwägung des
jeweiligen Gewichts der Beeinträchtigung der im vorliegenden
Fall berührten Interessen scheide schon deshalb aus, weil mit
dem Flugblatt eine "polemische Diffamierung" von Soldaten
erfolge. Insofern hat das Amtsgericht die Rechtsfigur der
Schmähkritik verkannt.




8



Da das Bayerische Oberste Landesgericht den
Erwägungen des Amtsgerichts gefolgt ist, leidet sein
Beschluss an denselben Mängeln. Der Begriff der Schmähkritik
wird zudem in einem anderen, nämlich weiteren Sinne
verwendet, als es der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts entspricht.




9



2. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass
die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Vorgaben zu anderen
Ergebnissen gekommen wären, beruhen die angegriffenen
Entscheidungen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Sie
sind daher aufzuheben; zudem ist die Sache an das Amtsgericht
zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).




III.




10



Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34
a Abs. 2 BVerfGG.




11



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Papier
Steiner
Hoffmann-Riem







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