1 BvR 1236/99 - Ausschluss der Apotheken vom verkaufsoffenen Sonntag verfassungswidrigSiehe auchPressemitteilung Nr. 3/2002 vom 16. Januar 2002
Karar Dilini Çevir:






L e i t s a t z

zum Urteil des Ersten Senats vom 16. Januar
2002

- 1 BvR 1236/99 -





Der Ausschluss der Apotheken von der Teilnahme
an verkaufsoffenen Sonntagen gemäß § 14 Abs. 4 des
Ladenschlussgesetzes ist mit dem Grundrecht der
Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.




 






BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1236/99 -

Verkündet

am 16. Januar 2002

Kehrwecker

Amtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle












Im Namen des Volkes




In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde




 



der Frau E...




 



- Bevollmächtigte:


Rechtsanwälte Dr. Michael Pap und Hartmut Stegmaier,

in Sozietät Caemmerer, Bender, Lenz,

Douglasstraße 11-15, 76133 Karlsruhe -





 



1. unmittelbar



gegen
a)

das Urteil des
Landesberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 26.
April 1999 - LBG 2/99 -,



b)

das Urteil des
Bezirksberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 7.
Oktober 1998 - BBG 3/98 -,







2. mittelbar gegen § 14 Abs. 4 des
Ladenschlussgesetzes




 



hat das Bundesverfassungsgericht - Erster
Senat - unter Mitwirkung

des Vizepräsidenten Papier,

der Richterinnen Jaeger,

Haas,

der Richter Hömig,

Steiner,

der Richterin Hohmann-Dennhardt

und der Richter Hoffmann-Riem,

Bryde




 



aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.
November 2001 durch




 


U r t e i l




 



für Recht erkannt:




 



§ 14 Absatz 4 des Gesetzes über den
Ladenschluß vom 28. November 1956 (Bundesgesetzblatt I
Seite 875) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem
Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die
Vorschrift ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und
nichtig.
Das Urteil des Landesberufsgerichts für
Apotheker in Karlsruhe vom 26. April 1999 - LBG 2/99 - und
das Urteil des Bezirksberufsgerichts für Apotheker in
Karlsruhe vom 7. Oktober 1998 - BBG 3/98 - verletzen die
Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12
Absatz 1 des Grundgesetzes.

Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das
Landesberufsgericht für Apotheker in Karlsruhe zur
Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland und das Land
Baden-Württemberg haben der Beschwerdeführerin die
notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen
Tätigkeit wird auf 20.000 € (in Worten: zwanzigtausend
Euro) festgesetzt.





 


Gründe:




A.




1



Das Verfahren betrifft das für Apotheken
geltende gesetzliche Verbot, von den Öffnungszeiten an
allgemeinen Verkaufssonntagen Gebrauch zu machen.




I.




2



1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich
die beschwerdeführende Apothekerin gegen ihre Verurteilung zu
einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 14 Abs. 4 des
Gesetzes über den Ladenschluss vom 28. November 1956 (BGBl I
S. 875; im Folgenden: LadschlG). § 14 LadschlG lautet
nach der letzten Änderung durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über den Ladenschluss und zur
Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien
vom 30. Juli 1996 (BGBl I S. 1186; im Folgenden:
LadschlÄndG):




3



§ 14

Weitere Verkaufssonntage




4



(1) Abweichend von der Vorschrift des § 3
Abs. 1 Nr. 1 dürfen Verkaufsstellen aus Anlaß von Märkten,
Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens
vier Sonn- und Feiertagen geöffnet sein. Wird hiervon
Gebrauch gemacht, so müssen die offenen Verkaufsstellen an
den jeweils voraufgehenden Sonnabenden ab vierzehn Uhr
geschlossen werden. Diese Tage werden von den
Landesregierungen oder den von ihnen bestimmten Stellen durch
Rechtsverordnung freigegeben.




5



(2) Bei der Freigabe kann die Offenhaltung auf
bestimmte Bezirke und Handelszweige beschränkt werden. Der
Zeitraum, während dessen die Verkaufsstellen geöffnet sein
dürfen, ist anzugeben. Er darf fünf zusammenhängende Stunden
nicht überschreiten, muß spätestens um achtzehn Uhr enden und
soll außerhalb der Zeit des Hauptgottesdienstes liegen.




6



(3) Sonn- und Feiertage im Dezember dürfen
nicht freigegeben werden. In Orten, für die eine Regelung
nach § 10 Abs. 1 Satz 1 getroffen ist, dürfen Sonn- und
Feiertage nach Absatz 1 nur freigegeben werden, soweit die
Zahl dieser Tage zusammen mit den nach § 10 Abs. 1 Nr. 1
freigegebenen Sonn- und Feiertagen vierzig nicht
übersteigt.




7



(4) Für Apotheken bleibt es bei den
Vorschriften des § 4.




8



§ 4 LadschlG hat aktuell folgenden
Wortlaut:




9




§ 4

Apotheken




10



(1) Abweichend von den Vorschriften des
§ 3 dürfen Apotheken an allen Tagen während des ganzen
Tages geöffnet sein. An Werktagen während der allgemeinen
Ladenschlußzeiten (§ 3) und an Sonn- und Feiertagen ist
nur die Abgabe von Arznei-, Krankenpflege-, Säuglingspflege-
und Säuglingsnährmitteln, hygienischen Artikeln sowie
Desinfektionsmitteln gestattet.




11



(2) Die nach Landesrecht zuständige
Verwaltungsbehörde hat für eine Gemeinde oder für benachbarte
Gemeinden mit mehreren Apotheken anzuordnen, daß während der
allgemeinen Ladenschlußzeiten (§ 3) abwechselnd ein Teil
der Apotheken geschlossen sein muß. An den geschlossenen
Apotheken ist an sichtbarer Stelle ein Aushang anzubringen,
der die zur Zeit offenen Apotheken bekanntgibt.
Dienstbereitschaft der Apotheken steht der Offenhaltung
gleich.




12



Der Zweck des Ladenschlussgesetzes ist in
erster Linie der Arbeitszeitschutz der Angestellten im
Einzelhandel; daneben tritt die Sicherung der
Wettbewerbsneutralität (vgl. BVerfGE 13, 237 mit
Hinweis auf BVerfGE 1, 283 ). Die Regelung erlaubt
eine wirksame und möglichst einfache Verwaltungskontrolle
(vgl. BVerfGE 13, 230 ) und bewirkt eine
arbeitnehmerfreundliche Verteilung der Arbeitszeit auf die
Wochentage (vgl. Hufen, NJW 1986, S. 1291 ).
Diese Ziele sind vom Gesetzgeber auch bei der letzten Novelle
zum Ladenschlussgesetz beibehalten worden, als mit Rücksicht
auf die veränderten wirtschaftlichen und sozialen
Rahmenbedingungen, die gewandelten Konsum- und
Einkaufsgewohnheiten und die verstärkte Tendenz zur
Flexibilisierung der Arbeitszeit die regelmäßigen
Ladenöffnungszeiten von Montag bis Freitag auf die Zeit von
6.00 Uhr bis 20.00 Uhr und an den Samstagen auf die Zeit von
6.00 Uhr bis 16.00 Uhr verlängert worden sind (vgl. BTDrucks
13/4245, S. 6 f.). Nationale Ladenschlusszeiten stehen
mit europäischem Recht in Einklang (vgl. EuGH, RS.C-145/88,
Slg. 1989, S. 3851).




13



2. Den Apotheken obliegt die Sicherstellung
der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit
Arzneimitteln. Neben Arzneimitteln dürfen sie so genannte
apothekenübliche Waren abgeben. Hinsichtlich der
apothekenpflichtigen Arzneimittel stehen sie nur
untereinander im Wettbewerb; bei den frei verkäuflichen
Arzneimitteln stellen sie sich dem Wettbewerb mit
Einzelhandelsunternehmen, die im Besitz einer Zulassung zum
Arzneimittelverkauf sind. Hinsichtlich der apothekenüblichen
Waren stehen sie im allgemeinen Wettbewerb des Einzelhandels
(vgl. BVerfGE 94, 372 ).




14



Anders als im Einzelhandel, dem die Öffnung
nur zu bestimmten Zeiten gestattet ist, begründet § 23
der Verordnung über den Betrieb von Apotheken
(Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl I S. 1195) die
Pflicht zur ständigen Dienstbereitschaft der Apotheken, deren
Einführung zum einen von § 4 Abs. 1 Satz 1 LadschlG
ermöglicht und die zum anderen durch die Anordnung der
wechselseitigen Dienstbereitschaft nach § 4 Abs. 2
LadschlG begrenzt wird. § 23 ApBetrO hat nach der
Änderung durch Art. 6 LadschlÄndG folgenden Wortlaut:




15



§ 23

Dienstbereitschaft




16



(1) Die Apotheke muß außer zu den Zeiten, in
denen sie auf Grund einer Anordnung nach § 4 Abs. 2 des
Ladenschlußgesetzes geschlossen zu halten ist, ständig
dienstbereit sein. Die von einer Anordnung betroffene
Apotheke ist zu folgenden Zeiten von der Verpflichtung zur
Dienstbereitschaft befreit:




17



1. montags bis samstags von 6 Uhr bis 8
Uhr,




18



2. montags bis freitags von 18.30 Uhr bis 20
Uhr,




19



3. samstags von 14 Uhr bis 16 Uhr,




20



4. an den vier aufeinanderfolgenden Samstagen
vor dem 24. Dezember von 14 Uhr bis 18 Uhr.




21



(2) Von der Verpflichtung zur
Dienstbereitschaft kann die zuständige Behörde für die Dauer
der ortsüblichen Schließzeiten, der Mittwochnachmittage,
Sonnabende oder der Betriebsferien und, sofern ein
berechtigter Grund vorliegt, auch außerhalb dieser Zeiten
befreien, wenn die Arzneimittelversorgung in dieser Zeit
durch eine andere Apotheke, die sich auch in einer anderen
Gemeinde befinden kann, sichergestellt ist.




22



(3) Die zuständige Behörde kann eine Apotheke,
die keiner Anordnung nach § 4 Abs. 2 des
Ladenschlußgesetzes unterliegt, für bestimmte Stunden oder
für Sonn- und Feiertage von der Dienstbereitschaft
befreien.




23



(4) bis (6) ...




24



Die Ausdehnung der allgemeinen
Ladenöffnungszeiten hatte verlängerte
Schließungsmöglichkeiten für die Apotheken zur Folge, so dass
die Apotheken nach eigenem Ermessen insgesamt 21 1/2
Wochenstunden entsprechend ihren personellen Möglichkeiten
öffnen oder schließen können. Eine Dienstbereitschaft aller
Apotheken erschien dem Verordnunggeber unter
Versorgungsgesichtspunkten vor 8.00 Uhr morgens und nach
18.30 Uhr am Abend nicht erforderlich (Zmarzlik/Roggendorff,
Ladenschlußgesetz, 2. Aufl., 1997, § 4 Rn. 3;
Pfeil/Pieck/Blume, Apothekenbetriebsordnung,
Loseblattkommentar, 5. Aufl., § 23 Rn. 7 a, Stand: 4.
Ergänzungslieferung 1997).




II.




25



1. Die Beschwerdeführerin betrieb in Ettlingen
eine Apotheke. In Kenntnis von § 14 Abs. 4 LadschlG nahm
sie im Frühjahr 1997 an einem verkaufsoffenen Sonntag in
Ettlingen teil. Sie hielt ihre Apotheke geöffnet, obwohl sie
an diesem Tag nicht zum Notdienst eingeteilt war.




26



Vom Bezirksberufsgericht für Apotheker wurde
sie zu einer Geldbuße in Höhe von 1.000 DM verurteilt. Sie
sei nach § 3 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer
Baden-Württemberg vom 8. Oktober 1997 (Pharmazeutische
Zeitung 1997, S. 4002) zur Einhaltung der geltenden Gesetze
verpflichtet, habe aber gegen § 14 Abs. 4 LadschlG
verstoßen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung
bestünden nicht. Diese Auffassung wurde vom
Landesberufsgericht für Apotheker geteilt. Die Sonderstellung
der Apotheken im Verhältnis zum allgemeinen Einzelhandel
rechtfertige die für die Apotheken bestehenden
Sonderregelungen über die Öffnungszeiten. Die von der
Beschwerdeführerin angegriffene Einschränkung der
Berufsausübung behindere sie zeitlich nur in ganz geringem
Umfang; im allgemeinen Wettbewerb mit dem Einzelhandel stehe
sie überdies nur in dem marginalen Bereich des
Randsortiments. Das Verkaufspersonal werde in Apotheken mehr
belastet als in sonstigen Verkaufsstellen und bedürfe daher
verstärkt gesetzlichen Schutzes. Im Übrigen entspreche es
nicht dem Berufsbild des Apothekers, mit der Öffnung am
Sonntag das Streben nach Gewinn und gesteigertem Umsatz zur
Schau zu stellen.




27



2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art.
12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG unmittelbar durch die
gerichtlichen Entscheidungen und mittelbar durch § 14
Abs. 4 LadschlG. Es gebe keine sachlichen
Differenzierungskriterien für die Ungleichbehandlung der
Apotheken gegenüber anderen Verkaufsstellen im Rahmen der
Beteiligung an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen. Die
angegriffenen Entscheidungen berücksichtigten nicht
ausreichend, dass der Betrieb von Apotheken nicht nur der
Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, sondern auch
dem Lebensunterhalt des Apothekers diene. Apotheken müssten
nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten effizient
geführt werden, wozu eine angemessene Selbstdarstellung
beitrage. Gerade die verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage
böten dem Einzelhandel eine ideale Gelegenheit, auf das
jeweilige Sortiment und auf fachkundige Beratung hinzuweisen
und damit werbend in Erscheinung zu treten.




28



Vor allem aber bezwecke § 4 LadschlG
insgesamt die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung
mit bestimmten in Apotheken vorgehaltenen Waren. Dem
entspreche die Beteiligung an Verkaufssonntagen. Im
zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich von
Verkaufssonntagen gebe es auch im Übrigen keine Beschränkung
auf bestimmte Warengruppen. Gerade die Apotheken könnten
einen typischen Bedarf von Markt- und Messebesuchern
abdecken, der durch plötzliche Gesundheitsbeeinträchtigungen
entstehe.




29



Der Schutz des Verkaufspersonals vor einer
kumulativen Belastung durch Notdienste und verkaufsoffene
Sonntage gebiete jedenfalls nicht das generelle Verbot. Die
Arbeitszeit werde durch Tarifrecht und Arbeitsschutzrecht
hinlänglich gewahrt.




III.




30



Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung
genommen das Bundesministerium für Gesundheit namens der
Bundesregierung, die Landesregierung Baden-Württemberg, die
Bundesapothekerkammer, die Landesapothekerkammer
Baden-Württemberg, der Deutsche Apothekerverband sowie der
Bundesverband Deutscher Apotheker. In der mündlichen
Verhandlung haben die Bundesregierung sowie die
Landesapothekerkammer Baden-Württemberg ihren Standpunkt
ergänzend erläutert.




31



In allen Stellungnahmen wird die angegriffene
Regelung für verfassungsgemäß gehalten. Die
Bundesapothekerkammer, die Landesapothekerkammer
Baden-Württemberg, der Deutsche Apothekerverband und der
Bundesverband Deutscher Apotheker teilen allerdings die
Einschätzung der Beschwerdeführerin, dass beim Kunden
Kenntnisse über Inhalt und Sinn ladenschlussrechtlicher
Regelungen nicht vorausgesetzt werden könnten, so dass
oftmals der objektiv falsche Eindruck entstehe, Apotheken
hätten es nicht nötig, kunden- und serviceorientiert zu
handeln.




B.




32



Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Es
ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dass Apotheken an
den Sonntagen, die nach § 14 LadschlG aus Anlass von
Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen zur
Offenhaltung freigegeben werden, nicht geöffnet werden
dürfen, auch wenn sie im Bezirk der Freigabe gelegen sind.
§ 14 Abs. 4 LadschlG greift unverhältnismäßig in die
Berufsausübungsfreiheit der Apotheker ein; die Vorschrift ist
mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Die Urteile,
mit denen die Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße verurteilt
worden ist, beruhen auf der verfassungswidrigen Vorschrift;
sie werden aufgehoben.




I.




33



Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Freiheit
der Berufsausübung. Zu den Rahmenbedingungen der
Berufsausübung gehören für Verkaufsstellen jeder Art die
Regelungen über die Ladenöffnungszeiten. Die angegriffene
Norm greift in die Berufsausübung ein; sie schränkt die
Öffnungszeiten für Apotheken noch über das für den
allgemeinen Handel geltende Maß hinaus ein und verkürzt das
grundsätzlich vorhandene generelle Öffnungsrecht der
Apotheken nach § 4 Abs. 1 Satz 1 LadschlG auf die nach
§ 4 Abs. 2 LadschlG für einzelne Apotheken angeordnete
Dienstbereitschaft.




34



Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der
Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar,
wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls
gerechtfertigt sind. Die aus Gründen des Gemeinwohls
unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter
dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 19, 330
; 54, 301 ). Eingriffe in die
Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die
sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl.
BVerfGE 101, 331 ). Eine sowohl den
Freiheitsanspruch des Berufstätigen wie die
Schutzbedürftigkeit der Gemeinschaft berücksichtigende Lösung
kann nur in Abwägung der Bedeutung der einander
gegenüberstehenden und möglicherweise einander
widerstreitenden Interessen gefunden werden (vgl. BVerfGE 7,
377 ). Diese Abwägung ergibt hier einen
Vorrang der Berufsfreiheit der Apotheker.




35



1. Die Regelungen über den Ladenschluss dienen
allerdings anerkannten Gemeinwohlbelangen.




36



a) Die besonderen Regelungen über die
Öffnungszeiten von Apotheken bezwecken vornehmlich, die
Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dies
geschieht vor allem über die Regelung der ständigen
Dienstbereitschaft, nicht über die angeordneten
Schließungszeiten. Die ständige Dienstbereitschaft der
Apotheken kann aber in Regionen mit geringer Apothekendichte
zu einer Überforderung des Apothekers und seines
pharmazeutischen Personals (vgl. §§ 3, 17 ApBetrO)
führen, das die Nacht- und Sonntagsdienste zu leisten hat.
Insoweit dienen die Spezialregelungen für Apotheken ebenso
wie das Ladenschlussgesetz auch dem Arbeitszeitschutz,
insbesondere dazu, dem Personal möglichst weitgehend den
arbeitsfreien Abend und ein zusammenhängendes freies
Wochenende zu sichern. Im Verhältnis zu anderen Apotheken
oder sonstigen Verkaufsstellen kann unter bestimmten
Bedingungen auch noch der Wettbewerbsschutz als
Gemeinwohlbelang hinzutreten. Es handelt sich insgesamt um
ausreichende Gründe des Gemeinwohls, die einen Eingriff in
die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen (vgl. BVerfGE 13,
237 ; 14, 19 ; 59, 336 ).




37



b) Soweit in den Stellungnahmen vereinzelt
darauf hingewiesen worden ist, das Verbot der Sonntagsöffnung
könne auch der Arzneimittelversorgung zugute kommen, kann
dies zur Rechtfertigung nicht herangezogen werden. Es ist
fern liegend und auch durch die eingeholten Stellungnahmen
nicht plausibel gemacht, dass die Öffnung am Sonntag selbst
und im Zusammenhang mit der übrigen Dienstbereitschaft so
belastend wäre, dass zum einen die Sicherheit des
Arzneimittelverkehrs durch übermüdetes Personal oder zum
anderen die Versorgungslage gefährdet würde, weil die
wirtschaftliche Existenz von Apotheken außerhalb des Gebiets,
in dem der verkaufsoffene Sonntag stattfindet, bedroht
wäre.




38



Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die
Verkaufsstelle auch am verkaufsoffenen Sonntag nicht mehr als
an fünf zusammenhängenden Stunden geöffnet sein darf; zum
Ausgleich muss sie am vorausgehenden Sonnabend bereits ab
14.00 Uhr und nicht erst ab 16.00 Uhr geschlossen gehalten
werden. Die Verfassungsbeschwerde betrifft somit drei
zusätzliche Arbeitsstunden an höchstens vier Wochenenden im
Jahr. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade in
diesem Zusammenhang die Arbeitszeitordnung und die
tariflichen Arbeitszeitbestimmungen unbeachtet blieben. Diese
für Dauer, Verteilung und Vergütung der Arbeitszeit geltenden
Vorschriften sind ungeachtet derjenigen über den Ladenschluss
ausschlaggebend für die Belastung des in der Apotheke tätigen
pharmazeutischen Personals. Die möglichen allgemeinen
Ladenöffnungszeiten liegen derzeit bei etwa 80 Wochenstunden;
die tarifliche Arbeitszeit beträgt weniger als die Hälfte.
Außerdem werden in den Apotheken häufig Frauen in
Teilzeitarbeit beschäftigt. Individuelle Arbeitszeit und
Öffnungszeit müssen für alle Arbeitnehmer aufeinander
abgestimmt werden. Die maximal viermal im Jahr vorkommende
Sonntagsöffnung kann in Anbetracht dieser Sachlage in den
regelmäßigen monatlichen oder wöchentlichen Arbeitsplänen
keine herausragende Rolle spielen. Außerdem haben die
Apotheken nach § 23 ApBetrO die Möglichkeit, ihre
Dienstbereitschaft im Verhältnis zu den allgemeinen
Ladenöffnungszeiten um mehr als 20 Stunden einzuschränken und
auf diese Weise auf eine etwaige sonntägliche Mehrbelastung
zu reagieren. Darüber hinaus können einer Apotheke weitere
Schließzeiten im Rahmen des Ortsüblichen gemäß § 23 Abs.
2 ApBetrO zugestanden werden. Angesichts der vielfältigen
Möglichkeiten, einer Überbeanspruchung des Personals
vorzubeugen, ist nicht erkennbar, dass eine dem Apotheker
freigestellte Teilnahme an verkaufsoffenen Sonntagen eine
Gefährdung der Arzneimittelversorgung durch überbeanspruchtes
pharmazeutisches Personal verursachen könnte.




39



Die geringfügige Abweichung von der sonst
üblichen Wochenöffnungszeit lässt überdies keine messbaren
Auswirkungen auf die gemäß behördlicher Anordnung sonst
dienstbereiten Apotheken erwarten. In der mündlichen
Verhandlung haben die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg
und die Beschwerdeführerin übereinstimmend dargelegt, dass
sich der Kundenkreis der am Sonntag dienstbereiten Apotheken
in aller Regel aus solchen Personen zusammensetzt, die den
ärztlichen Notdienst und die Krankenhausambulanzen in
Anspruch genommen haben, die an diesem Tag ausgestellten
Rezepte einlösen wollen und sich an dem veröffentlichten
Notdienstplan der Apotheken orientieren. Solche Kunden meiden
eher die an verkaufsoffenen Sonntagen überfüllten
Innenstädte. Die dort geöffneten Apotheken werden im
Wesentlichen durch das vom verkaufsoffenen Sonntag angelockte
Publikum aufgesucht.




40



2. a) Der angegriffenen Regelung kann nicht
von vornherein Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung
der vom Gesetzgeber angestrebten Ziele abgesprochen werden.
Die Verteilung der Arbeitszeit wird durch das Verbot von
Sonntagsarbeit für die Arbeitnehmer bei generalisierender
Betrachtung günstig beeinflusst. Das gilt umso mehr, je
weniger Personal in der einzelnen Apotheke beschäftigt und je
geringer die Apothekendichte im maßgeblichen Bezirk ist. Denn
danach richtet sich vornehmlich, wie stark der einzelne
Apotheker und die pharmazeutischen Angestellten von der
ständigen Dienstbereitschaft und der etwa hinzutretenden
Sonntagsdienstbereitschaft belastet werden.




41



b) Nicht gefolgt werden kann allerdings dem
Landesberufsgericht darin, dass die angegriffene Vorschrift
erforderlich sei, damit dem Apotheker nicht ein
übersteigertes Streben nach Gewinn vorgeworfen werden könne.
Dafür ist nichts ersichtlich.




42



Der Gesetzgeber selbst hat mit der
grundsätzlichen Angleichung der Öffnungszeiten von Apotheken
und von allgemeinen Verkaufsstellen eine ganz andere
Einschätzung zum Ausdruck gebracht. Den Besonderheiten von
Apotheken soll nicht durch verminderte Öffnungszeiten
Rechnung getragen werden. Im Rahmen des Üblichen stehen die
Apotheken den Kunden wie alle anderen Verkaufsstellen zur
Verfügung. Ihre Sonderstellung wird gerade durch die erhöhte
Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Versorgung mit
Arzneimitteln und mit Teilen des Randsortiments
unterstrichen. Lange Öffnungszeiten und umfassende
Dienstbereitschaft sollen in erster Linie der
Gesundheitsversorgung dienen.




43



3. In Anbetracht des vorrangigen
Versorgungsauftrags der Apotheken ist der durch § 14
Abs. 4 LadschlG bewirkte Eingriff unverhältnismäßig. Den
Apothekern ist diese Beschränkung ihrer
Berufsausübungsfreiheit nicht zuzumuten. Die Abwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn
rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Regelung insgesamt
mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht in Einklang steht.




44



a) Das Verbot ist so ausgestaltet, dass dem
Apotheker die freie Entschließung, ob er an einem
verkaufsoffenen Sonntag teilnehmen will oder nicht, untersagt
wird, wohingegen die Abwägung, ob der mit der Öffnung der
Verkaufsstelle verbundene personelle und finanzielle Aufwand
in angemessenem Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen steht,
jedem anderen Einzelhändler überlassen bleibt. Auch der
Einzelhandel ist aber an Arbeitszeitvorschriften und
tarifliche Regelungen gebunden. Auch der Einzelhandel
unterliegt hinsichtlich der Einhaltung der einschlägigen
Normen der Überwachung.




45



Besondere Erschwernisse bei der Kontrolle oder
eine gesteigerte Unzuverlässigkeit des Apothekers im Hinblick
auf die Einhaltung tariflicher Regelungen oder
Arbeitszeitvorschriften waren aber ersichtlich nicht Anlass
für die in § 14 Abs. 4 LadschlG angeordnete Ausnahme.
Hierfür ist auch im Verfahren nichts hervorgetreten. Als
maßgeblicher Belang streitet für die angegriffene Regelung
letztlich nur noch die schonendere Verteilung der Arbeitszeit
für den Apotheker und seine pharmazeutischen Angestellten,
die schon durch die ständige Dienstbereitschaft mehr als
sonstige im Verkauf tätige Personen in Anspruch genommen
werden.




46



b) Seit der Einführung der angegriffenen
Regelung im Jahr 1956 hat das Gewicht der die Regelung
rechtfertigenden Gesichtspunkte stetig abgenommen. Die Anzahl
der Apotheken ist stark angestiegen. In Rheinland-Pfalz hat
sich ihre Zahl beispielsweise zwischen 1960 und dem Jahr 2000
mehr als verdoppelt; die Zahl der approbierten Mitarbeiter in
einer Apotheke und der Apothekerassistenten, die ohne
Aufsicht des Apothekeninhabers bei der Abgabe von
Medikamenten eingesetzt werden können (§ 3 Abs. 5 i.V.m.
Abs. 3 Nr. 1 und 5 ApBetrO), hat sich im genannten Zeitraum
sogar vervierfacht. Auch wenn es insoweit Abweichungen in den
einzelnen Ländern geben mag, belegen derartige Entwicklungen,
dass die ständige Dienstbereitschaft der Apotheken die
pharmazeutischen Mitarbeiter inzwischen deutlich weniger
belastet als bei der Einführung von § 14 Abs. 4
LadschlG. Die Zusatzbelastung durch die maximal viermal um
drei Stunden verlängerte Wochenöffnungszeit im Jahr macht
angesichts des Rückgangs der tariflich geschuldeten
Arbeitszeit eine Überlastung des Apothekenpersonals wenig
wahrscheinlich.




47



c) Dem stehen gewichtige Interessen des
Apothekers, im Wettbewerb mit anderen Verkaufsstellen seine
Kundenorientierung herauszustellen, gegenüber.
Leistungsbereitschaft und Kundenorientierung sind wesentliche
Werbe- oder Marketingstrategien für den Apotheker, mit denen
in berufsangemessener Weise um das Vertrauen der Bevölkerung
geworben wird. Die Beschwerdeführerin hat nachvollziehbar
darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der Sonntagsöffnung
nicht nur um des konkret erzielten Umsatzes willen angezeigt
ist. Eine Verweigerung bestätige vielmehr das Vorurteil, die
Apotheker hätten angesichts hoher Gewinnspannen
Kundenfreundlichkeit nicht nötig. Inhaltlich entspricht dem
die Begründung, die der Deutsche Apothekertag seiner
Entschließung vom 13. September 2001 beigegeben hat, mit der
er sich für eine Abschaffung der angegriffenen Norm
ausgesprochen hat (vgl. Pharmazeutische Zeitung 2001, S.
3318).




48



d) Diesen Gesichtspunkten stehen die
Arbeitszeitinteressen des Personals nicht entgegen. Wie
ausgeführt sind diese nur in geringem Maße betroffen. Auf die
Belange seines pharmazeutischen Personals muss der Apotheker
bei einer beabsichtigten Sonntagsöffnung ohnedies Rücksicht
nehmen. Im Übrigen hängt die Sicherheit der Arbeitsplätze
davon ab, dass sich die Apotheke im Wettbewerb mit
Verkaufsstellen im unmittelbaren Umfeld und mit benachbarten
Apotheken behauptet. Im Innenstadtbereich hat die
Apothekendichte insoweit bereits zu intensivem Wettbewerb
geführt.




49



Es sind keine Gemeinwohlbelange ersichtlich,
die von solcher Bedeutung wären, dass der Gesetzgeber es
nicht der Entschließung des einzelnen Apothekers überlassen
könnte, ob dieser an einem verkaufsoffenen Sonntag teilnimmt.
Die Berufsgruppe der Apotheker ist es gewöhnt, im Interesse
der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung vorausschauend zu
planen und das Personal zielgerichtet einzusetzen. Vom
Apotheker kann deshalb in besonderem Maße erwartet werden,
dass er auch die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am
verkaufsoffenen Sonntag eigenverantwortlich und mit der
gebotenen Rücksichtnahme auf das pharmazeutische Personal zu
treffen vermag.




II.




50



Die auf der verfassungswidrigen Norm
beruhenden Urteile des Landesberufsgerichts und des
Bezirksberufsgerichts für Apotheker verletzen die
Beschwerdeführerin ebenfalls in ihrem Grundrecht aus Art. 12
Abs. 1 GG. Sie sind aufzuheben.




51



Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a
Abs. 2 BVerfGG. Der Wert des Gegenstandes für die anwaltliche
Tätigkeit folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.




 




Papier
Jaeger
Haas


Hömig
Steiner
Hohmann-Dennhardt



Hoffmann-Riem

Bryde







Full & Egal Universal Law Academy