1 BvR 1594/99 - Zum Vertrauensschutz bei der Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem BundesausbildungsförderungsgesetzSiehe auchPressemitteilung Nr. 72/2002 vom 6. August 2002
Karar Dilini Çevir:





 



BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1594/99 -




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der Frau Z...




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Dr. Hohmann und Koll.,

Oranienburger Straße 33/34, 10117 Berlin-Mitte -





 



1. unmittelbar gegen



a)

den Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 6. August 1999 - OVG 6
N 17.99 -,



b)

den Gerichtsbescheid des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. April 1999 - VG 6 A
146.97 -,







2. mittelbar gegen

§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und § 18 c
BAföG i.d.F. des 18. BAföGÄndG vom 17. Juli 1996 (BGBl I S.
1006)




 



hat die 1. Kammer des Ersten Senats des
Bundesverfassungsgerichts durch

den Präsidenten Papier

und die Richter Steiner,

Hoffmann-Riem




 



gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993
(BGBl I S. 1473) am 17. Juni 2002 einstimmig beschlossen:




 



Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur
Entscheidung angenommen.




 


Gründe:




1



Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die
Gewährung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über
individuelle Förderung der Ausbildung
(Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) in Form eines
Bankdarlehens.




I.




2



1. Die Gewährung von staatlicher
Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus
hat durch Art. 1 Nr. 13 Buchstabe c des Zwölften Gesetzes zur
Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 22. Mai
1990 (BGBl I S. 936) eine Neuregelung erfahren. § 15
Abs. 3 a BAföG sah eine so genannte Studienabschlussförderung
vor. Er hatte folgenden Wortlaut:




3



Auszubildenden an Hochschulen, die sich in
einem in sich selbständigen Studiengang befinden, wird für
höchstens zwölf Monate Ausbildungsförderung über die
Förderungshöchstdauer oder die Förderungsdauer nach Absatz 3
Nr. 1, 3 oder 5 hinaus geleistet, wenn der Auszubildende
innerhalb dieser Förderungszeiten zur Abschlußprüfung
zugelassen worden ist und die Prüfungsstelle bescheinigt, daß
er die Ausbildung innerhalb der verlängerten Förderungsdauer
abschließen kann. Ist eine Abschlußprüfung nicht vorgesehen,
gilt Satz 1 unter der Voraussetzung, daß der Auszubildende
eine Bestätigung der Ausbildungsstätte darüber vorlegt, daß
er die Ausbildung innerhalb der verlängerten Förderungsdauer
abschließen kann.




4



Diese Vorschrift war zunächst bis zum 30.
September 1993 befristet, wurde dann bis zum 30. September
1996 und schließlich durch Art. 1 Nr. 6 Buchstabe c des
Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (18. BAföGÄndG) bis 30.
September 1999 verlängert. Sie gilt heute in der Fassung des
Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung
- Ausbildungsförderungsreformgesetz (AföRG) vom 19. März 2001
(BGBl I S. 390).




5



§ 17 Abs. 1 und 2 BAföG in der hier
maßgebenden Fassung des Art. 1 Nr. 10 18. BAföGÄndG
bestimmte, dass Ausbildungsförderung grundsätzlich jeweils
zur Hälfte als Zuschuss und als Darlehen gewährt wurde.
Absatz 3 regelte, unter welchen Voraussetzungen
Ausbildungsförderung in Form eines verzinslichen
Bankdarlehens geleistet wurde. Unter anderem war diese
Förderungsart für den Fall des Überschreitens der
Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 a BAföG
vorgesehen (§ 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG). § 18 c
BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG enthielt die
Einzelheiten der Darlehensgewährung. Die Bestimmungen sind,
soweit hier von Bedeutung, im Wesentlichen unverändert
geltendes Recht.




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Das Achtzehnte Änderungsgesetz hat weiter für
die hier maßgeblichen Bestimmungen folgende Regelung über das
In-Kraft-Treten getroffen:




7



Artikel 6




8



Inkrafttreten




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(1) Dieses Gesetz tritt vorbehaltlich der
Absätze 2 bis 5 am 1. August 1996 in Kraft.




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(2) Artikel 1 Nr. 1, 2 Buchstabe b, Nr. 9, 10,
16 Buchstabe a, c und d, Nr. 17 Buchstabe a Doppelbuchstabe
aa und Buchstabe c Doppelbuchstabe aa, Nr. 19, 20 und 24
tritt mit der Maßgabe in Kraft, daß die darin bestimmten
Änderungen nur bei Entscheidungen für die
Bewilligungszeiträume zu berücksichtigen sind, die nach dem
31. Juli 1996 beginnen. Vom 1. Oktober 1996 an sind die in
Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe c, Nr. 17 Buchstabe a
Doppelbuchstabe aa, Buchstabe c Doppelbuchstabe aa und Nr. 19
bestimmten Änderungen ohne die einschränkende Maßgabe des
Satzes 1 zu berücksichtigen.




11



(3) bis (5) ...




12



2. Die Beschwerdeführerin studierte seit dem
Sommersemester 1992 Sozialtherapie an der
Humboldt-Universität zu Berlin. Sie erhielt
Ausbildungsförderung nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz je zur Hälfte als Zuschuss
und als unverzinsliches Darlehen. Für den
Bewilligungszeitraum von Oktober 1996 bis September 1997
wurde ihr Ausbildungsförderung als Studienabschlussförderung
nach § 15 Abs. 3 a BAföG in Form eines verzinslichen
Bankdarlehens gewährt. Im Verwaltungsrechtsweg hat die
Beschwerdeführerin ohne Erfolg versucht, Ausbildungsförderung
auch weiterhin je zur Hälfte als Zuschuss und als
unverzinsliches Darlehen zu erhalten.




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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde greift die
Beschwerdeführerin unmittelbar die verwaltungsgerichtlichen
Entscheidungen, mittelbar § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und
§ 18 c BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG an.
Verletzt sei der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die
Regelung zur Einführung des verzinslichen Darlehens als
weitere Förderungsart würde eine unechte Rückwirkung
entfalten. Diese sei zur Erreichung des Gesetzeszwecks aber
nicht geeignet. Der Gesetzgeber habe primär bezweckt,
Studierende zur geradlinigen und zielstrebigen Durchführung
der Ausbildung zu bewegen. Angesichts des bereits erheblichen
Studienfortgangs zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung sei
dieser Zweck bei der Beschwerdeführerin ins Leere gegangen.
Die Förderung durch verzinsliche Bankdarlehen würde viele
Studierende in Nebenjobs drängen, was letztlich zu einer
Verlängerung der Studienzeiten führe. Wegen des
Verwaltungsmehraufwands sei kein Einsparungseffekt erkennbar.
Die Darlehensbedingungen seien so belastend, dass die
Gesamtregelung als nicht erforderlich einzustufen sei. Die
Beschwerdeführerin habe darauf vertrauen dürfen, die
Ausbildungsförderung würde eine Sozialleistung bleiben; die
privatrechtlich ausgestaltete Ausreichung eines verzinslichen
Bankdarlehens lasse sich hiermit schwerlich vereinbaren. Der
Gesetzgeber hätte eine Übergangsregelung schaffen müssen.
Wegen der unzumutbaren Darlehensbedingungen sei die
Beschwerdeführerin auch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1
GG verletzt.




II.




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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur
Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen von
§ 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine
Aussicht auf Erfolg. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, dass der Beschwerdeführerin für den Zeitraum
Oktober 1996 bis September 1997 Ausbildungsförderung
ausschließlich als verzinsliches Bankdarlehen gewährt
wurde.




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1. Es kann offen bleiben, ob aus dem
Grundgesetz und insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12
Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20
Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) eine Pflicht des
Gesetzgebers folgt, staatliche Leistungen zur individuellen
Ausbildungsförderung vorzusehen. Denn es wäre mit einer
solchen Pflicht vereinbar, wenn der Gesetzgeber ein
bestehendes Förderkonzept zum Nachteil der Studierenden
ändert und sich dabei auf gewichtige Gründe des Gemeinwohls
berufen kann (vgl. BVerfGE 96, 330 ). Solche
gewichtigen Gründe waren bei Erlass der hier angegriffenen
Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und des
§ 18 c BAföG in der Fassung des 18. BAföGÄndG
gegeben.




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a) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah
vor, das öffentlichrechtlich ausgestaltete, unverzinsliche
staatliche Darlehen in allen Ausbildungsphasen grundsätzlich
durch ein verzinsliches privatrechtliches Bankdarlehen zu
ersetzen. Damit sollte finanzieller Spielraum für die
Stärkung der Hochschulausbildung, insbesondere auch für eine
Anhebung der BAföG-Leistungen, geschaffen werden (vgl.
BTDrucks 13/4246, S. 1, 12). Im weiteren
Gesetzgebungsverfahren ist dieses Konzept abgeschwächt worden
(vgl. BRDrucks 886/95 vom 1. März 1996; BTDrucks 13/5116 vom
26. Juni 1996; vgl. auch Ramsauer/Stallbaum, NVwZ 1996, S.
1065 f.). Das Bankdarlehen wurde als außerordentliche
Förderungsart nur bei bestimmten, im Gesetz abschließend
genannten Förderungssondertatbeständen eingeführt. Der
Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung vor allem
Verteilungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung bewirken
(vgl. BTDrucks 13/5116, S. 13). Er beabsichtigte, die
Ausbildungsförderung innerhalb der Förderungshöchstdauer zu
Lasten der Unterstützung der Ausbildung über die
Förderungshöchstdauer hinaus zu verbessern. Dies stellen
hinreichend gewichtige Gründe des Gemeinwohls dar.




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b) Es stellt die Eignung der angegriffenen
Entscheidung des Gesetzgebers für eine solche "Umschichtung"
von staatlichen Mitteln nicht in Frage, dass das zu
erwartende Einsparungsvolumen auf Grund der im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens veränderten Förderkonzeption geringer
ausfiel als von der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf
beabsichtigt. Der federführende Bundestagsausschuss für
Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und
Technikfolgenabschätzung ging davon aus, mit den Einsparungen
könnten anstehende Probleme immerhin einer kurzfristigen
Lösung bis zu einer Strukturreform des
Ausbildungsförderungsrecht zugeführt werden (vgl. BTDrucks
13/5116, S. 2). Das genügt den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die Eignung der angegriffenen gesetzlichen
Maßnahme. Die Beschwerdeführerin kann die Eignung des neuen
Förderungskonzepts aber auch nicht mit der Behauptung in
Frage stellen, die Einsparungen würde durch
Verwaltungsmehraufwand aufgezehrt. Dazu hat sie nicht
hinreichend substantiiert vorgetragen.




18



2. Der Gesetzgeber hat auch nicht Art. 2 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, indem er
schutzwürdiges Vertrauen des Personenkreises, zu dem die
Beschwerdeführerin gehörte, enttäuscht hat. Die Regelungen,
die das privatrechtliche Bankdarlehen als Förderungsart
einführen, haben zwar wegen der Erstreckung auf bereits
begonnene Ausbildungen (vgl. Art. 6 Abs. 2 des 18. BAföGÄndG)
unechte Rückwirkung entfaltet (vgl. BVerfGE 96, 330
). Sie erfüllen jedoch die verfassungsrechtlichen
Voraussetzungen, unter denen eine unechte Rückwirkung in
Fällen zulässig ist, in denen auf den noch nicht
abgeschlossenen Sachverhalt des Studiums und seiner
Finanzierung durch eine staatliche Leistung für die Zukunft
zum Nachteil des Betroffenen eingewirkt wird (vgl. BVerfGE
96, 330 ).




19



a) Die Einbeziehung aller Auszubildenden, die
über die Förderungshöchstdauer hinaus im Rahmen des
Ausbildungsförderungsrechts staatlich unterstützt werden, in
das Konzept einer Förderung durch Bewilligung eines
Bankdarlehens war geeignet, eine Umverteilung dieser Mittel
zu Gunsten der Ausbildungsförderung innerhalb der
Förderungshöchstdauer zu erreichen. Sie war auch
erforderlich, um sofort zur kurzfristigen Lösung anstehender
Probleme (vgl. BTDrucks 13/5116, S. 2) Mittel freisetzen zu
können; andernfalls hätte die Umstellung auf die
Förderungsart des privatrechtlichen Bankdarlehens erst nach
längerer Zeit zu Einsparungen geführt.




20



b) Das Interesse der Beschwerdeführerin an
einer Beibehaltung der bisherigen Form der
Ausbildungsförderung je zur Hälfte durch Zuschuss und
unverzinsliches staatliches Darlehen über den Ablauf der
Förderungshöchstdauer hinaus ist nicht höher zu bewerten als
es die Gründe sind, die den Gesetzgeber bei seiner
Entscheidung für einen sofortigen Wechsel der Förderungsart
bewogen haben. Ausbildungsförderung nach Ablauf der
Förderungshöchstdauer wird als eine Art "Zusatzleistung"
angesehen (vgl. Rothe/Blanke,
Bundesausbildungsförderungsgesetz, § 18 a Rn. 2
). Sie ist deshalb von vornherein in
stärkerem Maß der Gefahr gesetzlicher Einschränkungen
ausgesetzt als die Förderung innerhalb der
Förderungshöchstdauer. Zudem war die Gewährung einer
Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG vor
Erlass des Achtzehnten Änderungsgesetzes bis 30. September
1996 befristet. Deshalb musste die Beschwerdeführerin sogar
damit rechnen, keinerlei Studienabschlussförderung mehr zu
erhalten. Um so weniger konnte sie auf die Beibehaltung einer
bestimmten Förderungsart vertrauen. Ungeachtet dessen kann
allenfalls ein Vertrauen darauf schutzwürdig sein, dass der
Beschwerdeführerin eine Ausbildungsförderung erhalten blieb,
die eine Beendigung des Studiums ohne wesentliche
Verringerung des monatlich verfügbaren Geldbetrags
ermöglichen würde (vgl. BVerfGE 96, 330 ).
Insoweit hat die gesetzliche Neuregelung keine
Verschlechterung gebracht. Sie hat zwar zu erhöhten und in
kürzerer Zeit eintretenden Rückzahlungsverpflichtungen
geführt, das Förderungsniveau aber nicht gesenkt. Ein darüber
hinausgehendes Vertrauen auf eine bestimmte Förderungsart
oder eine bestimmte rechtliche Ausgestaltung dieser
Förderungsart genießt keinen verfassungsrechtlichen
Schutz.




21



3. Die Benachteiligung der Personen, die
Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG
erhalten, gegenüber den Leistungsempfängern, die eine
Regelförderung erhalten und nicht auf die Förderung durch
Bankdarlehen verwiesen werden, verstößt nicht gegen Art. 3
Abs. 1 GG.




22



Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn der
Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten anders als eine
andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,
dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten
(BVerfGE 55, 72 ; 71, 146 ).
Solche hinreichenden Unterschiede bestehen. Die
Studienabschlussförderung nach § 15 Abs. 3 a BAföG
stellt - ähnlich anderen Fällen der ausnahmsweisen
Studienförderung (vgl. Ramsauer/Stallbaum, a.a.O., S. 1066) -
eine Leistung außerhalb des gesetzgeberischen Grundkonzepts
dar, wonach Ausbildungsförderung grundsätzlich nur für die
Förderungshöchstdauer gewährt wird. Dies rechtfertigt es, die
Art der Förderung abweichend und wirtschaftlich weniger
attraktiv zu gestalten als die Regelförderung.




23



Von einer weiteren Begründung wird nach
§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.




24



Diese Entscheidung ist unanfechtbar.




 




Papier
Steiner
Hoffmann-Riem







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